Was das Leben braucht
Adventskalender 2024 - Vierundzwanzig - 24. Dezember
Da war ich nun gestern, am 23.12. vormittags zusammen mit meiner Tochter einkaufen. Vormittags - so dachten wir - ist noch nicht so viel los, wie am Nachmittag und am Abend - am Vortag vor Weihnachten. Oder gar am Morgen des 24.12. …
Entweder haben das alle gedacht und sind deshalb am Montagvormittag einkaufen gefahren oder es war den ganzen Tag so voll und voller …
Man wird eben zweieinhalb Tage nicht einkaufen gehen können. Und nicht nur das. Man wird zweieinhalb Tage lang mehr oder weniger zu Hause hocken und schlemmen, Besuch bekommen, besondere Getränke trinken, andere besuchen und ein Gastgeschenk mitbringen, Weihnachtsgeschenke verschenken.
Alle sind gestresst. Die Verkäufer*innen, die Kund*innen, die Senior*innen, die sogenannten “Hausfrauen”, die Mütter, diejenigen, die heute schon Urlaub haben, diejenigen, die heute noch an ihrem Arbeitsplatz stehen oder sitzen, umherflitzen oder auf Schienen oder Autobahnen fahren.
Und weil alle so gestresst sind, aber “es schön haben wollen”, um sich glücklich zu fühlen, gibt es Dekoration ohne Ende. Christrosen. Alle Jahre wieder. Tannengrün. Kerzen. Servietten. Lichterketten. Christbaumkugeln. Schokolade in bunter Alufolie und in Bärenform. In Zapfenform. In Weihnachtsmannform. In Schneemannform. In Rentierform.
Wir dekorieren und konsumieren uns zu Tode.
Wirklich.
Es ist tödlich.
Auf dem Nachhauseweg - wir gehören zu den wenigen, die stets mit dem Fahrrad einkaufen, nie mit einem Auto - radeln wir an einem Mann, den ich auf um die achtzig / neunzig schätze, vorbei, der sich schwer abmüht, nasses Herbstlaub mit einem unter einer Hecke hervorzuholen und über den Rasenstreifen davor zu ziehen, um es “zu entsorgen”.
Ich habe den Impuls, anzuhalten und ihm zu sagen, dass er das Laub da liegen lassen soll, weil die Hecke das braucht; weil der Boden das braucht. Die Erde. Die Kleinstlebewesen. Der Humus. Der Mutterboden. Die Muttererde. Mutter Erde. Mutter Natur. Wann ist denn diese Idee entstanden, dass das “ordentlich” zu sein hat - sauber & ordentlich auszusehen hat? Besonders an Feiertagen. Besonders im Vorgarten.
Wenn das Leben - auch das Bodenleben - überall zerstört wird, wo soll dann das Leben bleiben?
Wir dekorieren den Weltuntergang, denke ich. Mit Weihnachtskugeln und Lichterketten. Alle Jahre wieder wird das noch skurriler als im Vorjahr.
Wir wissen das auch alle, denke ich.
Wir spüren das. Eigentlich.
Deshalb dekorieren wir ja soviel. Um uns abzulenken. Zu verdrängen. Nicht nur sprichwörtlich unter den Teppich zu kehren, sondern die ganze Welt unter einem Teppich aus Dekoration & Verdränungskonsum zu begraben.
Im Sommer wird der Rasen und diese Hecke unter der Dürre leiden. Wertvolles Trinkwasser, Grundwasser, Löschwasser (im Falle eines Brandes) wird mit Rasensprengern in solchen Vorgärten für dekorativen grünen Rasen und dekorative grüne Hecken verschwendet werden. Und Kunstdünger, weil der Boden so nährstoffarm ist.
Da müht sich dieser alte Mann - weil er offenbar glaubt, dass es sich so gehört und so richtig ist - am Tag vor Weihnachten damit ab, den Boden nährstoffarm zu machen und den natürlichen Humuskreislauf zu zerstören.
#mirtutdasherzweh
Ich folge meinem Impuls nicht. Ich sage nichts. Unterbreche nicht. Störe nicht. Bin nicht unverschämt - aus seiner Sicht. Es bringt ja jetzt nichts. Aber irgendwie müsste man es doch mal sagen. Oder?
Für nächstes Jahr habe ich mir ein Projekt vorgenommen, das genau davon handelt. Solche Dinge zu sagen. Aber nicht schlaumeiernd, andere tadelnd, zurechtweisend, maßregelnd, sondern so, wie Entwicklungshilfe eben gemacht wird.
