Frage nach Informationen, nicht Meinungen
Du möchtest Communitys besser verstehen? Du würdest gern mehr Abos oder Mitgliedschaften verkaufen? Mein Community-Marketing-Newsletter „Blaupause“ macht dir dabei Mut. Diese Woche: Die drei Community-Temperaturen, Teil 2: warm.
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In der vergangenen Woche ging es hier um Communitys, die sich nicht sehr aktiv anfühlen, aber dennoch wie eine Community funktionieren („Kühle Communitys sind cool“). Der Newsletter kam gut an, danke für die netten Reaktionen. Ich vermute, weil es sich um eine Textsorte handelt, die meine Kollegin Theresa „Absolution“ nennt. Man vermutet, etwas nicht so toll zu machen, und liest dann einen Text, der sagt: Stimmt nicht – ist alles völlig in Ordnung, wie du das handhabst. Also stellt sich eine gewisse Erleichterung ein. So ähnlich wie im Katholizismus die Beichte eine entlastende Wirkung haben kann.
Ich nehme davon nichts zurück – die meisten Communitys sind einfach zufrieden mit einem niedrigen Interaktionslevel. Aber da kann mehr gehen.
Wie aus dem Empfangen ein Antworten wird
Eine andere Qualität bekommt eine Community dann, wenn aus einer Senden/Empfangen- eine Senden/Antworten-Beziehung wird. Wenn also die Leser:innen oder Zuschauer:innen nicht einfach nur passiv konsumieren, sondern wenn ein Dialog stattfindet mit dem Creator, und wenn das erwünscht ist.
Bitte nicht missverstehen: Ich meine nicht die Sorte Crowd-Dialog, die wir uns in den Jahren des Social-Media-Booms gegenseitig angewöhnt haben. Diese Nummer funktioniert so: Ich als Creator will meine Reichweite maximieren und möglichst viele neue Follower, Likes, Shares erreichen. Dazu muss ich den großen Elektro-Gott manipulieren, nämlich den Algorithmus des jeweiligen Sozialen Netzwerks, liebevoll „Algo“ genannt.
Hör auf, Algos zu manipulieren
Algos belohnen „Engagement“. Alles, was die User dazu bringt, in der jeweiligen App aktiv zu sein, ist gut für die App, dann dadurch verlängert sich die Zeit, die jemand täglich dort verbringt, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Person häufiger wiederkommt. Also kann das Netzwerk mehr Personen häufiger und länger Werbung anzeigen und damit noch mehr Geld scheffeln.
Bald beginnen Creators, künstlich Engagement zu erzeugen, sie machen sich selbst und ihre Community zum Teil der Maschine. Am ehrlichsten, aber auch am unwürdigsten: Sie schreiben: „Lass mal ein Like da, damit dieses Video große Reichweite bekommt.“ Eine effektivere Methode (mit katastrophaler Wirkung) ist es, Emotionen zu schüren. Das geht ganz einfach: Schreib etwas, das kontrovers ist und möglichst extreme Zustimmung oder Ablehnung provoziert. Schon regen sich alle auf, schreiben noch extremeren Mist dazu, und nach kurzer Zeit wirft irgendwer irgendwem irgendeinen -ismus vor, es folgt dann bald der Hitler-Vergleich (vergleiche Godwin’s Law (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)).
Das ist leider ein Erfolgsrezept. Die Reichweite steigt. Man kann damit amerikanischer Präsident werden, eine rechtsextreme Partei in den Bundestag bringen und Communitys für die beklopptesten Ideen schaffen, zum Beispiel die, Deutschland wäre eine Firma, kein Land. Danke, Facebook, YouTube und Twitter! Allerdings funktionieren so auch einige öffentlich-rechtlichen Talkshows.
Frage nicht nach Meinungen, frage nach Informationen
Diese Vollkatastrophen meine ich also schon mal nicht. Wie geht es besser? Relativ einfach: Frage nicht nach Meinungen, frage nach Informationen.
Wie letzte Woche erwähnt, besagt die 90:9:1-Regel, dass nur 1 Prozent des Publikums Interesse an Interaktion haben. Die Art des Engagements und damit die Qualität der Community hängt damit zusammen, welche 1 Prozent du aktivierst. Die mit den vielen extremen Meinungen wird ähnlich gestimmte Leute anziehen: Miesepeter mit zu viel Tagesfreizeit und mit einer radikalen Meinung zu allem und jedem erreichst du mit der Frage: „Was meint ihr dazu?“ Meinungen sind billig. Es gibt zu viele davon.
