Woher nehmen und nicht stehlen?
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Vor einer Woche war zum ersten Mal Susanne dabei, die ihren sicher gutbezahlten Job bei einer internationalen Tech-Plattform aufgegeben hat, um ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Wie eigentlich immer sieht ihre Erfolgskurve nicht aus wie eine nach rechts oben zeigende ungekochte Spagetti-Nudel, sondern wie ein großer Teller Carbonara, vorschriftsmäßig verrührt. Was nicht etwa dazu führt, dass sie aufgibt. Stattdessen iteriert sie weiter konzentriert auf ihrem Rätsel herum, auf der Suche nach dem passenden Geschäftsmodell, nach Wachstum und Profitabilität. Ich bin ziemlich sicher, dass sie das bald hinbekommt.
Gute Frau also, von der ich einiges gelernt habe. Unter anderem – da ging es um die Blaupause der vergangenen Woche ("Content skaliert nicht" (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)) – hat mich Susanne auf diesen 13 Jahre alten Blog-Post (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) des amerikanischen Programmierers Paul Graham aufmerksam gemacht. Darin etabliert der Gründer des Accelerators Y Combinator (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (wem das alles nichts sagt, bitte einfach ignorieren und weiterlesen) einen neuen Fachbegriff: ramen profitable. Der Name bezieht sich dabei auf ein Fertiggericht, nämlich die ikonische Ramen-Suppe aus dem Plastikbecher. Aufgegossen mit heißem Wasser ist das so ziemlich die billigste Mahlzeit, die man in einem amerikanischen Supermarkt kaufen kann. (Ganz ehrlich: Es gibt schlimmeres Essen.)
Warum du an Geld scheitern könntest
"Ramen-profitabel" ist ein Unternehmen dann, wenn du kein Geld mehr auftreiben musst, um zu überleben. Du verdienst also eine Summe, die dich gerade so am Leben hält – zur Not mit Plastikbechersuppe – und deine möglichst geringen Kosten deckt. Graham fand damit ein schön-schreckliches Bild für die Startup-Strategie, auf die die meisten Creators wie du wahrscheinlich zurückgreifen, um nicht aufgeben zu müssen, bevor es richtig losgeht. Das Wichtigste an dieser Art von Rentabilität ist, dass man nicht mehr von der Gnade der Investoren abhängig ist. So lang dein Unternehmen Geld verbrennt, musst du entweder Investoren finden oder dicht machen. Bist du aber Ramen-profitabel, kannst du einfach weitermachen.
Ich versuche mal, das Problem grafisch darzustellen.
Bis dein Umsatz die Kosten deckt (der Break Even), bewegt sich dein Kontostand immer weiter ins Minus. Es sei denn, du hast Investoren, Ersparnisse oder andere Geldquellen. Verfolgst du die Strategie der Ramen-Profitabilität, müssen die Kosten runter. Je weniger du in dieser Phase ausgibst, desto besser. So lang isst du Fertig-Ramen.
Der Trick ist, nicht zu sterben
Ramen-Profitabilität ist natürlich nicht das Ziel, so ein Leben wäre auf Dauer traurig. Graham schreibt: "A startup's destination is to grow really big; ramen profitability is a trick for not dying en route." Denn tatsächlich scheitern ein Drittel der Start-ups unter anderem daran, das ihnen das Geld ausgeht. Der einzige noch häufigere Grund: Niemand interessiert sich für das Produkt.
Wie in der Blaupause von letzter Woche schon angedeutet: Meiner Meinung nach sind viele der üblichen Startup-Regeln auf Creator-Gründungen gar nicht anwendbar. Ein klassisches Startup-Investment ist sehr unwahrscheinlich, es fehlt normalerweise der Weg zur steilen Skalierbarkeit.
Auch glaube ich, dass es für sehr junge Gründer:innen, die direkt nach dem Uni-Abschluss gründen, schwierig ist, ein erfolgreiches Medien-Startup hinzubekommen. Die Mark Zuckerbergs dieser Welt können sich an diesem Punkt in ihrem Leben auf der Höhe ihrer Kompetenzen befinden, weil sie gerade an einer Elite-Uni im Studierendenwohnheim von anderen brillanten Ingenieur:innen umgeben waren. Jungen Creators und Journalist:innen dagegen fehlen die Erfahrungen und das Netzwerk, meistens auch noch die persönliche Social-Media-Reichweite.
