Redensarten Nr. 15 - Wer sich nicht mehr einkriegt, kriegt eins über!

Liebe Redensarten-Freundinnen und Freunde,
willkommen zu meinem fünfzehnten Newsletter.
In meinem letzten hatte ich Euch ja versprochen, Ausdrücke zu behandeln, die sehr häufig benutzt werden. Das will ich heute tun und mich mal mit dem Wort "kriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" beschäftigen, das ja allgegenwärtig ist. Es ist sehr unscheinbar und erscheint wenig spektakulär, ja geradezu langweilig, hat aber eine lange, komplizierte Geschichte (kleiner Spoiler: Es hat tatsächlich was mit dem Krieg zu tun) - aber dazu später.

(Quelle: depositphotos.com (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), bearbeitet)
Das Wort bedeutet ja das Gleiche wie "bekommen", nur eben, dass "kriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" eher der Umgangssprache zuzuordnen ist und "bekommen" eher der Schriftsprache.
Beide Wörter werden in mehreren Bedeutungen gebraucht (erhalten, finden, in den Besitz einer Sache gelangen, in einer Bemühung erfolgreich sein), wobei ihre Ähnlichkeit trotz der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten (vergleiche hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)) wirklich verblüffend ist. In den meisten Fällen können sogar Zusammensetzungen mit einer Vorsilbe völlig synonym verwendet werden: etwas abkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) / abbekommen (einen Teil erhalten), herauskriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) / herausbekommen (etwas entfernen oder entlocken können, etwas in Erfahrung bringen), etwas hinkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) / hinbekommen (zustande bringen, bewältigen, schaffen).
Es gibt auch unzählige Ausdrücke und Redensarten, die das Wort enthalten - allein mein Wörterbuch umfasst 187 Einträge (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Schauen wir uns ein paar davon mal genauer an:
erhalten, finden, in den Besitz von etwas kommen

(Quelle: depositphotos.com (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))
Die Verwendung in dieser Bedeutung ist im Alltag überall anzutreffen:
Als Belohnung hat jeder Mitarbeiter 200 Euro extra gekriegt.
Es ist schwierig, in der Innenstadt eine bezahlbare Wohnung zu kriegen.
Endlich kriege ich etwas zu essen!
Hierher gehört auch die Redensart "(einen) zu viel kriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" (einer Sache überdrüssig werden, wütend werden). Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, dass man mehr unangenehme und ärgerliche Dinge erlebt, als man ertragen kann.
"Kriegen" wird häufig auch in Zusammenhang mit Ohrfeigen oder Schlägen gebraucht: eins draufkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), eins überkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (geschlagen / kritisiert / zurechtgewiesen werden). Mit dem Ausruf "Gleich kriegst du eine! (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" droht man der anderen Person eine Ohrfeige an. Das unbestimmte "eine" in diesem Satz ist übrigens eine sogenannte Verhüllung. Dadurch wird der Inhalt nicht genau festgelegt und man nimmt ihm die Schärfe.
etwas durch Geschick zustande bringen, bewältigen, schaffen, in einer Bemühung erfolgreich sein
In dem Wort "kriegen" steckt auch eine gewisse Anstrengung und Aufwand: Man muss schon einen gewissen Einsatz zeigen, um etwas zu erhalten. Z. B. kann man jemanden nicht aus dem Bett kriegen, d. h. es nicht schaffen, jemanden (morgens) zum Aufstehen zu bewegen. Oder das Versprechen:
Ich zeige Ihnen, was Sie tun müssen, um das zu kriegen, was Sie wollen!
Entsprechende Zusammensetzungen wären "etwas hinkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)", "etwas rankriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)", "etwas loskriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" und "etwas klarkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)". Wer "den Kopf freikriegt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" schafft es, sich von stressigen Gedanken zu befreien.

(Quelle: depositphotos.com (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))
Dann gibt es noch die sehr häufige Redensart "den Arsch nicht hochkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" (träge sein, sich nicht aufraffen können). Das derbe Wort "Arsch (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" steht hier - wie in manchen anderen Redewendungen auch - stellvertretend für den ganzen Menschen.
Hierher gehört auch "keinen hochkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)", die sich auf die männliche Potenz bezieht. Hier haben wir wieder eine typische Verhüllung: Das betreffende Körperteil wird nicht genannt, weil es tabuisiert ist. Trotzdem weiß jeder und jede, was gemeint ist.
Herkunft
Vom Gefühl her hat "kriegen" mit "Krieg" nicht das Geringste zu tun, und doch hängen beide Wörter zusammen. Ihre Geschichte ist kompliziert, weshalb das Wörterbuch der Gebrüder Grimm schreibt: "Es gilt heutzutage für ein niedriges, ja fast für ein Pöbelwort ..., ist aber geschichtlich eins der merkwürdigsten Wörter unserer Sprache, mit mehreren dunklen Stellen in seiner Geschichte."
Zunächst einmal gab es früher "kriegen" in der Bedeutung "Krieg führen". In einem Text aus dem Jahr 1653 heißt es z. B.: "Kann man ohne Krieg Friede haben und behalten, hat man nicht nötig zu kriegen" (Quelle (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)). Heute kennen wir nur noch "sich bekriegen" (Krieg gegen jemanden führen, sich bekämpfen, sich streiten).
Das Wort "Krieg" bedeutet heute eine Auseinandersetzung (mit Waffengewalt), war früher aber wesentlich weiter gefasst: Es bedeutete auch Anstrengung, Beharrlichkeit, Hartnäckigkeit, Rechthaberei, Bemühen, Streben nach oder gegen etwas, Kampf und Streiten nicht nur mit Gewalt, sondern auch verbal oder vor Gericht. Das alles sind Bedeutungen, die wir auch im heutigen "kriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" (bekommen) erkennen können.
Am besten wird der Zusammenhang noch im heute veralteten Wort "erkriegen" (erringen, erlangen, zu erreichen suchen) deutlich. So konnte man früher "eine Stadt erkriegen", also durch Gewalt in seinen Besitz bekommen. Im Lauf der Zeit hat das Wort dann seine Vorsilbe verloren.
sich einkriegen

(Quelle: depositphotos.com (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))
Das hören wir sehr oft: "Jetzt krieg dich mal wieder ein! (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)". (Beruhige dich!) Das sagen wir dann, wenn jemand übermäßig verärgert ist und sich über etwas aufregt, was eigentlich gar nicht so schlimm ist.
Dann gibt es noch "sich nicht mehr einkriegen (können) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" (sich nicht mehr beruhigen können). Diese Redewendung bezieht sich aber nicht nur auf Ärger und Wut, sondern jede Art von Aufregung, also auch Staunen oder Freude:
Haha, ich krieg’ mich nicht mehr ein vor Lachen!
Beide Ausdrücke beziehen sich auf die Kontrolle, die man über sich selbst hat (oder eben nicht). Sie sind erst im 20. Jahrhundert aufgekommen, aber früher bedeutete "einkriegen" noch etwas ganz anderes, das auch mit Kontrolle zu tun hat, nämlich erobern, einnehmen, in Besitz bekommen. Hier spielt also wieder der Krieg eine Rolle. So konnte man z. B. "eine Burg einkriegen". Das würde heute keiner mehr verstehen.
So, das war's von mir für heute. Ich hoffe, ich habe das gut hingekriegt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und Ihr habt jetzt nicht einen zu viel gekriegt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wegen des vielen Kriegens. Aber da müsst ihr durch, lasst Euch nicht unterkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und auch nicht kleinkriegen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) :-)
Viele Grüße,
euer Peter vom Redensarten-Index
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