Auf zu neuen Ufern
In meinem letzten Newsletter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) habe ich dir erklärt, warum das Setting einer Geschichte so bedeutend für die Leseerfahrung ist. Heute wird es konkreter: Ich verrate dir, wo die Handlung meines nächsten nächsten Buches angesiedelt sein wird - und es könnte dich überraschen …
Raus in die echte Welt
Bisher bin ich mit den Settings meiner Geschichten immer in meiner Fantasie geblieben. Fiktionale Orte haben den offensichtlichen Vorteil, dass man sie sich selbst ausdenken und ganz frei gestalten kann. (Wie man als Autor*in sicherstellt, dass sie sich für die Lesenden dennoch sehr real anfühlen, habe ich ebenfalls in meinem letzten Beitrag (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) erläutert.) Es ist aber mindestens genauso reizvoll mit seinen Figuren an Orte zu reisen, die wirklich existieren - und genau das wage ich für mein siebtes Buch.
Recherche, Recherche, Recherche
Städte und Dörfer, die es tatsächlich gibt, stellen mich aber vor eine ganz andere Herausforderung als meine eigenen Wunschwelten. Kurz gesagt gibt es endlos viele Möglichkeiten an der Realität vorbeizuschrammen. Es können Fehler passieren, die Leser*innen, die den Ort bereits besucht haben oder dort leben, definitiv auffallen würden. Ich muss mich also gründlich informieren und diese Recherche lässt sich in ein paar Teilbereiche aufgliedern:
Die geographische Lage
Vor nicht allzu langer Zeit ist mir als Leserin ein Buch untergekommen, das mir vor Augen geführt hat, dass es nie schadet bei den Basics anzufangen. In besagtem Werk (das ich jetzt nicht benennen werde, denn es geht in meinen Beiträgen nie darum über Kolleg*innen oder deren Verlage zu lästern) wurden zwei amerikanische Städte, die weniger als zwei Autostunden voneinander entfernt sind, quasi an unterschiedliche Enden des riesigen Landes gesetzt. Ein doch recht grober Fehler, den ich nicht nachahmen wollte. Möglicherweise überprüft nicht jede Person, die mein Buch einmal lesen wird, wo genau ich die Geschichte angesiedelt habe. Aber wenn doch, möchte ich alles korrekt angegeben und beschrieben haben! Ich schaue mir also online genau an, wo mein “Buchreiseziel” liegt, welche Orte sich in seiner Umgebung befinden und - falls ich andere Orte in die Handlung einbeziehen will - wie lang die Reisezeiten dorthin sind.
Die Landschaft
Als nächstes beschäftige ich mich mit der Landschaft. Befinden sich Berge, Flüsse, vielleicht sogar das Meer in der Nähe? An dieser Stelle kann ich dir schon einmal verraten, dass dich mein nächstes Buch tatsächlich an die Küste entführt. Küstenorte werden natürlich immer ganz stark von dem großen Gewässer, an dem sie liegen, beeinflusst. Die Wellen formen die Landschaft, Strömungen bringen mildes oder rauhes Klima, sie beeinflussen die Tier- und Pflanzenwelt unter und über dem Meeresspiegel und sie erschaffen eine ganz bestimmte Atmosphäre. Schon wenn man an die vergleichsweise nah beieinanderliegenden deutschen Küsten denkt, wird klar, dass sich Nord- und Ostsee voneinander unterscheiden. Die wilde Atlantikküste Portugals würde wohl auch kaum jemand mit dem Mittelmeer in einen Topf schmeißen. Man vergleicht auch nicht das australische Great Barrier Reef mit den Cliffs of Moher in Irland oder die Malediven mit den Hamptons. Meer ist nicht gleich Meer - ebenso wenig das Leben dort.