Es ist unfair, Absolvent:innen für die Zukunft der Medien™ verantwortlich zu machen, nur weil sie aussehen wie Klischee-Gründer:innen. Deswegen ist es schlecht, wenn Gründungsförderungen an genau diese Bedingung geknüpft sind. Rein statistisch am erfolgreichsten sind schließlich Gründer:innen zwischen 40 und 50 (siehe Grafik).
Mittelalte Gründer:innen sind am erfolgreichsten. Quelle: Azoulay, Pierre, Benjamin F. Jones, J. Daniel Kim, and Javier Miranda. 2020. "Age and High-Growth Entrepreneurship." American Economic Review: Insights, 2 (1): 65-82. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Wie kommst du jetzt in diesen magischen Zustand der Ramen-Profitabilität? Meiner Meinung nach gibt es dazu einen goldenen Weg. Und es gibt einige akzeptable Kompromisse.
Kompromiss 1: Gründungsförderung
Es gibt in Deutschland hervorragende Programme spezieller Institute der Landesmedienanstalten, die Creators helfen, ein Medien-Startup zu gründen. Die mir bekannten sind das Journalismus Lab (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in Nordrhein-Westfalen, das Media Lab Bayern (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), das Medieninnovationszentrum Babelsberg (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in Berlin-Brandenburg und Next Media Hamburg (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). (Offenlegung: Mit allen habe ich in irgendeiner Form schon etwas zu tun gehabt oder zusammengearbeitet.)
Es gibt viele Vorteile so einer Förderung. Der Kompromiss besteht meiner Meinung nach darin, dass die Institute selbst stark reguliert sind. Mal dürfen sie nur Technologien fördern, aber keine Inhalte; mal braucht es Ausschreibungen, dann wieder findet die nächste Sitzung erst in mehreren Monaten statt und so weiter. Ehe man es sich versieht, ist man Rädchen im Getriebe einer staatlichen Institution, die – aus guten Gründen – jede Menge Regeln zu beachten hat. Das hält auf und lenkt ab.
Der wichtigste Nachteil ist aber meiner Meinung nach ist aber, dass die Fördersummen zu niedrig sind. Das alles bewegt sich im Rahmen von Ramen. Was okay wäre, wenn nicht dieser zusätzliche zeitliche und bürokratische Aufwand entstünde. Im Grunde finanzierst du dir mit der Förderung die Möglichkeit, am Programm teilzunehmen. Aber nicht die eigentlich wichtige Arbeit an deinem Startup. Darum entstehen häufig interessante Projekte, aber zu selten wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen.
Möglicherweise setze ich mich mit dieser Meinung in die Nesseln, möglicherweise fehlen mir Informationen und möglicherweise ist das alles unfair. Ich kenne einige, die von diesen Programmen enorm profitiert haben, auch ich selbst. Die Leute, die dort arbeiten, sind keineswegs verschnarchte Bürokrat:innen, ganz im Gegenteil. Ich wünschte, in manch großem Medienunternehmen gäbe es ähnlich viel Kreativität und Kompetenz. Ich finde diese Institutionen also grundsätzlich sehr gut. Es geht mir nur um Erwartungsmanagement.
Auch die großen Social Media-Platformen bieten Gründungsförderung an: Google, Youtube, Meta (Facebook), Tiktok und Spotify fördern Creators. Man muss kein Zyniker sein, um Eigeninteressen dahinter zu vermuten, ob politische oder wirtschaftliche. Dir kann das egal sein. Steady jedenfalls würde es ohne das Geld der Google Digital News Initiative (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) nicht geben; mehr dazu wahrscheinlich in der nächsten Blaupause.
Auch den Prototype Fund (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) solltest du dir mal angucken, die Initiative Vocer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und das European Journalism Centre (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Die EU stellt immer wieder enorme Förderummen zu Verfügung (hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) oder hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)), die Beantragungs-Spezialisierte offenbar auch bekommen (ich kann sowas nicht).
Wer noch weitere Programme und Förderungen kennt, kann sie mir gern schicken, ich lege dann eine vollständigere Liste an und veröffentliche sie.
Kompromiss 2: Stiftungen und Gemeinnützigkeit
Machen wir es kurz, denn ich fühle mich unterqualifiziert: Um Geld von gemeinnützigen Stiftungen zu bekommen, muss du im Normalfall selbst als gemeinnützig anerkannt sein. Das ist Journalismus im Moment nicht. Könnte sich aber bald ändern, und es gibt Ausnahmen.
