Passer au contenu principal

Offener Brief aus dem Präventivgewahrsam

Vor genau einem Jahr saß ich für 2 Wochen in der JVA München ein. Im Präventivgewahrsam. Das heißt ich und viele weitere Menschen wurden ohne Verurteilung eingesperrt, einfach nur, um uns davon abzuhalten weiter friedlich für unsere Lebensgrundlagen zu protestieren. An Tag 5 hab ich folgenden offenen Brief verfasst und per Post nach draußen geschickt. 

TAG 5,
Sonntag, 03.09.2023

Durch die offenen Fenster dringt fröhliche Gospelmusik nach draußen. Es ist Sonntag 7:15 und wir haben Hofgang. Die Fenster, an denen wir stehen, um zu gucken und zu lauschen sind vergittert. So wie alle Fenster hier. Es ist kein Konzert. Der Chor singt sich nur ein. Für den Gottestdienst zu dem wir nicht dürfen. Kein Kontakt zu anderen Insassinnen. Während über uns die Sonne final aufgeht drängen wir uns um die offenen Fenster. Mir quellen die Tränen aus den Augen. Noch vor wenigen Monaten habe ich genau das gemacht und gelernt. Einsingübungen, Klavierspielen, Chorleitung… In meine Trauer mischt sich Wut. Ich bin wütend.

Wütend auf die Bundesregierung. Auf die Menschen, die sich haben wählen lassen. Die sich bezahlen lassen dafür, dass sie Verantwortung übernehmen. Eine Verantwortung, die sicherlich nicht leicht zu tragen ist. Aber das ist eben ihr Job. Den haben sie sich ausgesucht. Doch dem Kern ihres Jobs – die Verfassung zu schützen und einzuhalten – werden sie nicht gerecht. Deswegen liegt jetzt Verantwortung auf unseren Schultern. Irgendjemand muss es ja machen. Muss die Regierung an ihren Job erinnern.

2021 hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt: Die Klimapolitik der Bundesregierung ist nicht ausreichend, um unsre Lebensgrundlagen und die zukünftiger Generationen zu schützen. Damit bricht sie Artikel 20a unseres Grundgesetzes Dieser Schrift, die- wie ich so schön im Politikwissenschafts-Studium gelernt habe -  im nicht-kontroversen Sektor liegt. Da stehen Dinge drin, die nicht diskutiert werden können. Das ist Konsens. Was heißt das konkret? Indem die Regierung sich weiter Zeit lässt mit den dringend notwendigen Klimaschutzgesetzen, indem sie immer noch fossile Energieträger fördert und die einfachsten Schutzmaßnahmen – wie ein Tempolimit – nicht umsetzt, riskiert sie eine schier unfassbare Zahl an Menschenleben. Sie setzt unsere, deine, meine und die Zuknft meines 4-jährigen Neffens auf’s Spiel. Macht Politik auf Kosten unserer zukünftigen Freiheiten. Freiheiten, die nicht mehr gewährleistet sind, wenn Essen knapp wird, Trinkwasser ausgeht und ständige Katastrophen, wie Fluten oder Brände uns herausfordern. Und sie macht das bei vollem Bewusstsein. Kann mir niemand erzählen, sie wüsste nichts davon.

Der Gospelchor stimmt das nächste Lied an und jemand nimmt mich in den Arm. Ich weine. Weine um all die Träume, die zerplatzt oder auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt worden sind. Ich wollte mich weiterbilden als Musikerin. Songs schreiben. Vielleicht irgendwann genau so einen Chor leiten. Viele von uns hatten solche Pläne: Medizin studieren, Abi machen, Rente genießen, Familie gründen, … Stattdessen sind wir nun hier in der JVA Stadelheim. Frauentrakt. 10, 12 oder sogar 30 Tage Präventivgewahrsam. Nicht, weil wir verurteilt wurden, sondern um uns von unserem Protest abzuhalten. Um zu verhindern, dass wir weiter friedlich und entschlossen auf die Straße gehen. Damit wir nicht mehr nerven. Nicht mehr warnen können:

Diese schöne, heile Welt, die vor allem hier in Bayern gerne aufrecht gehalten wird ist dabei vor unseren Augen zu zerbrechen!

Ich würde mich gerne vollkommen der Kunst und Kultur widmen. Aber mir ist bewusst: Wenn wir immer häufiger von Naturkatastrophen heimgesucht werden – wie den Unwettern, die in den letzten Wochen hier in Bayern gewütet haben – dann werden wir Prioritäten setzen müssen. Es wird uns Unmengen an Geld kosten unsere Infrastruktur und Wohnungen wieder aufzubauen. Geld, dass woanders gekürzt wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert das zuerst im Kultursektor. Gesicherte Grundlagen, wie funktionierende Bahnstrecken, Straßen, Stromleitungen, Essen und Wasser gehen nunmal vor. Wie kann da noch die Förderung von Theatern, Orchestern oder Musikschulen gerechtfertigt werden.

Aber was, wenn wir es nicht so weit kommen lassen?

Was, wenn immer mehr Menschen auf die Straße gehen und den Verfassungsbruch nicht hinnehmen? Wir haben schließlich noch eine Chance die Katastrophe abzuwenden. Zumindest einzudämmen. Noch ist der letzte Vorhang nicht gefallen. Große Veränderungen brauchen großen Mut. Beides ist grade bitter nötig. Kommen tun sie so oder so. Die Veränderungen. Nur unkontrolliert und gewaltvoll. Durch die eskalierende Klimakatastrophe. 

Uns hat der bayerische Staat erstmal hinter Gitter gebracht. Wir können gerade nicht auf die Straße gehen und protestieren. Aber ihr. Ihr seid draußen. Seid mündige Bürger*innen in einem demokratischen Staat. Ihr könnt ebenso Verantwortung übernehmen.

Mir bleibt gerade nichts anderes übrig, als durchzuhalten. Von künftigen Gospelkören zu träumen, die ich vielleicht mal leiten darf. Und ich kann darüber schreiben und euch davon erzählen. Euch dazu auffordern auch mutig zu sein.

Euch die Frage stellen: Was werdet ihr getan haben?

Wenn wir die gute Veränderung nicht anstoßen macht es niemand.

Was hält dich davon ab?

0 commentaire

Vous voulez être le·la premier·ère à écrire un commentaire ?
Devenez membre de Ronja Künstler et lancez la conversation.
Adhérer