Dunkelheit.
Gedanken über hell und dunkel: Welche Harmonie Gegensätze erschaffen können und was es bedeutet, im Einklang mit mir selbst zu sein.
Es ist bereits Sonntagabend und diese Zeilen erreichen euch quasi in Echtzeit. Vielleicht kehrt dieser Newsletter irgendwann zu „6 Uhr früh in deinem Postfach“ zurück, doch für den Moment erlaube ich mir, ihn dann zu schreiben, wenn mir danach ist - und hoffe, dich als Leser:in auch mit ein wenig Unregelmäßigkeit weiterhin zu erreichen.
Die Stadt hüllt sich heute in Nebel und Dunkelheit, sodass es meine Wohnung wieder einmal zum wohl gemütlichsten Ort der Welt für mich wird. Das ist sie auch bei Licht und Sonnenschein, doch gerade in dieser Zeit fühlt es sich an, als würde sie mich in den Arm nehmen. Wie geht es dir mit der nun früh anbrechenden Dunkelheit? Mir sind in den vergangenen Tagen die Worte „Herbst-Blues“ und „Winter-Depression“ zu Ohren gekommen. Obwohl ich durchaus verstehen kann, dass sich diese Jahreszeit für viele schwer anfühlen kann, genieße ich sie immer wieder aufs Neue. Gefühlt auch mit jedem Jahr mehr. Für mich bedeuten die frühe Dunkelheit, der dichte Nebel und kalter Nieselregen geschenkte Zeit. Momentan werde ich selten gefragt, ob ich abends nach der Arbeit noch etwas unternehmen möchte, denn alle wollen einfach nur nach Hause und sich einkuscheln. Es sei denn, man befindet sich in seiner Winter Arc - grundsätzlich finde ich den Gedanken, mit dem Erreichen seiner Ziele nicht bis Januar zu warten sehr gut. Dennoch entscheide ich mich lieber dafür, das ganze Jahr so zu leben, dass ich meine Zeit so nutze, wie ich es für richtig halte.
Jedenfalls merke ich, wie die Dunkelheit mir als ruhiger Raum dient, in dem ich all das tun kann, wofür es mir bei Tageslicht zu laut ist und wofür ich im Sommer zu müde bin, wenn draußen endlich die Lichter ausgehen. Ich mag die lauen Sommerabende sehr, an denen ich noch bis spät mit Freund:innen am Wasser entlangspaziere oder auf der Terrasse des Lieblings-Mexikaners sitze, bis die Gehwege hochgeklappt werden. Doch für meine Kreativität ist das Dunkel ein Segen und gleichzusetzen mit Ruhe im Innen und Außen. Vor einiger Zeit sprachen wir darüber, dass das kreative Dasein ein Kreislauf ist. Es gibt Phasen, in denen erleben wir Dinge bewusst und unbewusst, wir denken vielleicht gar nicht ans Schreiben oder anderes künstlerisches Tun oder überlegen, dass wir gerade gar nicht dazu kommen. Diese Zeit brauchen wir ebenso wie die, in der wir unsere Gedanken umherschwirren lassen, bis sie schließlich ihren Platz in unserem Kopf gefunden haben und bereit sind, durch unseren Körper hindurch auf die Tasten zu fallen oder schwungvoll zu Papier gebracht zu werden. Vielleicht sind es auch klingende Gedanken und sie stolpern über die Saiten einer Gitarre nach Draußen. Sobald wir alle Ideen in die Freiheit transportiert haben, sorgen wir für Nachschub und so passiert dieser Kreislauf immer und immer wieder. Die Länge der einzelnen Phasen kann variieren und uns beunruhigen oder erfreuen, wenn sie länger dauern als beim letzten Mal. Aber am Ende durchlaufen wir den Kreis. Davon bin ich fest überzeugt.
