COOL LOOKS: Jedi Survivor
Bilder sagen mehr als tausend Worte. Wir alle kennen dieses geflügelte Wort. Die Frage aber ist: Welche Worte? COOL LOOKS will darauf eine Antwort finden.
Jeden Monat analysiert das Team von OK COOL das zentrale Artwork eines Spiels - von der Bildkomposition über die Farbwahl bis zum eigentlichen Motiv. Dieses Format will herausfinden, wie sich Spiele in einem einzigen Bild, dem sogenannten "Key Artwork", ihrem Publikum vorstellen. Wie viel und was verraten sie selbst über sich selbst in einem einzigen Bild? Welche Teile des Spiels tauchen bereits in dem Packungsbild auf, was wird ausgespart? Und, na klar: Gefällt uns, was wir da sehen?
Bei dieser Analyse unterstützten Profis das Team von OK COOL: Künstlerinnen und Künstler, die mit ihrem geübten Blick sehen, was uns entgehen würde. Und wenn alles klappt, dann lernen wir alle gemeinsam jeden Monat ein bisschen was neues über die Bilder, mit denen uns Videospiele jeden Tag umgeben.
All das ist gratis, ohne Paywall. Wer trotzdem die Arbeit von OK COOL unterstützen mag, kann das hier mit einem Klick erledigen - und sich für 5€ ganz nebenbei noch die gesamte Podcastbibliothek von OK COOL freischalten:
Jedi Survivor (2023)
Den Auftakt von COOL LOOKS macht ein Spiel, das sich erst kürzlich ins Spielregal gebohrt hat: "Jedi Survivor", die Fortsetzung des Jedi-Abenteuers von Cal Kestis, der 2019 mit "Jedi: Fallen Order" zum ersten Mal seine rothaarige Prachtfrisur im Lichtschwert spiegeln durfte.
Jetzt ist er wieder da, erlebt noch spektakulärere Abenteuer in einer noch größeren Galaxie und darf dabei endlich auch seinen Haarschnitt ändern. Fantastisch. Und zwischen diese Superlative zwängen sich schließlich auch noch die ganz großen Fragen des Lebens, die wir uns alle schon einmal gestellt haben: Wie werde ich ein guter Mensch? Welche Farbe soll mein Lichtschwert haben? Und wie besiegen wir endlich das Imperium?
Fragen, auf die es keine leichten Antworten gibt. Also werfen lieber ein Bild auf das Packungsbild von "Jedi Survivor" - hier ist es:
In dieser ersten Ausgabe von COOL LOOKS unterstützt uns Nadja Clauberg (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) mit ihrer Analyse dieses Artworks. Nadja ist Illustratorin, Schöpferin des Mikrofon-Templates der Podcastreihe "OK COOL trifft" (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und gehört zu den talentiertesten Pinselschwingerinnen der Spielebranche.
Die Analyse von Künstlerin und Illustratorin Nadja Clauberg:
Ich schreibe den Knackpunkt direkt vorweg: Wüsste ich nicht, dass es sich bei Star Wars: Jedi Survivor um ein Spiel handelt, so hätte es dem Artwork nach ebenso gut ein Filmposter sein können.
Das hat mehrere Gründe. Aus rein visueller Sicht, ohne etwas über das Spiel und dessen Genre, Handlung, Gameplay, Design sowie Audio zu wissen, ist eines der offensichtlichsten Merkmale: “teal and orange”.
Hierbei handelt es sich nicht nur um eine beliebige Farbkombination von vielen, sondern um DAS sowohl geliebte als auch verhasste Color-Grading-Trope der letzten 15 Jahre Filmgeschichte.
Hat man dies einmal bemerkt, fällt es einem wahrscheinlich für immer auf - und das öfter als man denkt. Schaut man auf Statistiken, ist diese Farbkombination die am häufigsten verwendete, sowohl in Filmtrailern als auch in Postern.
Zumindest im Blockbuster-Bereich. Denn so wie sich Indiegames immer wieder neu von den Tripple AAA-Klischees befreien, so ist dies (glücklicherweise) auch bei Indie-Filmen der Fall, die den Rest des Farbkreises noch nicht gänzlich seiner Existenzrechte beraubt haben.
Rein technisch bedeutet der "teal and orange”-Trope nur, dass Filme farblich vereinheitlicht auf dieses spezielle (in der Postproduktion minutiös erschaffene) Farbschema setzen.
Eine Frage der Kontraste
Um zu verstehen warum, muss man wissen, dass sich Blau und Orange im Farbkreis direkt gegenüber liegen und damit Komplementärfarben sind. Komplementärfarben wird in der Farbtheorie sowohl eine besonders hohe Harmonie untereinander, als auch gleichzeitig der größtmögliche Kontrast zugesprochen. Und wenn visuelles Design nach einer Sache strebt, dann sind es: Kontraste.
