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Rechtsruck? Hört auf zu heulen!

Das Geheule ist groß. 16% holte die rechtsextreme AfD bei der Europawahl und in den sozialen Medien drehen alle durch, vor allem diejenigen, die mich vorher noch ermahnten: „GEHT WÄHLEN! NUR NICHT RECHTS!“

Als ob es realpolitisch irgendeinen Unterschied macht, wenn jetzt die Faschistin Giorgia Meloni und ihre Steigbügelhalterin Ursula von der Leyen zusammen an der Spitze der Europäischen Union stehen, statt der Idioten von der AfD. Aber klar, Hauptsache ihr geht wählen Leute, egal was, nur nicht die AfD.

Bei Nius, dem rechten Propagandasender von Ex-BILD-Chef Julian Reichelt, wurde indes die provokante Frage gestellt, ob der „Kampf gegen Rechts“ das gescheitertste Wahlkampfthema aller Zeiten sei. Und ich würde sagen, so bitter es ist: Ja, absolut. Weil offensichtlich die wenigsten in diesem Land verstehen, was genau eigentlich „Kampf gegen Rechts“ bedeutet.

Für die Ampel-Parteien bedeutet „Kampf gegen Rechts“ offenbar eben nicht, Politik zu machen, welche Menschen weniger in die Arme der Rechtsextremen treibt, nein, „Kampf gegen Rechts“ ist da eine moralische Aufforderung, die man auf Wahlplakate druckt. So hieß es auf einem Wahlplakat der Grünen: „Einigkeit gegen Rechts für Freiheit“. Dass der Spruch klingt, als hätte ihn ein Kindergartenkind mit Durchfall auf den Spieleteppich geschissen, sei mal dahingestellt. Denn abseits dessen ist hier auch inhaltlich wirklich gar nichts mehr zu holen. Was Einigkeit in einer Gesellschaft bedeuten soll, in der ein gutes Viertel der Leute ab dem 25. des Monats zwischen warmer Wohnung und warmem Abendessen wählen darf, ist mir sowieso ein Rätsel. Dass das für die allermeisten Grünen kein Thema ist, wundert indes niemanden, immerhin hat uns Parteichefin Ricarda Lang, früher noch durchaus stabiler links, die an Lächerlichkeit schwerlich zu überbietende Kindergrundsicherung vor einigen Monaten als das große Sozialpaket gegen Kinderarmut verkauft.

Die Wahrheit ist doch die: Es ist nicht zu ertragen, wie jetzt wieder die allermeisten Menschen des linksliberalen Milieus auf Instagram die ganz große Empörung schieben: ES GIBT KEINE PROTESTWÄHLER, DIE LEUTE, DIE AFD WÄHLEN, SIND NAZIS. No fucking shit, Sherlock. Und jetzt?

Wie viele Wahlen wollen wir diesen Zirkus noch aufführen? Wann ist man endlich an dem Punkt, dass man versteht: Nazis sind Nazis und machen Nazisachen. Das ist keine neue Erkenntnis. Die wichtige Frage ist: Wer ist dafür verantwortlich, dass immer mehr Leute Nazisachen machen wollen? Rechtsruck? Das ist nicht die AfD. Die AfD war immer schon rechts, die sind da nicht hingerückt. Die Ampel-Parteien, samt ihrer Jugendorganisationen, die sind es, die nach rechts gerückt sind. Und deswegen sage ich es ganz klar: Heute ist ein guter Tag um aus jenen Parteien auszutreten, die tatsächlich für den Rechtsruck verantwortlich sind.

Aber selbstredend wird das nicht passieren. Erinnern wir uns zurück an die letzte Bundestagswahl - was haben wir da für tolle, pastellfarbene Beiträge lesen müssen, in denen gefeiert wurde, dass noch nie zuvor so viele junge Leute in den Bundestag eingezogen sind. Wo sind sie denn heute, die jungen Wilden? Wo gibt es denn da ein Aufbegehren gegen den Kurs der eigenen Partei, liebe Jusos, liebe Grüne Jugend? Nichts und wieder nichts ist von diesen Leuten zu erwarten, die sich ohne zu zögern zu Knechten derer gemacht haben, die ihnen Aufstieg innerhalb der Parteienhierarchie in Aussicht gestellt haben. Da vergeht ein halbes Jahr Parlamentarismus und die jungen Wilden reden exakt genauso wie ihre ParteikollegInnen, die das Game schon seit 30 Jahren spielen. Schaut man dieser Tage Markus Lanz, dann fällt auf, dass auch ein Kevin Kühnert, der früher ja wirklich mal die eigene Parteispitze herausforderte, mittlerweile spricht wie Olaf Scholz. Der Weg zwischen NoGroko und kritikloser Verteidigung der Scholz-SPD war ganz offensichtlich nicht weit, alles, was es brauchte, war der Posten des Generalsekretärs.