Und so fühlt es sich für mich gerade an: Die letzten Monate habe ich reichlich Gedanken und Eindrücke, Leben, gesammelt, eine Weile gebraucht, um alles zu sortieren und nun kribbelt es in den Fingerspitzen. Sobald ich ein leeres Dokument auf meinem Laptop öffne, ziehen sich meine Mundwinkel von selbst nach oben: so viel Raum für all meine Ideen! Kein Grübeln darüber, was ich denn schreiben könnte, nur an manchen Tagen die Frage: was zuerst? Was für ein Luxusproblem für eine Schriftstellerin, nicht wahr?
Natürlich bedeutet all das nicht, dass ich jetzt innerhalb weniger Wochen den großen Roman vollenden werde, aber darum geht es nicht. Vielmehr bin ich schlichtweg dankbar dafür, diese Freude zu spüren und meine Kreativität ihre Arbeit machen lassen zu können. Für dieses Privileg bin ich nach wie vor zutiefst dankbar. Ist es nicht erstaunlich, wie gegensätzlich dieser Ablauf zu passieren scheint? Im Sommer, wenn die Tage unendlich lang erscheinen und wir vermeintlich so viel mehr Zeit haben, zieht sich meine Kreativität zurück. Heimlich, still und leise sammelt sie das Erlebte und agiert in einer kleinen dunklen Ecke in mir. Sobald es draußen dunkler wird, wagt sie sich aus ihrem Versteck und hat einen Wagen voll Ideen dabei, die zum Teil so groß sind, dass man ganz schön Kraft braucht, um sie zu bewegen.
Ob es wirklich bei jeder und jedem von uns so funktioniert, weiß ich natürlich nicht. Aber mir hilft es, diesen Kreislauf immer im Hinterkopf zu haben. Vielleicht hilft es ja auch dir, in einer Phase, in der einfach nichts auf dem Papier landen will. Es klingt immer so banal, aber: vertraue dem Prozess. Das heißt zum einen, sich nicht verrückt zu machen, wenn (vermeintlich) kreative Flaute herrscht, aber auch, hinzuhören, wenn die Ideen sich leise ankündigen. Und sich dann auch den nötigen Schubs zu geben, ihnen die Tür bzw. ein Word-Dokument zu öffnen. In meinem Fall heißt das auch, an einem Tag in der Woche, meist Sonntag, keine Verabredungen mit Freund:innen oder sonst wem. Nur mit mir und meiner Kreativität. Es fällt mir manchmal schwer, weil die meisten von uns unter der Woche wenig Zeit finden und oft nur das Wochenende bleibt. Doch bisher finden wir immer einen Weg uns zu sehen, auch wenn der Sonntag besetzt bleibt. Ein Tag in der Woche. Diese Verbindlichkeit möchte ich meiner Kreativität schenken. Ich KANN ihr dieses Commitment geben. Ich weiß, dass wir nicht alle so frei sind - aber Verbindlichkeit dem Schreiben oder auch einfach sich selbst gegenüber können auch 10 Minuten am Montagabend oder eine Stunde am Samstagvormittag sein. Feste Termine an sich selbst zu vergeben, egal wie lange sie sind, kann viel bewirken. Auch wenn du in dieser Zeit nicht schreibst: Jedes Mal, wenn du diesen Termin mit dir selbst einhältst, tust du etwas für dich und deine Kreativität.
Nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen: Ich selbst „beherrsche“ all das nicht perfekt. Aber ich möchte mir meiner Beziehung zu mir und meinem kreativen Dasein bewusst sein und sie irgendwie in Einklang mit dem Rest meines Lebens bringen. Denn eines habe ich mittlerweile gelernt: Man darf “das Leben” und das Dasein als Künstler:in nicht als gegnerische Mannschaft betrachten - eine Seite verliert immer, manchmal auch beide. Ich möchte lieber sehen, welchen Teil meines Weges beide gemeinsam gehen können.
Bis nächste Woche!
Alles Liebe
deine Sarah