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Bordell

Spagat & Spaghetti / Victoria Hohmann (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Mein erster und letzter Versuch als Frau in ein Bordell zu kommen ist schon eine Weile her. Es war Ende der Nuller Jahre, ich mit einem Kumpel auf Sauftour und da wir sexuell nichts miteinander anfangen konnten, poppte zu fortgeschrittener Stunde die Idee auf in einen Puff zu gehen. Ich war noch nie in einem Puff gewesen, mein Kumpel, zumindest nach eigener Aussage, auch nicht und wir hatten beide Lust uns eine Frau zu kaufen. Falls unser nach diversen Drinks schon tüchtig geschrumpftes Budget nicht ausreichen sollte, beschlossen wir uns eine Frau zu teilen, ganz geschwisterlich. Sollte das Geld nicht reichen, wollten wir zumindest ein bisschen Tabledance mitnehmen. Uns an einer wohl proportionierten Tänzerin aufgeilen und ihr eventuell einen Schein in den String stecken. Vielleicht einen zehn Euro Schein, den hatten wir auf jeden Fall noch übrig. Weil die Drinks im Bordell bestimmt kostspielig sein würden, zu großzügig könnten wir uns darum nicht geben. Ende der Nuller Jahre war Kartenzahlung ja längst nicht allerorts möglich, erst recht nicht verpflichtend und erst recht nicht verpflichtend in Bars, wo Bargeld as Zahlungsmittel Nummer Eins galt. Frau fand dann morgens bzw. am Nachmittag oder Abend des Folgetags mit Glück noch einen klebrigen 5-Euro-Schein im Portemonnaie, heute mag es die klebrige EC-Karte sein, ein Schein der umgehend ums Eck in Fast Food investiert wurde. (Das dafür tatsächlich in sättigender Menge erhältlich war.) Aber so weit war es heute noch nicht. Oder war es schon morgen. Egal, es war Zeit das Rotlichtviertel anzusteuern.

Das Rotlichtviertel dieser Kaschemme von Stadt in NRW, in der wir unterwegs waren, befindet sich nahe der Bahngleise. Warum Gleise und Bahn fast automatisch zu Rotlicht gehören, ist eine gute Frage. Das liegt wahrscheinlich an den naheliegenden Metaphern, solchen des Entgleisens, des Sich-Anbahnens, an der rechten Bahn, dem Gleisbett, dem Verführen in alle Richtungen, den was-weiß-ich brechenden (Bahn-)Dämmen, jeder Menge Schotter sowieso, letztlich am Banalen und der Tatsache, dass Gleise nicht leise sind und jeder irgendwie zum Zuge kommt. Genug gereimt. Das Rotlichtviertel jedenfalls lag, wo es liegt. Auf dem Fußweg ins Viertel der Freudenhäuser fantasierten mein Kumpel und ich von dem, was uns erwarten würde. Wer uns erwarten würde. Was sie tragen würden, die uns Angebotenen. Wie wir die nächsten Stunden miteinander verbringen würden. Oder zumindest eine oder eine halbe. Wie das Zimmer aussähe. Das Bett. Wie wir uns davor aber auf jeden Fall noch einen Drink genehmigen würden, um die Atmosphäre auszukosten. Die Gerüche eines verruchten Fickschuppens. Tief inhalieren, wie auf dem Weg die letzten Zigaretten. Ob wir vielleicht doch noch einen Automaten suchen oder zur Tankstelle – ach, nein, in jedem Bordell gibt es schließlich einen Kippenautomaten, das weiß doch jedes Kind.

