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Über Undercover-Recherchen, den Schwager Italiens und Writers-in-Exile

Eigentlich will ich nur noch gute Nachrichten - und schöne Bilder, dachte ich, als das Flugzeug zur Landung in Venedig ansetzte. Denn wohin man blickt, läuft es gerade nicht wirklich rund. Amerika? “US-Wahlkampf unnötig, wenn ich zwei verwirrte Alte kämpfen sehen will, gehe ich auf eine Familienfeier”, meint El Hotzo (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Frankreich: Le Pen auf der Überholspur, und in Italien begrüßen sich die Aktivisten von Melonis Jugendorganisation “Gioventù nazionale" mit römischem Gruß, rufen Duce, Duce und “Sieg Heil", preisen “Onkel Benito” und schwadronieren von "Juden, die vom Holocaust profitieren".

Nach einigen Tagen des Schweigens erklärte Giorgia Meloni pflichtschuldigst, dass Rassisten bei den Fratelli D’Italia unerwünscht seien - um der Investigativplattform “Fanpage” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wegen ihrer Undercover-Recherche umgehend “Regime-Methoden” vorzuwerfen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): In 75 Jahren republikanischer Geschichte seien Medien niemals so vorgegangen, woraufhin auf Twitter gespottet wurde: “Es war im Juni 2024, als in Italien das Fanpage-Regime gegründet wurde, ein blutrünstiges Medienunternehmen, das sich des Verbrechens der investigativen Recherche schuldig gemacht hat". Tatsächlich ist Undercover-Recherche ein legitimes Mittel des Journalismus - und Fanpage hat bei seinen Enthüllungen keine Partei jemals geschont, weder rechts, noch links.

Interessant fand ich an der Fanpage-Recherche, dass auch eine Senatorin der “Fratelli D’Italia”zum Ziel antisemitischer Angriffe wurde: Ester Mieli (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), ehemalige Sprecherin der jüdischen Gemeinde von Rom und spätere Senatorin der Fratelli D’Italia. Noch am 27. Januar, am internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts, hatte Mieli im Corriere della Sera versichert: “In der DNA der Fratelli d'Italia, der Partei, der ich mit Stolz angehöre, gibt es keine faschistische, rassistische und antisemitische Nostalgie". Da konnte sie noch nicht ahnen, dass sie selbst von den jungen Mitgliedern der FDI wegen ihrer Religion verhöhnt werden wurde.

Tatsächlich gibt es nicht wenige Italiener jüdischen Glaubens, die den Fratelli D’Italia angehören. Wie im Fatto Quotidiano berichtet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), sind sowohl in Rom als auch in Mailand die Verbindungen zwischen den Brüdern Italiens und den jüdischen Gemeinschaften sehr eng - zumal sich Meloni, eingedenk ihrer Nähe zur Nato, jüngst zu einer Pro-Israel-Haltung durchgerungen hat. Schließlich hat die Unterstützung der jüdischen Gemeinschaft für Meloni eine große Bedeutung, erweist sie der Legitimierung der post-ex-neo-faschistischen Fratelli D’Italia doch einen großen Dienst.

Mich hat das an zwei Bücher erinnert: An »Scaramucce sul lago Ladoga« (Leider gibt es das Buch ni (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)cht auf Deutsch, aber auf Englisch (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)) verfasst von Roberto Bassi, dem ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde von Venedig, der hier das Überleben seiner Familie beschreibt - und dessen Titelbild das Foto des jüdischen Onkels von Roberto Bassi in Faschistenuniform ziert:

Das andere Buch heißt schlicht “Isidor”, Autorin ist die Journalistin Shelly Kupferberg (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die über das Leben ihres Urgroßonkels geschrieben hat.

Als ich es las, hatte ich wieder die Orte vor Augen, die ich einmal als Journalistin besucht habe: Lemberg, das einstige Galizien, Orte, aus denen die Juden vertrieben wurden und nur noch wenig an sie erinnert. Von diesem kulturellen Verlust haben wir uns in Europa nicht mehr erholt. Um so mehr hat mich die unverbrüchliche Liebe von Shelly Kupferbergs Großvater Walter zur deutschen Kultur berührt. „Isidor“ ist die Geschichte eines Mannes, der, anders als sein Neffe, die Zeichen der Zeit nicht lesen wollte - und mit seinem Leben dafür bezahlte, dass er an Humanität und an die Werte einer aufgeklärten Gesellschaft glaubte.

Es bleibt zu hoffen, dass sich Schicksale wie diese nicht wiederholen.

Apropos Literatur: In Hamburg habe ich an der 100-Jahr-Feier des PEN-Zentrums Deutschland (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) teilgenommen, über die “sogar” (O-Ton meines Ruhrgebiets-Onkels) die Tagesschau berichtete:

https://www.tagesschau.de/multimedia/video/schnell_informiert/video-1351616.html (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Ich habe mich gefreut, dass in dem Beitrag vor allem das Engagement für verfolgte Schriftsteller mit dem Writers-in-Exile-Programm (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hervorgehoben wurde, denn das ist das Alleinstellungsmerkmal des PEN-Zentrums Deutschland (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) innerhalb der vielen PEN-Zentren in der Welt. Während unserer Tagung konnten wir noch nicht ahnen, dass Julien Assange, Ehrenmitglied des PEN-Zentrums Deutschland, nur wenige Tage später endlich freigelassen wurde. Ja, es gibt sie noch, die guten Nachrichten!