Diese dekadente, ökozidale Gesellschaft, die ins Verderben rast und Milliarden von Lebewesen mitreißt - ganze Arten sterben aus, Milliarden Menschen leiden Not, indigene Völker werden ausgerottet.
Das kann man auch nicht wegbeten und auch nicht wegzelebrieren. Nicht wegmeditieren, nicht wegdekorieren, nicht wegdiskutieren. Auch nicht am Weihnachtstag nachmittags in der Kirche.
Ich spiele Orgel am Nachmittag in den Krippenspielgottesdiensten. Die Weihnachtsgeschichte. Von der Schlichtheit im Stall. Da liegt es das Kindlein auf Heu und auf Stroh.
Es wird für Brot für die Welt gesammelt. Wie gnädig!
Seit Jahrzehnten höre ich das an jedem Heiligen Abend. Alle Jahre wieder.
Brot für die Welt.
Menschen, die wissen, dass ihre Lebensweise die Lebensgrundlagen anderer zerstört, dass Menschen hungern, während wir im Winter Erdbeeren, Weintrauben, Ananas & Heidelbeeren vom anderen Ende der Welt verzehren können - man gönnt sich ja sonst nichts; und es ist ja auch nur ausnahmsweise und weil es jetzt eh schon da ist … - während jede Minute eine LKW-Ladung genießbarer Lebensmittel der Vernichtung preisgegeben wird, um die Preispolitik stabil zu halten …
Menschen, die wissen, dass das Aufreißen der Schere zwischen Arm & Reich und das Produzieren von billigen Lebensmitteln und Dekoartikeln, Billigklamotten und Billiggeschenken, die wir im Überfluss konsumieren können, nur mit Ausbeutung, Kinderarbeit und sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen und Wohnsituationen zustande gebracht werden kann …
Menschen, die wissen, dass ihre Lebensweise die Lebensgrundlagen anderer zerstört, spenden “aus der Portokasse” klimperndes Münzgeld, um sich auch noch ihr Gewissen als ein Schnäppchen zu kaufen. An Weihnachten. Alle Jahre wieder.
Wieso leben wir nicht so, dass wir nicht an Weihnachten für die sammeln müssen, die unter unserer Lebensweise leiden, damit wir besser schlemmen, dekorieren und schlafen können, weil wir unser Gewissen beruhigt haben?
Die Spende reicht ja nicht. Ein Tropfen auf den heißen Stein! Wir wissen das!
Euer Luxus. Unser Elend.
Unser Luxus. Deren Not.
Eure dekadente Gegenwart.
Unsere Hölle auf Erden in der nahen Zukunft.
Unsere dekadente Gegenwart.
Die Hölle auf Erden für unsere Kinder und Enkel.
Neulich waren Merz & Co. bei “Ein Herz für Kinder” und haben sich für ihre vermeintliche Wohltätigkeit selbst gefeiert.
Warum nicht Wirtschaftspolitik so gestalten, dass die Schere zwischen Extremarm & Superreich geschlossen und nicht immer weiter auseinandergerissen wird?
Warum nicht Wirtschafts- & Gesellschaftspolitik so gestalten, dass Kinder gar nicht erst in Not kommen, von der auf einer Spendengala zur Imagepflege der “Reichen & Schönen”, der Prominenten, Mächtigen, Reichen & Einflussreichen, der Profit- & Machtgierigen, berichtet und auf die Tränendrüse derer, die in der sogenannten “bürgerlichen Mitte” zwischen Extremarm & Superreich im Hamsterrad des Alltagsstresses verzweifeln, zu drücken?
Und ich kann nicht raus aus diesem todbringenden System.
Ich kann mit dem Fahrrad einkaufen fahren. Und nur vegane und öko-faire Produkte kaufen. Und saisonal und regional. Ich kann entscheiden, was nachher nicht im Container landet. Aber ich kann nicht bestimmen, dass nichts im Container landet. Ich kann nicht bewirken, dass nichts unökologisch - also Lebensgrundlagen und Ökosysteme nicht nachhaltig und regenerativ erhaltend, sondern diese zerstörend - produziert, angebaut und transportiert und nicht fair gehandelt wird, sondern Menschen dafür ausgebeutet werden.
Ich kann auch nicht sagen, dass ich und mein Kind nicht in dieser Welt leben und sterben, sondern in einer anderen.
Und wer das mal begriffen hat, kann sich mit Klimpergeld nicht freikaufen. Und mit Oh, du fröhliche und Ihr Kinderlein kommet und Stille Nacht, Heilige Nacht nicht freisingen.