Trotz Schwärmerei begann der Fußweg ohne Musik und Kneipenluft uns zu ermüden. Aber ein Taxi wollten wir uns nicht leisten. Und Öffis waren nach Mitternacht eine Rarität. Außerdem fuhren sie Strecken, die wir per pedes geschickt abkürzen konnten, ohne Wartezeit. Schließlich taumelten wir beglückt auf die Zielgrade ins gelobte Land. Es leuchtete und blinkte. Kein Zug ratterte. Unsere letzten Zigaretten waren aufgebraucht. Aber da war schon eine Tür, mit der wir ins Haus fallen konnten, nicht ins Erstbeste, sondern in ein hübsches. Gleich würde uns ein Zuhälter oder Türsteher öffnen, breitschultrig mit Zahnstocher im Mundwinkel, uns höflich und diskret hineingeleiten. Wir würden Teil sein des geheimen Nachtlebens, Teil des Verbotenen, Verruchten. Bei dem Gedanken daran fühlten wir uns gut, stark, geil anti. Eine Diskokugel würde sich drehen, vielleicht über rotem Plüsch,  ganz sicher über entblößtem Fleisch. Wir klingelten.

Die Tür ging auf. Ein Mann stand da. Mittelgroß, hager, verlebt. Was wir wollen? Er starrte meinen Kumpel und mich an. Na, rein. – Du kannst rein, sagte er und meinte meinen Kumpel. Du nicht. – Warum nicht? fragte ich. Daraufhin ließ der Türsteher oder Zuhälter oder Freier oder wtf einige Beschimpfungen los und schlug die Tür zu. Da standen wir. Begossene. Mauloffen. Sollten wir es noch woanders probieren? – Aber meinem Kumpel und mir dämmerte, dass Frauen der Zugang zu Bordellen überall untersagt sein würde, untersagt ist. Zumindest durch die Vordertür. Ich erinnere mich nicht, ob wir uns an der Tankstelle auf der anderen Straßenseite ein Rückwegbier holten, bevor wir unseren Leidensweg antraten. Ich erinnere mich aber noch sehr deutlich an meine Frustration. Die Ernüchterung. Die Selbstverständlichkeit mit der diese Tür für mich als Frau geschlossen wurde. Als hätte ich etwas Unmögliches verlangt. Etwas Unverschämtes. Vor allem aber etwas Lächerliches. Etwas so Lächerliches, auf das nur dumm betrunkene junge Uschis kommen können. Ein Mädchenstreich. Aber Wehe: Noch einmal und du hast neue Papiere und ein eigenes Zimmer.

Mein Kumpel und ich stapften tapfer zurück durch die Nacht, die uns umgab. Fielen gemeinsam in mein Bett, nackt, aber ohne den kleinsten Versuch einer Annäherung. Weil es sexuell bei uns einfach weiterhin nicht funkte. Schliefen prompt ein, schnarchten wahrscheinlich. Bis heute habe ich nicht mehr versucht ein Bordell als Frau zu betreten. Obwohl jede Frau weiß, dass es immer wieder Phasen im Leben einer Frau gibt, in denen ein Puff willkommen wäre. Sich einfach einen Mann kaufen, bloß für ein paar Minuten. Aber uns Frauen bleibt nur Dildo King oder Handarbeit. Die Macht über die Nacht wie über den helllichten Tag gehört den Männern.

Fazit:

Aus heutiger Perspektive fällt mir bei dieser Story die Tatsache auf, dass ich als in den 90ern und 80ern Sozialisierte gar nicht auf die Idee kam, mir im Bordell einen Mann kaufen zu können. Und das als Frau. Als Frau lernte man einfach, die Welt aus Perspektive der Männer (selbstverständlich eine homogene Spezies) zu sehen. Alles andere war unattraktiv. Und als Frau wollte ich eine attraktive Welt da draußen finden und nicht bloß Attraktivität als Maßstab für mein Äußeres. Außerdem fand ich in mir keins der Attribute, das für Frauen galt. Wie sollte ich da als Frau denken? Oder handeln? Oder eben einen Mann als Nutte erwarten? Das gab es, wenn überhaupt, in großstädtischem Schwulenmilieu. Aber nie niemals gab es männliche Nutten für Frauen. Eventuell einen Stripper, okay. Aber höchstens zum runden Geburtstag im Kreise der (bitte hübsch kreischenden) Mädels-Clique und ohne jede Intimität. Nur Männer hatten ein Recht auf Sex. Frauen nicht.

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