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Noch knapp ein Monat, bis gewählt wird. Ich werde zum ersten Mal in meinem Leben in Italien wählen. Und schon jetzt wird mir schlecht.

Neulich Nacht ist mir im Traum ein synchron schwimmendes Pferd erschienen, es war ein etwas schmutzig wirkender Schimmel, er schwamm auf dem Rücken und streckte die Beine und manchmal auch den Kopf aus dem Wasser, um damit bestimmte Figuren auszuführen, auf das Kommando seiner neben ihm schwimmenden Trainerin. Ungefähr so stelle ich mir Italien nach den Wahlen vor. 

Giorgia Meloni, Matteo Salvini und Silvio Berlusconi sind siegesgewiss – sie wissen das absurde italienische Wahlrecht auf ihrer Seite: Es sieht vor, dass die Partei oder Koalition, die vierzig Prozent der Stimmen kassiert, die Mehrheit der Sitze erhält. Ein Kinderspiel für die Rechten. 

Wie immer vor Wahlen, rekapituliere ich mein Verhältnis zu Italien und frage mich, ob zwischen uns noch alles stimmt, ob wir noch Sex haben oder nur so nebeneinanderher leben.

Ich bin 1989 in Italien angekommen, als die Italiener am Strand von Castiglioncello zu meiner Überraschung nicht über das beste Sonnenöl, sondern über das System der illegalen Parteienfinanzierung von Sozialisten und Christdemokraten redeten. Kurz darauf machte ich meine erste Reportage in Palermo, wo Falcones und Borsellinos Maxiprozess gerade in zweiter Instanz verhandelt wurde - kurz vor dem Fall der Mauer lag große Hoffnung in der Luft: Wenn die Mauer fallen würde, könnte dann nicht auch das Fundament der Mafia ins Wanken geraten? 

1992 wurden die Urteile des Maxiprozesses in in dritter Instanz bestätigt. Und Falcone und Borsellino ermordet. Und ich hatte das Gefühl, als sei aus den Tiefen des Ozeans ein Ungeheuer aufgetaucht und hätte alles verschlungen. Bald danach war das Meer wieder ruhig, es trieben nur noch ein paar Planken herum.

Dann kam Tangentopoli, im Fernsehen wurden Gerichtsverhandlungen direkt übertragen, und wieder dachte ich, dass dies der Anfang eines neuen Italien sein würde. Genau dazu kam es auch, aber anders als ich dachte: Schon war überall vom Tugendterror die Rede, im Radio geiferte der Kunstkritiker (!) Vittorio Sgarbi (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gegen die Richter, und als ich 1994  kurz vor der Wahl durch Sizilien fuhr, wehten bereits überall Forza Italia-Fahnen. Fassungslos sah ich zu, wie sich die Italiener Berlusconi in die Arme warfen, weil er, wie es damals hieß, „zu reich ist, um uns beklauen zu müssen“. 

In meiner Verzweiflung klammerte ich mich an den Andreotti-Prozess, der 1995 eröffnet wurde: War dieser Prozess nicht ein Klopfzeichen aus dem Untergrund einer totgeglaubten Demokratie? Würde er nicht Italien zum Besseren verändern? Im Jahr 2004 erfolgte das Urteil in dritter Instanz: Andreottis Unterstützung der Mafia wurde bis zum Jahr 1980 als bewiesen - und gleichzeitig als verjährt beurteilt. 

Der legendäre italienische Journalist Indro Montanelli hielt Berlusconi für eine Krankheit, von der die Italiener erst geheilt seien, wenn sie sich impfen lassen würden, durch eine ordentliche Dosis Berlusconi als Ministerpräsident und Berlusconi als Staatspräsident. Als Berlusconi nicht nur ein Mal, nicht zwei Mal, sondern drei Mal wiedergewählt wurde, obwohl die Garde der besten Investigationsjournalisten des Landes unermüdlich Beweise für seine Mafiaverflechtungen, seine Richter-Bestechungen, seine Bilanzfälschungen, seine Offshore-Gesellschaften, seine Geheimlogen, seine vierzig Ad-personam-Gesetze präsentierte – waren viele Italiener davon überzeugt, dass Berlusconi so etwas wie Ebola sein muss.