Das Ziel des Forums Gemeinnütziger Journalismus (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist die Anerkennung von Journalismus als gemeinnützig. Es gibt schon heute Konstrukte drumherum, das beweisen Projekte, die ich respektiere, wie Netzpolitik, Finanztip oder Correctiv. Die wichtigsten mir bekannten Stiftungen, die sich für Journalismus engagieren, sind die Augstein-Stiftung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die Schwingenstein-Stiftung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (diese beiden haben Krautreporter schon großzügig gefördert, trotz unserer Nicht-Gemeinnützigkeit) und die Schöpflin-Stiftung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Gerade im lokalen Journalismus könnte Gemeinnützigkeit in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Für ein Startup lohnt es sich aber normalerweise nicht, diesen Status anzustreben. Gewinne Versteuern ist gerade nicht dein Problem, und an 7 Prozent Mehrwersteuern wirst du auch nicht scheitern.
Kompromiss 3: Impact-Investor:innen
Klassische Risikokapital-Geber werden nicht in Content-Startups investieren. Es gibt aber Investor:innen, denen es nicht um den Profit geht, sondern die an einer ideellen Rendite interessiert sind. Der return of investment besteht für sie nicht in mehr Geld, sondern in mehr Journalismus, mehr Demokratie, impact. Erfolgreiche und dadurch reiche Menschen sind meiner Erfahrung nach nicht notwendigerweise gierig. Im Gegenteil gibt es immer mehr wohlhabende Menschen, die sich Gedanken darüber machen, wie sie mit ihrem Geld etwas Sinnvolles tun, selbst wenn sie es nicht von der Steuer absetzen können. Früher nannte man das Mäzenatentum. Heute heißt es Impact Investment.
Fragst du dich jetzt, wo man diese Menschen findet? Also, ich kenne hunderte von ihnen, genauer gesagt mindestens 547. Das ist die Zahl der Menschen, die Anteile an der Krautreporter-Genossenschaft (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) besitzen. Auch die Taz gehört bekanntlich einer Genossenschaft (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), bestehend aus so vielen Mitgliedern wie noch nie: Fast 22.000 sind es inzwischen. Ein weiteres Beispiel sind die von einer Genossenschaft getragenen Riffreporter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Eine Genossenschaft zu gründen ist allerdings aufwändig, wovon KR-Mitgründer Philipp Schwörbel ein Lied singen kann, der einige Endgegner niederringen musste, bis alles notariell beglaubigt war. (Das radikal einfacher zu machen, versucht die Initiative #GenoDigitalJetzt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).) Aber auch ohne Genossenschaft sind manche Investor:innen bereit, Geld gegen Anteile zu tauschen. Rums (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist von Lokalpatriot:innen aus Münster getragen. Und Neue Narrative (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist ist ein Medienunternehmen, das durch das Modell des Verantwortungseigentums (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) profitables Wirtschaften und gesellschaftlichen Auftrag zusammenbringt und dadurch trotzdem Investor:innen an Bord haben kann.
Der Kompromiss: Investoren zu finden hält enorm auf. Es ist viel Arbeit bei unbekannten Erfolgsaussichten. Und danach gehört dir dein Unternehmen halt nicht mehr allein. Du kannst nicht mehr tun und lassen, was du willst. Es ist einfacher, sich scheiden zu lassen, als Mit-Gesellschafter wieder loszuwerden.
Kompromiss 4: Side Hustles
Solange das Produkt selbst noch nicht genügen Geld abwirft, arbeiten viele Gründer:innen nebenher. Sie freelancen zum Beispiel in ihrem alten Job, geben Workshops oder kellnern. Der amerikanische Begriff dafür lautet Side Hustle, also in etwa "Nebenbei-Hektik", und das trifft es ganz gut.
Das Internet bietet mindestens hunderte Möglichkeiten, mit einem Side-Hustle Geld zu verdienen, oder gleich mehrere Hektiken zu kombinieren. Der Side Hustle Stack (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist eine Liste mit Plattformen für folgende Tätigkeiten: Adult Content Creator, Audio Content Creator, Chef, Coach, Community Leader, Content Creator, E-commerce, Event Organizer, Driver, Fitness Instructor, Gamer, Livestreamer, Personal Shopper, Pet Caretaker, Podcaster, Rentals, Reseller, Restaurant Worker, Salesperson, Tasks & Services, Teacher, TechVideo Course Creator, Writer. (Ganz recht: "Adult Content Creator" bedeutet, sich auszuziehen und die Bilder gegen Geld anzubieten.)