Gleichzeitig wird man natürlich niemals müde zu betonen, wie sehr die Demokratie gerade durch rechte Kräfte in Gefahr sei, so als ob es die AfD bräuchte, damit die Herrschenden sämtliche Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaft aushebeln. Ein Finanzminister, der über Nacht zusammen mit Habeck und Scholz 100 Milliarden Euro Sondervermögen locker macht und jeder anderen Stelle verlautbart, dass man kein Geld habe, eine Franziska Giffey, die als Bürgermeisterin von Berlin auf das eindeutige Ergebnis des Volksentscheids zur Enteignung großer Immobilienkonzerne geschissen hat, ein Kanzler, der sich der Aufklärung seiner Warburg-Affären aktiv in den Weg stellt - ganz ehrlich Leute, da bin ich als Sozialist ja demokratischer drauf als diese Maulhelden. Jeder Mensch mit ein wenig Resthirn durchschaut das erbärmliche Gewinsel der Demokratiebesorgten als pure Heuchelei - denn während man in Berlin stets die immer tiefgreifendere Spaltung der Gesellschaft beweint, bekommen die Abgeordneten des deutschen Bundestages im Zuge der aktuellen Diätenerhöhung mir nichts dir nichts fortan nochmal 635 Euro mehr im Monat, sodass die Aufwandsentschädigung nunmehr bei knapp elfeinhalb Tausend Euro liegt. Klar, da kommen noch einige Sonderzahlungen dazu, weswegen der Beitrag gut und gerne mal auf 15-20.000 Euro jeden Monat steigen kann. Und diese Leute wollen einem dann was von Spaltung erzählen, kurz bevor sie nochmal betonen, dass nun aber wirklich härtere Jahre auf uns alle zukommen, ein jeder wird den Gürtel etwas enger schnallen müssen. Es muss endlich verstanden werden: Die AfD ist eine Bedrohung für die Demokratie, ja. Aber die Ampel-Parteien ermöglichen die Gefahr.

Unerwähnt darf auch die Rolle der Medien nicht bleiben. Denn in den Entscheidungsetagen des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks hat es ganz offenbar in den letzten ein- bis anderthalb Jahren ein massives Umdenken gegeben: Im ersten Halbjahr 2024 hat man gefühlt so viele AfDler in Talkshows bestaunen dürfen, wie in den letzten 3-4 Jahren zusammen. Und damit nicht genug: Wenn die Instagram-Redaktion der Tagesschau nach Abhalten der Wahlarena zur Europawahl den Faschisten und Vertrauten von Björn Höcke, René Aust, auffordert, er sollte doch mal sein Wahlkampf-Gesicht machen, dann muss an dieser Stelle klar gesagt werden, dass der ÖRR ganz genau so verantwortlich für den Rechtsruck ist, wie die oben genannten KarrieristInnen der Ampel-Regierung. Wenn mir die Politik der Thüringen-AfD in persona von René Aust im deutschen Fernsehen als eine gleichermaßen besprechenswerte, wie ernst zu nehmende politische Position angedreht wird, wie die eines Martin Schirdewans von den Linken, dann hat das nichts mit journalistischer Neutralität zu tun, sondern mit Schwurbelei. Neutralität heißt nicht, dass man Unsinn neben Sinn stehen lässt und so tut, als wären beides einfach unterschiedliche Positionen. Aufgabe des ÖRR wäre, das Falsche als falsch zu bezeichnen, die Lüge als Lüge und das Unwahre als unwahr. Das alles zeigt ganz deutlich: Den ÖRR immer pauschal in Schutz zu nehmen vor Rechten Anti-GEZ-Krakeelern ist unsinnig, denn auch ich ärgere mich stand heute massiv darüber, diesen Dreck der letzten Monate mitfinanziert zu haben. Wofür haben wir denn einen unabhängigen Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk, wenn ich am Ende die selbe Scheiße bekomme, wie bei WELT-TV?