Ein einziges Mal habe ich ihn aus der Nähe gesehen, in einer Pressekonferenz, in die ich mich eingeschlichen hatte, da dachte ich an John Malkovich in „Die zweite Chance“: Als er einen Attentäter spielt, der als Sponsor getarnt zu einer Wahlveranstaltung des Präsidenten geht.

Berlusconi habe ich zu verdanken, dass ich italienischer wurde, als ich es je erwartet hätte. Ich habe mich für ihn geschämt und ihn verflucht. Ein gefühltes Jahrhundert lang quoll er aus jeder Mauerritze, und als sei das nicht genug, mussten wir während seiner langen Agonie auch noch ertragen, wie die Minister von seinen Gnaden, die Staatssekretäre seines Vertrauens, die Regionalpräsidenten, Oppositionsführer und sonstigen Lakaien, die Lega, der Vatikan, der Staatspräsident, die Chefredakteure der RAI, der Repubblica und des Giornale alle so taten, als wollten sie ihn endlich loswerden. Getreu der bewährten Devise des Fürsten von Salina im Gattopardo: „Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.“ 

Und genau das ist auch jetzt unsere größte Angst. Denn bereits in den Jahren nach dem Korruptionsskandal Anfang der Neunzigerjahre haben sich die Italiener so sehr für ihre käuflichen Politiker geschämt, dass sie sie mit Münzen bewarfen. Kurz darauf änderten sich zwar die Namen der Parteien, nicht aber die Gesichter. Der Wandel der keiner ist, nennt sich auf Italienisch „Trasformismo“ und hat hier eine lange Tradition. Italienische Politiker bleiben im Parlament sitzen, bis sie tot sind. Und manche sterben nie. 

Giorgia Meloni sitzt seit 2006 im italienischen Parlament. Und hat für alle Gesetze Berlusconis gestimmt. Sie gehörte auch zu den 314 Abgeordneten, die 2011 dafür stimmten, dass Berlusconi in Ausübung seines Amtes gehandelt habe, als er die minderjährige Prostituierte Ruby aus dem Polizeigewahrsam (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)befreien ließ,  weil er geglaubt habe, dass sie die Nichte Mubaraks sei und dafür daher nur vom Ministergericht belangt werden könne.

Und falls Sie jetzt denken: Aber die Italiener haben doch Draghi, den Messias (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), "Italiens Reserve mit Applausgarantie" (Copyright: Oliver Meiler, Süddeutsche Zeitung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)). Zum Applaus möchte ich daran erinnern, dass in Italien auch auf Beerdigungen applaudiert wird. 

Interessant ist, dass sich die Süddeutsche, was die Einschätzung von Draghi betrifft, ganz auf der Linie der rechten "Brüder Italiens" befindet: Der Parteivorsitzende Ignazio La Russa sagte in der Sendung "L'Aria che tira", dass Draghi ein Gewinn für Italien bleibe. Meloni braucht Draghis Unterstützung, um international glaubwürdig zu scheinen. Und Draghi braucht Meloni für seine persönliche Zukunft: Wenn die Rechten klar gewinnen, ergeben sich für ihn drei Möglichkeiten: das Staatspräsidentenamt, der Vorsitz des Europäischen Rates oder der Europäischen Kommission. Deshalb nützt auch Draghi der Kuschelkurs mit den rechten Brüdern Italiens.  

Wie mein Verhältnis zu Italien jetzt aussieht? Ich fühle mich wie eine Frau, die mit einem Alkoholiker verheiratet ist und sagt: Er hat mir versprochen, dass er sich ändert. 

Aber zum Schluss noch eine schöne Nachricht: 

Gestern konnte man in Venedig das Segelschiff Royal Clipper (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (Star Clipper Ltd) sehen, wie es, von allen Betrachtern bewundert, den Giudecca-Kanal durchquerte. 134 Meter lang, maximal 214 Passagiere - so sieht ein Kreuzfahrtschiff aus, das für Venedig geeignet ist. 

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich Ihre Petra Reski (die sich darüber freut, dass Reskis Republik inzwischen von 854 Abonnenten gelesen wird, von denen 69 zu Ehrenvenezianer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)n ernannt wurden!) 

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