Ich mag Weihnachten nicht. Den Kitsch. Das Gedudel und Gebimmel. Das Blitzen und Blinken. Das Zuviel von allem Überfluss und Zuwenig vom wirklich Wichtigen.
Ich mag diese hohlen Phrasen nicht. Ich kann die Texte nicht mehr hören. Und die Melodien auch nicht. Ich tue meine Pflicht, weil ich zugesagt habe. Aber ich habe große innere Widerstände und Hürden zu überwinden.
Früher - als ich noch Vollzeit als Kirchenmusikerin gearbeitet habe - war der Advent “die Hölle”. Es war so sehr zu viel, dass es mich krank gemacht hat. Ich bin von Termin zu Termin geflitzt. Überall wollte man besinnlich werden und zur Ruhe kommen. Überall verdrängen, dekorieren und genießen. Mit viel Kunst und viel Glitzer. Mit Weihnachtsgewürzen und Farben und Klängen, Liedern und Texten und Melodien. Und ich als lebendige Musicbox mittendrin.
Das ist nicht mehr so.
Aber dennoch ist mir auch dieses Jahr alles zu viel. Ich habe das Gefühl, nicht mithalten zu können, wenn ich nicht wieder ausbrennen will. Es scheint nicht zu gehen. Diese Welt hat so ein hohes Tempo und so eine ungesunde Dichte und Überfüllung an allem, dass man selbst dann, wenn man genau das ändern will, unter so einem Zeitdruck und Stress steht, dass man mitrasen muss, wenn man sich wenigstens selbstwirksam fühlen will - ganz zu schweigen davon, was man leisten muss, um es wirklich zu sein. Selbstwirksam.
Auch ich habe mir zu viel vorgenommen.
Jeden Tag einen neuen Blogbeitrag zu schreiben und zwei andere zu verlinken. Den vom Vorjahr. Und den von den Christians for Future. Und dann noch einen Gutschein für 2025. Drunter geht es nicht. Dachte ich. Und jetzt schimpft mein Überich mit mir, weil ich seit Tagen hinterherhinke, obwohl ich nachts meine Adventskalenderbeiträge bzw. Jahresrückblicke schreibe.
Und dann noch die neuen Ideen, die Freude machen.
#ARTagainstECOCIDE - #KUNSTgegenÖKOZID
#RÜCKENWIND&graswurzelpresse
#LeNa_NaWo_imJahreskreis
#KommunikativeAwareness
#Frauen*_im_Widerstand, gegen Rechts, für sozialökologische Wende
#mirtutdasherzweh
#KlimaEhrlichkeit muss ein ehrliches Zugeben der eigenen Überlastung sein.
Mir wird immer deutlicher, dass wir uns gegenseitig vorspielen, wir würden ein Pensum entspannt und mit Leichtigkeit schaffen, das kein Mensch entspannt und mit Leichtigkeit schaffen kann. Es macht uns alle krank. Aber wehe, wir würden das zugeben! Es würde sich wie individuelles Versagen anfühlen. Es ist beschämend vor all den anderen, die entspannt und mit Leichtigkeit ein Pensum schaffen, das ich auch packen muss, sonst stimmt mit mir was nicht.
Oder denken die anderen von mir auch, dass ich ein Pensum entspannt und mit Leichtigkeit schaffe, das sie auch packen müssen, weil ich es auch immer so sage: Mir geht`s gut. Danke der Nachfrage.
Wir bluffen uns gegenseitig und betrügen uns selbst.
Ich denke an den Luxuszug, der durch eine verbrannte und zerstörte Welt rast - in Tribute von Panem. Den Mann, der sich im hohen Alter damit abmüht, den Boden unfruchtbar zu machen, weil er irgendwie glaubt, dass sich diese Art von “Recht und Ordnung” besonders an Feiertagen gehört, haben wir längst hinter uns gelassen.
Ich sitze auf der Orgelbank und begleite Dekadenz, mache Tischmusik zum Weltuntergang.
Jetzt reicht es aber wirklich! Schluss damit! Nächstes Jahr sage ich Nein dazu.
Ich begleite keine Weihnachtsgottesdienste mehr.
Wir müssen diese Scheinheiligkeit beenden.
Nur, wenn wir uns klarmachen, was Phase ist, können wir was daran ändern.
Es gibt gerade ganz viel Neues bei Rückenwind & graswurzelpresse und bei ARTagainstECOCIDE - KUNSTgegenÖKOZID zu entdecken.
Nicht Verdrängung. Nicht Verzweiflung. Sondern Mut zum Hinsehen!
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