Liebe Pfefferhasis und Newsletter-Mäuse,
ich hoffe, ihr hattet gestern einen kämpferischen 1. Mai. Ich habe mit rund 30.000 anderen in Berlin-Kreuzberg für unsere Rechte demonstriert, gegen Kapital, Patriarchat und Faschismus, für ein Ende von Krieg und Besatzung, gegen Polizeigewalt und Feminizide, für offene Grenzen und Bleiberecht, für gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter*innen, die Freiheit der Kunst, gegen die Kürzungen im Kulturbereich und gegen die Aushöhlung des Sozialstaats. Es hat gut getan, aber wie es eben so ist, geändert hat es vorerst nichts.
Diese Woche hat mich eine Frage einer Leserin erreicht, über die ich länger nachgedacht hab. Ich teile sie und meine Antwort hier mit euch, vielleicht habt ihr ja auch Gedanken dazu – antwortet gerne direkt auf die Mail.
Hallo Ulla!
Ich wende mich an dich, weil ich dich um Hilfe bitten möchte. Ich bin seit einiger Zeit auf der Suche nach feministischen Gruppen. War hier in der Gegend (...) bei einigen (queer)fem. Gruppen. Da sah das immer so aus, dass da einige 20-25jährige Studentinnen saßen (...) Was ist mit den Frauen, die jetzt 35, 45 sind, wie ich? Wie kann fem. Kampf funktionieren, wenn die einzelnen Altersgruppen sich offensichtlich voneinander distanzieren? (...)
Ich würde mich freuen, wenn du mir hilfst, das Rätsel aufzuklären.
LG K.
Hallo K.,
ich kann Deine Irritation über die Zusammensetzung von so queerfeministischen Räumen gut nachvollziehen. Ich weiß genau, was du meinst. Ich habe ein paar Gedanken dazu, warum das häufig so ist, wie du es beschreibst.
Studierende haben oft (theoretisch) mehr zeitliche Flexibilität und weniger familiäre oder berufliche Verpflichtungen. Aktivismus lebt von zeitintensivem Engagement – das ist leichter mit 20 als mit 40+. Also das ist nicht nur in feministischen Gruppen so, sondern generell sind aktivistische Gruppen oft eher jünger. Queerfeministische Gruppen bilden sich oft auch in akademischen, urbanen Kontexten, also da ist auch viel Subkultur dabei, Szene, Codes etc. Das wirkt dann sehr ausschließend auf alle, die das nicht so erfüllen (z.B. aufgrund von Alter).
Dazu kommt, dass Menschen in unterschiedlichen Zeiten politisiert werden und der Queerfeminismus, aber auch Themen wie Intersektionalität, Dekolonialisierung etc. sind heute viel sichtbarer als noch vor 20 Jahren. Dadurch erscheint es manchen auch eher "neu", in Abgrenzung zu dem "Zweite Welle Feminismus", der heute oft auch als "white Feminism" als trans- / queefeindlich angesehen wird (und ja leider auch oft ist). Die Aktionsformen waren und sind ja auch teilweise ganz anders, ältere Feministinnen, die immer noch aktiv sind, sind vielleicht eher in anderen Zusammenhängen engagiert, bei Gewerkschaften z.B. Ich glaube auch, dass einige nach kämpferischen Jahren zwischen 20 und 35 ausgebrannt sind, sich eher aufs Private zurückziehen bzw. feste Gruppen haben, die gar nicht so nach außen sichtbar sind. Also die haben sich vielleicht gefunden, wohnen in Hausprojekten, haben Lesekreise usw., aber suchen gar nicht aktiv nach neuen Leuten.
Der größte Faktor, wenn du mich fragst, ist aber tatsächlich, dass die Lebensmitte für die allermeisten extrem durch Rückzug ins Private geprägt ist, Familie und/oder berufliche Karriere. Da haben viele einfach keine Zeit für aktive Politik / Feminismus. Wenn die Kinder dann groß sind, die Frauen 50+ dann ist wieder mehr Raum dafür da, aber viele haben den Anschluss verloren oder orientieren sich dann eben auch eher in ihrer eigenen Altersgruppe.
Wie wir diese (gegenseitige) Distanzierung aufheben, weiß ich nicht. Ich bin selbst auch mit 39 gerade die älteste Person in meiner Politgruppe. Aber ich merke, dass zu bestimmten Themen (wie bspw. Gegen Feminizide, Abschaffung §218) schon viel eher generationsübergreifende Verbindungen möglich sind. Natürlich ist es in Berlin generell viel leichter sich zu engagieren, weil die Möglichkeiten ja quasi grenzenlos sind. Im ländlichen Raum ist das bestimmt ganz anders. Ich kann nur empfehlen, zu Demos, öffentlichen Veranstaltungen etc. zu gehen (z.B. 8. März, 25. November) und mal zu schauen, wer da was organisiert, wer da Reden hält etc. Vielleicht eröffnet das neue Möglichkeiten.
Ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg!
Habt ihr auch eine Frage, auf die ihr euch eine Antwort wünscht? Meldet euch richtig gern! (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Im Wochenrückblick geht es heute im Wesentlichen um das Gruselkabinett von Friedrich Merz, aber nicht nur!
Weil heute der erste Freitag des Monats ist, wird auch wieder unter allen Steady-Supporter*innen ein Buch verlost. Dieses Mal hat Juliane H. aus Thüringen gewonnen und bekommt „Männer und Zerbrechlichkeiten“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Paul Ninus Naujoks zugeschickt.
Das war’s für heute. Danke – wie immer – fürs Lesen,
habt es gut und passt auf euch und einander auf
Ulla