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Über die Mauer, Trump, die Unesco und andere Kalamitäten

Heute vor 35 Jahren fuhr ich mit dem Italiener an meiner Seite nach Berlin, wo am Tag zuvor die Mauer gefallen war - aufgrund der auf holprigen Deutsch gestellten Nachfrage eines italienischen Journalisten. Ich lebte in Hamburg, arbeitete beim Stern im Auslandsressort und hatte mit eigenen Augen gesehen, welchen Mut die Polen hatten - aber nie hätte ich gedacht, dass sich in der DDR jemals etwas bewegen würde.

Der Wunsch, nach Berlin zu fahren, war mir eigentlich etwas peinlich. Schließlich hatte ich schon Reagans Satz "Tear down this wall" so was von pathetisch gefunden. Schauspieler halt. Und jetzt war genau das passiert, was Ronald Reagan gefordert und ich nie für möglich gehalten hatte.

Der Italiener fand meinen Wunsch, nach Berlin zu fahren, überhaupt nicht peinlich, sondern normal. Menschlich. Natürlich. Man könne ein Volk nicht einfach teilen, das wäre doch so, als würde man eine Familie trennen. Ihr seid doch alle Deutsche, sagte er. Und ich fragte mich, wie deutsch ich eigentlich war. Und dann stand ich in Berlin an der Mauer und fing an zu heulen.

Bald darauf zog ich nach Venedig. Ohne zu ahnen, wie sehr sich der Mauerfall auf Italien auswirken würde - mit den Jahren des Terrors, der Attentatsserien, der Strategie der Spannung, dem Aufstieg Berlusconis, von dem sich das Land bis heute nicht erholt hat.

Und damit wären wir schon bei Trump. Wie sollten wir in Italien überrascht sein, dass Trump wiedergewählt wurde, wenn Berlusconi hier vier Mal Ministerpräsident wurde, obwohl über ihn alles schon bekannt war - der mafiose Ursprung seines Reichtums, seine Richterbestechungen, seine Steuerhinterziehungen, seine Mitgliedschaft in der Geheimloge P2, seine minderjährigen Prostituierten? Warum sollten wir uns darüber wundern, dass die Amerikaner gegen ihre Interessen stimmen, wenn es in Italien über Berlusconi geheißen hatte: Er ist zu reich, um uns zu beklauen?

In Italien wurde Trumps Rückkehr wurde von den Rechten (also Meloni &Co) begeistert aufgenommen (Salvini freut sich ganz offen, Meloni weniger offen, weil sie sich ja gleich nach der Regierungsbildung auf die Seite der EU und der Nato geschlagen hat, zusammen mit dem Rest von Forza Italia. Und da sind ja noch die EU-Gelder, die ausstehen.)

Und die “progressiven” Linken, also Teile der Fünfsterne, des AVS (Italienische Linke / Grünes Europa) und vielleicht ein paar Versprengte der demokratischen Partei? Sie finden Trump ganz okay, was sie damit rechtfertigen, dass Trump ja keine Kriege angefangen hat (sie betrachten ihn als „pragmatischen Geschäftsmann“) und hoffen, dass er irgendwie den Krieg in der Ukraine beendet (wie ist erst mal egal, also ob Putin dann den Donbass bekommt und worauf er sonst noch Lust hat, das sieht man in Italien nicht so eng, der Osten ist hier sehr weit weg). Und außerdem spricht in den Augen der “progressiven” Linken auch für Trump, dass er irgendwie gegen „das Establishment“ ist. Harris wird von ihnen abgelehnt, weil sie der Vize von böse-böse-Biden war, als Kriegstreiberin gilt und vor allem auch als Neoliberale.

Wobei sich für mich, die ich in der Tat in der neoliberalen Politik der einstigen Linken einen Grund für den weltweiten Aufschwung der Rechten sehe, nur die Frage stellt: Wenn Harris abgelehnt wird, weil sie neoliberal ist, was ist dann Trump? Ein Sozialist?

Die italienischen Medien des Establishments hatten auf Harris gesetzt, genau wie die demokratische Partei und Renzi mit seiner Minipartei Italia Viva. Kurz: alle diejenigen, die von den progressiven Linken dafür verantwortlich gemacht werden, nichts gegen die neoliberale Ausrichtung der italienischen Politik unternommen zu haben, ja, sich in der Opposition zu Berlusconi tot gestellt zu haben. Weshalb die Häme von Italiens linken Progressiven nach dem Wahlsieg von Trump um so größer ist.