Die 99 Prozent Vernünftigen jedenfalls wirst du so vergraulen. Das sind die, die sich fast nie an solchen Social-Media-Faustkämpfen beteiligen. Wenn du es schaffst, dass diese Leute nicht nur konsumieren, sondern dir zurückschreiben, dann ist das der Kern einer gesunden Community.
Das Problem dabei ist natürlich, dass ich tausend Mails beantworten müsste, wenn alle Blaupause-Leser:innen jede Woche zurückschreiben würden. Das funktioniert nicht. Die meisten Medien tun darum ihr möglichstes, keine wahren Communitys entstehen zu lassen. Sie haben keine Zeit für ein Massen-Gespräch und auch überhaupt keine Lust. Leser:innen als Gesprächspartner sind in der Kultur der Massenmedien nicht vorgesehen.
Aber es gibt Formen, solche 1-zu-viele-Kommunikation zu organisieren. Zum Beispiel Online-Umfragen. Sie helfen bei der Selbstselektion der Teilnehmenden: nur, wenn ich etwas beizutragen habe, antworte ich. Und nur dann rechne ich mit einer Antwort.
3 Beispiele
Auf diesem Prinzip basiert das Magazin Krautreporter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), das ich mitgegründet habe. Statt – wie bei Social Media – Meinungen abzufragen und Gemüter künstlich zu erhitzen, fragen wir nach Informationen, die dabei helfen, den großen Zusammenhang besser zu verstehen. Die Community ist also unser Superhirn von Expert:innen in ganz unterschiedlichen Bereichen, je nachdem, was gerade interessant ist auf der Welt.
Ein anderes Beispiel ist Andreas Rickmanns erstaunlich große und aktive Community „Verliebt in Köln“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Hier geht es ums Wetter, um Mundart, regionale Küche und den Karneval. Die Leute verhalten sich wie Nachbarn – sie teilen Interessantes oder Amüsantes zum gemeinsamen Interesse, in diesem Fall die Liebe zu ihrer rheinischen Heimatstadt.
Die „Weight Watchers“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sind – so höre ich, mein Übergewicht ist noch nicht weit genug fortgeschritten, um selbst Mitglied zu sein – eine super Community, in der sich die Mitglieder gegenseitig motivieren, statt sich fertig zu machen. Sollte das stimmen, ist es gerade bei diesem Thema eine echte Leistung.
Wo fange ich an?
Mit einer Umfrage. Frag nach etwas, das du nicht weißt, was du aber gern wissen würdest, um damit einen Text zu schreiben oder einen Podcast aufzunehmen. Frag nach Kontaktdaten. Nutze deine Community als Quelle.
Ich kann diese Plattformen dafür empfehlen (von Google Forms oder Survey Monkey würde ich eher abraten).
Typeform (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): Umfrage-Tool aus Barcelona. Tolles Interface, angenehm zu benutzen. Das kostenlose Paket ist inzwischen sehr beschränkt, ein Abo kostet ab 25 Euro im Monat.
Tally (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): Flexiblere, noch einfachere Variante, dazu ein sympatisches, gebootrapptes Zwei-Leute-Startup aus Belgien. Kostenlos, wenn man mit dem Branding leben kann, danach ab 25 Euro im Monat.
Airtable (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): Krasses Datenbank-Tool, aber dennoch gut zu nutzen auch als Umfrage-Oberfläche. Ziemlich lang kostenlos, danach ab 10 Dollar im Monat.
Remember: Die Wärme der Community ist hier immer noch eine kollektive Illusion; die meisten Community-Mitglieder bleiben passiv. Nur hat die Illusion eine andere Qualität: Im Prinzip sind alle bereit, mitzumachen, wenn ihre Expertise eines Tages gefragt ist. Wir sind ein Team, wir teilen Werte und Interessen. Als Teil dieser Community ist man auf merkwürdige Art befreundet.
Wie wird aus so einer warmen Community eine heiße Community? Und woran erkennt man sie überhaupt? Dazu mehr im letzten Teil der Community-Trilogie, dann schon im neuen Jahr.
Happy Holidays und guten Rutsch!
👋 Sebastian
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