Die Nachteile dieser Lösung sind offensichtlich, denke ich. Ein Side-Hustle lenkt ab vom Kernprodukt. Einen nicht-offensichtlichen Nachteil beschreibt der Medienwissenschaftler Christopher Buschow in einer schon älteren Studie. Seiner Forschung zu Folge führt diese Methode bei vielen Medien-Gründungen dazu, dass das Geldverdienen sich mehr und mehr von den Inhalten abkoppelt, bis du dich vielleicht fragst, ob du nicht lieber dein Side-Hustle zum Beruf machen solltest: "Warum aber soll in einem Unternehmen überhaupt journalistische Arbeit stattfinden, wenn doch Gewinne vor allem abseits dieser erzielt werden? Wer so denkt, verabschiedet sich Schritt für Schritt von der personalintensiven und kostspieligen Journalismusproduktion", beschreibt er als Grund (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), warum journalistische Startups häufig irgendwann aufhören, Journalismus zu produzieren. (Danke Martin Wiens für diesen Hinweis.) Ohne es zu planen, wirst du nach und nach zu dem B2B-Dienstleiter, der du nie sein wolltest.
Kein Kompromiss: deine Community
Meiner Meinung nach der beste Weg zur Ramen-Profitabilität für Medien-Gründer:innen ist die eigene Community. Ich werde diese Strategie in einer späteren Blaupause nochmal ausführlich beschreiben, aber hier die Kurzversion:
1. Du machst öffentlich, was du vorhast.
2. Du erklärst schonungslos offen, wie viel Geld du brauchst, um Ramen-profitabel zu werden.
3. Du bietest allen, die diese Idee gut finden an, sie zu ermöglichen, indem sie dir einen Vertrauensvorschuss geben und Geld zusammenlegen.
Du denkst jetzt wohl gerade: Oh no, ein Crowdfunding. Falsch! Eine Kickstarter-artige Sammel-Aktion ist eine einmalige Sache, ein Strohfeuer. Man sammelt Geld, gibt es aus und ist dann wieder da, wo man angefangen hat. Eine Membership-Kampagne dagegen ist der Beginn einer anhaltenden Beziehung zwischen dir und deiner Community, die sich unter anderem in Geld ausdrückt. Gemeinsam startet ihr dieses Projekt und etabliert dadurch gleich das Geschäftsmodell: wiederkehrende Zahlungen. Du hast erste monatliche Einnahmen und kannst anschließend beginnen, an dem schwierigen Rest zu arbeiten: Was genau ist ein Produkt, das funktioniert? Wie erreiche ich meine Zielgruppe und wer ist das so genau? Wie funktioniert Wachstum? Und so weiter. Aber der Samen ist im Boden.
Memberships sind ein nachhaltiges, stabiles Geschäftsprinzip. Ich finde, es ist für Creators und Journalist:innen das beste, und auf kurz oder lang wird es zumindest einen Teil deiner Einnahmen ausmachen (müssen).
Aber ich weiß auch, dass die Membership-Kampagnen-Strategie manchmal einfach nicht passt. Zum Beispiel, weil die Idee noch nicht fertig und damit attraktiv genug ist. Oder weil du keine Reichweite hinbekommst. Oder schlicht, weil das Leben dazwischenkommt und du höhere Kosten hast. Weil: Familie, Kinder, vielleicht sogar ein Auto! Oder du gibst den Lebensstandard einer Festanstellung auf, von dem du schlicht nicht so leicht wieder runterkommst. Deswegen brauchst du mehr Geld. Und das bedeutet: Kompromisse machen.
Bis nächsten Montag,
👋 Sebastian
PS: Beim Schreiben dieser Blaupause fällt mir wieder mal auf, wie viel Förderung ich selbst und meine Projekte schon erfahren haben, und wie wichtig das war. Ohne Unterstützung wäre vieles nicht möglich gewesen. Ich hoffe, ich habe euch, die sich gerade angesprochen fühlen, oft genug danke gesagt.
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