Der traditionelle Antiamerikanismus der linken Progressiven Italiens ist im Hinblick auf Trump dennoch nicht verschwunden. Wofür es handfeste Gründe gibt: In Italien gab es mal die größte westeuropäische kommunistische Partei – die den Amerikanern immer ein Dorn im Auge war, weshalb sie in die italienische Innenpolitik massiv eingegriffen haben, um ein freundliches Wort zu benutzen. Und unter diesen Linken glimmt die - perverse - Hoffnung, dass sich unter Trump endlich die hässliche Fratze des amerikanischen Imperialismus zeige – was die Europäer dann vielleicht, optimistischerweise, zu einer größeren Unabhängigkeit und Rückbesinnung auf europäische Werte wie Menschenrechte führen könnte. Das ist ungefähr so, als würde einem geraten, sich zum Schutz mit einem gefährlichen Virus zu infizieren - und danach ist man immun. Oder tot.

Wenn Ihnen das jetzt zu kompliziert ist, zu sehr um die Ecke gedacht, dann muss ich sagen: “Komplizierte italienische Politik” ist ein Pleonasmus.

Und in der gleichen Nacht kommt es auch noch zum Regierungsfiasko in Deutschland. Das in den italienischen Medien eigentlich nicht viel Raum einnahm. Einerseits, weil es von Trumps Sieg überschattet wurde. Und andererseits, weil die Deutschen in den Augen der Italiener auch nicht mehr das sind, was sie mal waren. Von wegen “Ah, la Germania, tutto funziona!”. Das deutsche Bahnchaos hat sich auch hier schon herumgesprochen. Und das Wärmepumpe-Desaster überstieg vollends die Vorstellungskraft der Italiener: Schon unter der Übersetzung “pompa di calore” konnte sich außer hochspezialisierten Heizungsinstallateuren niemand etwas vorstellen, geschweige denn, dass diese famose Wärmepumpe in der Lage war, eine veritable Regierungskrise auszulösen. Wer oder was dann letztlich für das Ende der deutschen Regierung verantwortlich sein soll, interessiert in Italien gar nicht mehr, weil kaum unterschieden wird zwischen SPD und FDP und diesen Grünen, die in Italien, wo Natur und Umwelt weniger als schützenswert denn als benutzbar gelten, als eine bizarre germanische Spezies wahrgenommen werden.

Ach ja, die Natur. Die benimmt sich auch in Italien irgendwie blöd. Am Zattere-Ufer protestierten gestern die Fischer von Pellestrina praktisch gegen das Meer, das auch nicht mehr das ist, was es mal war. Wegen der hohen Temperaturen sinkt der Sauerstoffgehalt, Flüsse haben massiv Hochwasser ins Meer abgelassen, Algenschleim hat sich gebildet und die invasive Art der Blaukrabben frisst nicht nur die Venusmuscheln in der Lagune auf, sondern jagt sogar kleine Fische, was sie zur Plage der Fischer macht – die nach Entschädigungen rufen.

https://www.rainews.it/tgr/veneto/video/2024/11/venezia-crisi-pesca-lavoro-reddito-protesta-pescherecci-testimonianza--fba23556-6148-4d14-8d19-5843cbec4933.html (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

In Italien sitzen Leugner des Klimawandels wie Salvini als stellvertretender Ministerpräsident in der Regierung („Klima ist ein historischer Zyklus, es ist heiß im Sommer und kalt im Winter”), für den Senator der Forza Italia Maurizio Gasparri waren Temperaturen von 45 Grad schon immer da (“sich darunter das Ende der Weltgeschichte vorzustellen ist falsch”) und die klassischen Medien hängen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von den Anzeigen der Öl-, Gas-, Automobil-, Flug- und Kreuzfahrtunternehmen ab, da wundert nicht, dass die Fischer erst mal nach staatlicher Hilfe rufen, ohne ein Wort über die Ursachen der Klimakrise zu verlieren.