Lebensart und Kultur
Liegen die Menschen unter Palmen oder machen sie Strandspaziergänge im Anorak, während ihnen die salzige Luft um die Nase weht? Leben sie in üppigen, tropischem Grün, an tiefblauen Lagunen oder eher auf kargen Klippen und Sanddünen? Welche Rolle spielt Fischerei und Seefahrt? Gibt es Tourismus? Wer reist dorthin und wer lebt vor Ort? Ist es ein Urlaubsziel für "den kleinen Mann” oder für die oberen Zehntausend? Liegt der Ort innerhalb Europas? Ist der Ort (durch Kolonialisierung) europäisch geprägt? Ich kann dir an dieser Stelle verraten, dass ich nicht in eine für mich völlig fremde Kultur eintauchen werde. Wir bleiben in der sogenannten “westlichen Welt”, aber nicht in Europa …
Frühere und aktuelle Hot Spots
Mein nächstes Buch spielt in der heutigen Zeit, weswegen sich meine Recherche ähnlich wie eine persönliche Reiseplanung gestaltet. Ich schaue mir aktuelle Stadtpläne an, recherchiere etablierte und hippe Restaurants oder Hotels. Trotzdem bleibt ein gewisser historischer Aspekt nicht aus, denn ich möchte wissen, wie sich der Ort entwickelt hat, welche Sehenswürdigkeiten die Leute dorthin ziehen und wie sich die Kommune organisiert. Ich treibe mich auf Websiten der Touristinformation genauso herum wie auf dem Portal der Stadtverwaltung oder Immobilienseiten, die mir verraten, wie die Häuser dort aussehen und wer sich welche Bleibe leisten kann. Ich schaue Videos auf YouTube und anderen Social-Media-Plattformen an, konsumiere Content von Locals und Reisenden gleichermaßen, um einfach ein Gefühl für den Puls des Ortes zu bekommen.
Und ich denke, jetzt muss ich mal konkreter werden … Oder hast du es schon erraten? Wohin könnte die Reise gehen? Ein Küstenort außerhalb Europas aber europäisch geprägt? Wo könnte das sein?
(Ich gebe dir hier mal ein paar Rate-Minuten.)
(…)
Jetzt habe ich dich aber lange genug auf die Folter gespannt: Es geht nach New England! Das ist ein Sammelbegriff für die US-Bundesstaaten Connecticut, Maine, Massachusetts, New Hampshire, Rhode Island und Vermont. Aufgrund der amerikanischen Kolonialgeschichte werden sie als “neues England” bezeichnet, denn hier setzten die Briten zum ersten Mal Fuß auf den amerikanischen Kontinent und bauten ihre Siedlungen und Städte. (Anm.: Ich benutze in diesem Zusammenhang bewusst nicht das Wort “Entdeckung”, denn das heutige Amerika war weder unentdeckt noch unbewohnt.)
New England ist beliebt als Schauplatz vieler amerikanischen Serien. Zum Beispiel “Dawson's Creek”, “Gilmore Girls”, “Boston Legal”, “Rizzoli & Isles” oder auch die brandaktuelle Netflix-Serie “Ein neuer Sommer”. Dort befinden sich Städte wie Boston, Providence und New Haven, jede für sich mit eigener Elite-Universität: nämlich Harvard, Brown und Yale. Und es gibt die Küstenorte, an denen sich die High Society im Sommer tummelt: Cape Cod, Martha's Vineyard und Nantucket.
Genau dort wird meine nächste Geschichte spielen: Wo sich historische Saltbox-Häuser mit den Mega-Villen der Reichen abwechseln. Wo sich “Old Money” und der sprichwörtliche “Tellerwäscher” begegnen.
Die Gegend ist schick und die Klassenunterschiede sind drastisch und all das vor einer malerischen Kulisse: Der blaue, wilde Atlantik und die endlosen Sandstrände gehen in englischen Gartenbau über. Vornehme Cocktailpartys finden auf der Veranda statt, während ein paar hundert Meter weiter der Fischkutter ausrückt. Mich reizt dieses Spannungsfeld zwischen Wohlstand und “just getting by” und vielleicht kannst du dir denken, dass das auch für Konflikte zwischen meinen Figuren sorgt … Aber dazu erzähle ich dir ein anderes Mal mehr!
Ich hoffe, du hast Lust, mit mir die Reise in diese neue Geschichte anzutreten!
Danke fürs Lesen und bis bald!
Phillippa