In Hamburg empfing uns Kultursenator Carsten Broda im Rathaus, Jan Philipp Reemtsma hielt den Festvortrag (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), und ich sah viele Parallelen zwischen Hamburg und Venedig (nein, nicht die Brücken): Es gibt ein Bild im Festsaal des Rathauses (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), das die Bekehrung der “heidnischen” Hamburger durch Bischof Ansgar zeigt. Einer kniet sogar vor dem Bischof. Dieser Kniefall passte den stolzen Hamburger Senatoren nicht, weshalb der Maler Hugo Vogel gezwungen wurde, ihn zu übermalen. Geschehen zu einer Zeit, als die Venezianer schon lange dafür bekannt waren, stets - auch dem Papst gegenüber - deutlich gemacht zu haben: “Wir sind zuerst Venezianer und dann Christen.”

Und genau dieser Stolz und das Selbstverständnis der - wenigen verbliebenen - Venezianer ist Bürgermeister Brugnaro ein Dorn im Auge. Anders ist es nicht zu erklären, warum der Mann keine Möglichkeit auslässt, Venedig zu erniedrigen. Zuletzt geschehen zusammen mit dem italienischen Bauernverband Coldiretti:

Die schönste Uferpromenade der Welt, die Riva Sette Martiri, wurde nicht nur mit einem „Coldiretti-Dorf“ verunstaltet, sondern auch von Coldirettis Traktoren ganz konkret zerstört.

Eine Uferpromenade, für die 6 Millionen Euro ausgegeben wurden, um sie nach dem Hochwasser von 2019 wieder instand zu setzen. Wir wissen nicht, wie der Deal zwischen Bürgermeister Brugnaro und dem Bauernverband Coldiretti aussieht, der dieser Schmach zugrunde liegt - und dem Bauernverband erlaubte, 10 Prozent des öffentlichen Raums Venedigs zu besetzen.

Abgesehen davon, dass die Veranstaltung ein gigantischer Flop ist (die einzigen Besucher sind Coldiretti-Angestellte, die dazu verdammt sind, hier ihre Stunden abzusitzen), muss man entweder ziemlich gestört sein, um auf die Idee zu kommen, Venedig als Werbehintergrund für die Landwirtschaft zu benutzen - einer Stadt, die mit der Landwirtschaft so viel gemein hat wie ein Fisch mit dem Fahrradfahren. Oder man verfolgt ein zweites Ziel, nämlich sich beim inzwischen legendären “Schwager Italiens” anzubiedern, dem Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Ehemann von Melonis Schwester Arianna. “Lollo” ist nicht nur dafür berühmt, rechtsextreme Verschwörungstheorien zu verbreiten - über einen »Bevölkerungsaustausch« , der angeblich aus Afrika drohe - oder bei Terminschwierigkeiten Hochgeschwindigkeitszüge anzuhalten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), sondern auch die “mediterrane Diät” mit gezücktem Schwert zu verteidigen: “Mamma, es ist Zeit zu kämpfen!”, steht auf dem Schild vor einer beunruhigend großen Biene aus Krepppapier: “Hände weg von der mediterranen Diät und den italienischen Produkten”.

Ähem. Gerade der italienische Bauernverband hat sich, was seine industriell angebauten landwirtschaftlichen Produkte und den großflächigen Einsatz von Glyphosat - nicht nur bei Äpfeln, Prosecco-Trauben oder Olivenbäumen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) - betrifft, nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Überhaupt gehe es in der italienischen Küche vor allem um Selbstvermarktung, stellte der Historiker - Alberto Grandi in seinem Buch “Mythos Nationalgericht” mitleidslos fest. Weil er auch die Luft aus der „Mittelmeerdiät“ lässt, wird er von den Rechtsaußen als Nestbeschmutzer betrachtet. Es sei nicht wahr, schreibt Grandi, dass die mediterrane Küche seit jeher nach den Prinzipien der Mittelmeerdiät funktioniere. Viel mehr habe sie der amerikanische Physiologe Ancel Keys erfunden (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (kann ich nur bestätigen, seitdem ich mal in Pollica, einem kleinen Ort im Cilento auf diese Kuriosität gestoßen bin).

Wie Andreas Rossmann in seiner schönen Besprechung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) schreibt, zielen Grandis Ermittlungen nicht auf die italienische Küche, sondern auf die Methoden ihrer Vermarktung: “Was sagt das aus über Italien, die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt, wenn es ‘die Vergangenheit im Dienste der Gegenwart manipulieren kann’?”, fragt Rossmann - und genau das geschieht in Italien, nicht nur, was das Essen betrifft.

Als ich mich permesso, permesso rufend auf dem Weg zurück von der Riva Sette Martiri wieder durch die Massen quälte, bemerkte ich in der Menge unverhofft einen der letzen Venezianer. Wie immer, wenn wir uns in der Menschenmenge erkennen, nickten wir uns verschwörerisch zu: Darauf zu bestehen, in Venedig zu leben, ist bereits ein Akt des Widerstands.

Herzlichst grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski

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