In Venedig war in diesen Tagen mal wieder das Unesco-Komitee unterwegs, um zu beurteilen, ob die Stadt jetzt auf die sogenannte „Danger-List“ des bedrohten Welterbes kommt oder nicht. Ziemlich wahrscheinlich nicht. Für uns ist die Unesco schon lange zu einem Witz verkommen: Der Bürgermeister von Venedig bekam wieder die Gelegenheit, das Komitee vier Tage lang zu bespielen, während die venezianischen Bürgerinitiativen und NGOs nur jeweils 5 Minuten lang vortragen durften, was die Probleme Venedigs sind. Etwa, dass der Flughafen vergrößert werden soll, damit bis 2037 hier 21 Millionen Touristen landen können, ein Flug pro Minute. Dass in Marghera ein neuer Kreuzfahrthafen entstehen soll und ein weiterer Bahnhof in Santa Marta, weil der jetzige, an dem täglich 82 000 Fahrgäste ankommen, nicht mehr ausreiche. Und weil es noch zu wenige Hotels gibt, wurden auf der Parkinsel Tronchetto zwei neue gebaut, 770 Zimmer für 1500 Besucher - die dann die Vaporetto-Verbindungen lahmlegen werden, weshalb auch neue Anleger für die Touristenboote gebaut werden sollen.

Am 1. November, als Venedig mal wieder niedergetrampelt wurde, waren die Unesco-Diplomaten schon abgereist. Natürlich werden die Techniker mal wieder kritische Berichte verfassen, und die Diplomaten werden alles dafür tun, dass Venedig auch 2025 nicht auf die Danger-List kommt.

Die Unesco-Diplomaten haben bereits drei Mal die Berichte der Techniker über den Zustand Venedigs ignoriert. Mal war es Russland (Russland!!), ein Mal war es der heroische Einsatz von Äthiopien, das bekannte Land der Lagunenkenner, das die Hochwasserschleuse rühmte und so dafür sorgte, Venedig vor der Danger-List zu streichen. Und zuletzt war es Japan, das voll des Lobes war angesichts der Einführung des Eintrittsgeldes. Die wirklichen Vereinbarungen werden hinter den Kulissen getroffen. Aber hey, das ist eben höhere Diplomatie. Und der Themenpark Venedig ist noch nicht ganz vollendet, die letzten Venezianer stehen noch im Weg. Geschätzt sind es noch offiziell 48 000, aber real 30 000, die lassen sich lautlos beseitigen, ohne dass die Welt etwas davon mitkriegt.

Gegen “unseren” Bürgermeister (den wir Venezianer nicht gewählt haben), wird ja, wie die Leser von Reskis Republik wissen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), wegen Korruption ermittelt. Jetzt wurde er von der Staatsanwaltschaft zum Verhör gebeten. Brugnaro hat die Aussage verweigert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) - auf Anraten seines Anwalts, wie es hieß.

Wie Sie sehen, wird es hier nie langweilig. Und deshalb war ich mit meinem jungen Kollegen Christopher Weingart (Co-Autor des Podcasts Reskis Republik (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)) und ich in diesen Tagen für ein langes Venedig-Feature unterwegs, das im Februar gesendet werden soll.

Es wird um das Leben und Überleben in Venedig gehen, zu Wort kommen die Venezianer.

Hier interviewe ich Francesco Penzo von Ocio (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), einen Vertreter der venezianischen NGO, die sich der Wohnungsfrage widmet – die für Venedig, wo Multis wie Airbnb ungehindert ihr Unwesen treiben, eine Frage des Überlebens ist.

Die Lesetour in Deutschland liegt für dieses Jahr erst mal hinter mir, aber ich freue mich sehr darüber, mein Buch “All’italiana!” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in Brixen am 20. November vorzustellen, im Theater Dekadenz (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Und das sind die Highlights eines Autorenlebens: Als ich "All'italiana" in der venezianischen Buchhandlung Libreria Studium entdeckt habe (hinter dem Markusplatz, San Marco 337) ⬇️

zusammen mit meinem Venedigbuch "Als ich einmal in den Canal Grande fiel" - das dort auch in der französischen Übersetzung mit dem Titel "Venise n'est pas à vendre" (Editions Arthaud) vorrätig ist - wobei die italienische Übersetzung "Venezia atto finale" von Zolfo Editore natürlich auch nicht fehlen durfte!

Weil dieser Newsletter so lang geworden ist, habe ich mich entschlossen, wieder zu den wöchentlichen Rhythmen zurückzukehren, hier passiert einfach zu viel! Und demnächst wird es auch noch andere Möglichkeiten für die Ehrenvenezianerschaft geben!

In diesem Sinne grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski

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