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Schubladen.

Über die Frage, ob wir uns wirklich unbedingt auf eine Nische festlegen müssen, um erfolgreich zu sein: Gedanken über künstlerische Klarheit und menschliche Verwirrung.

Gerade eben stand ich vor meiner „Wichtige Unterlagen“-Schublade und quetschte fünf weitere Umschläge zu einem Stapel weiterer geöffneter Briefe, die ich irgendwann, vermutlich sobald die Schublade sich nicht mehr schließen lässt, erneut sichten und in die entsprechenden Ordner sortieren werde. Ein altbewährtes System und irgendwie eine lieb gewonnene Beschäftigung für Regentage, an denen meine gesamte Vinylsammlung eine Runde auf dem Plattenspieler dreht oder Der Pate I bis III auf dem Bildschirm flimmert. Der Blick fällt auf meine Musiksammlung und ich denke darüber nach, wie erstaunlich es ist, wie viele verschiedene Genres sich hier Rücken an Rücken tummeln. Im Grunde ist das alles doch Musik. Reicht diese Kategorisierung nicht? Jedes Mal, wenn mir jemand die Frage stellt, welche Musik ich gerne höre, freue ich mich zwar über das Interesse, bin gleichzeitig aber auch heillos überfordert und ende in einer völlig willkürlichen Aufzählung von Bands, Künstler:innen und Genres, die vermutlich auch heißen könnte: eigentlich alles. Das stimmt dann aber auch wieder nicht so richtig, denn es gibt eine nicht unerhebliche Menge an Musikstücken, die ich gerne meide, aus allen möglichen Richtungen. Ähnliche Szenen spielen sich ab, wenn es um die Bücher geht, die ich lese. Es gibt nicht das eine Genre, das ich als meinen Favoriten bezeichnen kann. Ich mag viele Krimis, aber genauso viele Romane, Sachbücher, Gedichte - doch nicht jedes Werk aus der jeweiligen Sparte trifft meinen Geschmack und es ist doch auch immer ein wenig stimmungsabhängig, was man gerade liest oder nicht?

Während ich bei dieser Frage als Kunst-Konsumierende doch immer wieder eine halbwegs zufriedenstellende Antwort zustande bringe, eventuell auch, weil es meinem Gegenüber ähnlich geht, wird mir diese Situation als Autorin zum Verhängnis. Mittlerweile gehen mir die Worte: „Ich schreibe“ oder „Ich bin Autorin“ (in bescheidenen Momenten füge ich ein „angehende“ hinzu), recht locker über die Lippen. Folgt daraufhin allerdings die Frage, was ich denn schreibe, wird es ein wenig neblig vor meinem inneren Auge und es folgt nicht selten eine wilde Aufzählung aus Kurzgeschichten, Gedichte, einen Roman, ein Sachbuch, einen Newsletter - eigentlich alles, aber nicht alles. Werde ich nach bestimmten Schreibprojekten gefragt, kann ich stundenlang darüber erzählen oder sie kurz und knapp betiteln, doch wenn es um das große Ganze, das Schreiben an sich geht, herrschen gleichzeitig Leere und überfülltes Chaos. Auch wenn diese Unklarheit menschlich und gerade bei kreativ Tätigen offiziell anerkannt ist, ärgere ich mich darüber. Heißt das, ich habe mein Genre noch nicht gefunden? Werde ich meine Nische jemals finden? Muss ich das denn überhaupt und warum kann ich nicht mehrere Schubladen bedienen? Ist das normal? Maximale Verwirrung. Wenn ich meine bisherigen Werke aufzähle, dann ist da kein roter Faden, es gibt von allem ein bisschen und von dem einen eben ein bisschen mehr, an anderer Stelle weniger. Ich habe das Gefühl, es ist auch vollkommen in Ordnung, dass das so ist. Doch wenn ich mir die Schriftsteller:innen ansehe, die ich bewundere oder deren Werke ich zumindest gerne lese, dann haben sie eines gemeinsam: Sie passen in ein Genre. Ihre Namen sind ein Garant für Krimis, Liebesromane, Komödien, Dramen. War das schon immer so? Wusste Charlotte Link von der ersten Zeile an, dass sie Kriminalromane schreiben würde? Oder passiert das vielleicht einfach, wenn man bei einem Verlag unterkommt, erfolgreich ist und die Leserschaft irgendwann eben genau diese Art von Buch erwartet - liefern diese Autor:innen einfach nur noch ab, was von ihnen verlangt wird? Ist das dann noch Kunst?

Dabei stellt sich mir die Frage, ob es wirklich erstrebenswert ist, von seiner Kunst zu leben, wenn man dabei schlichtweg abliefert und die künstlerische Freiheit, von der immer alle sprechen, nur noch innerhalb des jeweiligen Verlagsprogramms oder Plattenlabels stattfinden darf. Was, wenn man dann zwar erfolgreich ist, aber nicht mit dem, was man eigentlich tun möchte? Ist man dann nicht wieder am Anfang angekommen?

Diese Fragen muss, so denke ich, jede:r für sich selbst beantworten und wie immer gestalten sich Situationen immer individuell. Obwohl es einer gewissen Anstrengung bedarf, all diese Gedanken zu sortieren, insbesondere so viele Fragen mit sich herumzutragen, helfen mir genau diese Denkprozesse ungemein. Sie helfen mir dabei, zu verstehen, dass Vergleiche nicht zielführend sind, in der Kunst schon gar nicht und auch sonst. Dass wir Menschen uns gerne an anderen messen, ist nur natürlich, gleichwohl möchte ich daran arbeiten, dies in einem möglichst kleinen Rahmen stattfinden zu lassen. Denn ganz gleich, wie viele Vergleiche ich anstelle: Wo führen sie mich am Ende hin? Vielleicht lande ich irgendwann in derselben Schublade wie mein Vorbild. Aber ob ich dort wirklich sein möchte, weiß ich gar nicht. Für den Moment ist es wohl das Beste, den Weg zu genießen, sich alle Schubladen, die einen anlachen, mal anzugucken und später zu entscheiden, in welcher ich mich wohlfühle oder ob es nicht doch angenehmer ist, sie von außen zu betrachten und nur ab und zu mal hineinzuschauen.

Eine grundsätzliche Sache, von der ich mir sehr wünsche, dass sie noch sicherer in meinem Kopf sitzt: den Ist-Zustand genießen. Das Jetzt einfach sein lassen und seine Schönheit anerkennen. Nicht immer irgendwo hinwollen oder sehen, wo es als Nächstes hingehen könnte. Der Gegenwart Aufmerksamkeit schenken. Der Gedanke, dass ich vor fünf Jahren noch genau auf diese Gegenwart, wie ich sie heute erlebe, hingefiebert habe, hilft mir immer wieder dabei, den Moment zu schätzen und voll auszukosten. Dieser Tag war irgendwann mal meine heiß ersehnte Zukunft - die will ich nicht mit dem Kopf in irgendwelchen Schubladen verbringen.

Mit euch verbringe ich mein Jetzt umso lieber, deshalb möchte ich dir passend zum heutigen Zitat einen kleinen Ist-Moment aus meiner Plattensammlung schenken, der einfach mal genossen werden darf. Einfach so.

Bis nächste Woche!

Alles Liebe

deine Sarah

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