Nochmal für alle, die jetzt wieder ins große Rätseln verfallen, wie es zu diesem Desaster kommen konnte: Wir wissen ganz genau, was Rechtsruck ist und wie er vorangetrieben wird. Es ist nicht so, als hätten sich damit noch nie irgendwelche Soziologen und Politikwissenschaftler beschäftigt. Wir wissen faktisch, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Sparpolitik und Rechtsruck gibt. Das sagt nicht eine Studie, das sagen sechs verschiedene Studien. Sechs Studien, an die Christian Lindner nicht glaubt. Er wurde ja zuletzt drauf angesprochen, auf der Debattenbühne des OMR-Festivals. Seine Antwort: „An diese Studien glaube ich nicht.“ Was ist jetzt mit „BELIEVE IN SCIENCE“? Nichts. Auch den Nachrichtenmagazinen war das keine Nachricht wert, dass der Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich Wissenschaftsleugner ist.

Das einzige, was gegen Rechtsruck wirklich hilft, ist Sozialpolitik. Die politische Mitte, wie es so schön heißt, schützt nicht vor Rechtsruck, sie IST der Rechtsruck. Denn: Von der Mitte ist der Weg nach rechts viel weniger weit, als man denkt, vor allem, wenn es um Wirtschaftspolitik geht. So schreibt der Wirtschaftsjournalist Stephan Kaufmann:

 

„Die Abweichung von der politischen Mitte nach rechts wird in einschlägigen Untersuchungen im- oder explizit als erklärungsbedürftiger Tatbestand präsentiert. Dem unterstellt ist eine grundsätzliche Differenz zwischen beiden Polen, wenn nicht gar eine Unvereinbarkeit. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass sich die rechte Weltsicht in ökonomischen Fragen auf ein Weltbild beziehen kann, dass als allgemein durchgesetzt gelten darf. Hier geht es nicht nur um den prinzipiellen Unterschied zwischen Inländern und – tendenziell minderberechtigten – Ausländern, sondern vor allem um die Scheidung zwischen ökonomisch »nützlichen« und »nicht nützlichen« Menschen, die eine Grundlage für die Scheidung von Menschen ist, die den Zugang zu Ressourcen verdienen und jenen, die ihn nicht verdienen (siehe Cavaillé/Ferwerda). Der Maßstab der Nützlichkeit wird dabei sowohl an Inländer wie an Ausländer oder Migranten angelegt, woraus die für rechte Parteien kennzeichnende Kritik folgt: faule Arbeitslose, Schmarotzer, Sozialtouristen, Wirtschaftsflüchtlinge, etc.“

https://politischeoekonomie.com/macht-sparen-rechts-und-warum/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Wir sehen: Der Weg von der Mitte nach rechts ist viel weniger weit, als man so denkt. Und dementsprechend zeugt die vielfach vorgetragene Empörung in den sozialen Medien über den Ausgang der Europawahl von einem massiven Verständnisdefizit bezüglich der politischen Nähe der politischen Mitte und der Rechten. Umso erbärmlicher wirken dann diejenigen Ermahnungen, dass man doch bitte wählen gehen mag, egal was, Hauptsache nicht die AfD. Die letzten Monate zeigen ja sehr deutlich: Die AfD muss nicht mal in Regierungsverantwortung sein, damit man Teile ihrer Politik umsetzt, das haben SPD, Grüne und FDP ganz alleine geschafft.

Du fühlst dich nach den Ergebnissen der EU-Wahl ohnmächtig? Richtig so. Vielleicht hält man diesen Zustand einfach mal aus, statt direkt wieder peinliche „6-Dinge-die-du-nach-der-EU-Wahl-tun-kannst“-Videos zu teilen. Vielleicht einfach mal durchatmen und nachdenken. Vor allem, über die Frage, wie man eine sozialistische Gegenmacht aufbauen kann, welche nicht nur diejenigen abholt, die es eh schon verstanden haben, sondern die, die existenziell auf gute linke Politik angewiesen sind. Wer jetzt aber weiterhin darauf besteht, sich durchgehend mit der AfD zu beschäftigen, der will natürlich der Selbstkritik ausweichen. Diese ist aber notwendig um zu erkennen, dass die bittere Wahrheit die ist: Diejenigen in der Gesellschaft, die eine gute Linke bräuchte, hält selbige für völlig irrelevant.

 

 

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