Während neben Orange und Blau sowohl Lila und Gelb als auch Grün und Rot Komplementärfarben darstellen, so eignen sich die Lieblinge Hollywoods vor allem deswegen, weil sie in Bezug auf den Inhalt der meisten Filme am nützlichsten sind.
So bewegen sich Hautfarben von Menschen in einem Farbspektrum zwischen hellen und dunklen Tönen, dabei jedoch stets auf der orangefarbenen Seite des Farbkreises. (Man bedenke, dass auch desaturierte Töne dazu gehören. Wir reden im Bezug auf Orange nicht nur von der Farbe einer Apfelsineschale!)
Folglich werden helle Töne also in der Postproduktion eines Films besonders gern in Richtung Orange gegradet, sodass menschliche Akteure automatisch stärker im Fokus stehen. (Dasselbe würde auch funktionieren, wenn wir den hellen Tönen eine grüne oder lila Tönung geben, nur würde sich dann ein weniger natürlicheres Gesamtbild ergeben - Menschen sind eben nicht grün und auch nicht lila.)
Als logische Konsequenz eignet sich Blau gegenüber Orange wunderbar als Kontrastfarbe für den Hintergrund und als Tint für die Schatten in einzelnen Frames.
Dass sich gerade actiongeladene Filme dieser Farbkombination bedienen, hat außerdem den Grund, dass Effekte wie Explosionen, Feuer, und was sonst noch so auf der Leinwand in die Luft gesprengt wird, im gelb-orangen Farbspektrum bewegen. Betont man diese Farben also gezielt, knallt es besonders eindrücklich.
Teal and orange. Es funktioniert, sieht gut aus, was will man mehr.
Getreu dem Motto “never change a winning team”, ziehen sich diese Farben wie ein Virus durch das Popcornkino der letzten Jahre, und so bald wird sich daran wohl auch nichts ändern.
Die Assoziationen zu diesen Filmen liegen beim Betrachten der Farben des "Jedi Survivor"-Covers also recht nahe und sind mit großer Sicherheit gewollt.
Passt ja auch. Von diesem Spiel erwarten sich die Meisten sicher eher eine Ladung Action, coole Effekte, denn einen tiefgründigen Walking Simulator mit Hausdekorationsmodus.
Jedoch hören die klischeebehafteten Ähnlichkeiten zum Film hier nicht auf.
Bedeutungsschweres Herumstehen
Betrachtet man den (einzigen) Fokuspunkt des Covers, so sieht man Hauptcharakter X (ich habe keine Ahnung, wer das ist. Wahrscheinlich der überlebende Jedi?) in einer generischen Pose. Sie wirkt nicht einmal besonders ausdrucksstark.
Trotzdem reiht sie sich grandios in eine Reihe von Postern, vor allem von Action- und Superheldenfilmen ein, in denen ein einzelner Charakter, oder in seltenen Fällen auch einzelne Gegenstände, im Fokus stehen. Oft exakt mittig und symmetrisch platziert, um den Fokus zu verstärken.
Kompositorisch eine der langweiligsten Arten ein Bild aufzubauen- aber es funktioniert für das, was es tun soll: Die Bedeutung und Stärke dieses einen Charakters betonen, dem Film oder dem Spiel ein Gesicht geben. Vergleicht man das Design unseres Überlebenden jedoch mit dem von Batman, Wonderwoman oder Transformers wirkt sein Charakter generisch und seine Silhouette uninteressant. Zumindest aus Charakterdesign-Sicht fehlt hier der Wiedererkennungswert einer ikonischen Fledermausmaske oder der einer langhaarigen, starken Frau mit übergroßem Schwert. Unser Jedi könnte auch ein Nebencharakter sein, wüssten wir es durch seine prominente Platzierung auf dem Cover nicht besser.
Das einzige (natürlich durch ein helles, lumineszierendes Blau vor dem orange getönten Himmel betonten) Designelement, das hier heraussticht, ist sein Lichtschwert.
Zugegeben, neben diesem ikonischen Prop sieht jeder Charakter schnell blass aus, doch ist der Mangel an Charakterdesign schon recht bemerkenswert.
EA setzt hier ganz klar all ihre monetären Hoffnungen auf die starke Fanbase der Marke Star Wars. Ich sehe ein Lichtschwert - ich kaufe!
Vorzeigebeispiel Aloy und Horizon: Zero Dawn
Da musste sich Guerilla Games 2017 mit dem Etablieren einer ganz neuen Reihe (Horizon: Zero Dawn) schon um einiges mehr Mühe geben. Das ist ihnen sowohl mit dem einzigartigen und leicht wiedererkennbaren Characterdesign Aloys - rote wüste Haare, interessante Kleidung bestehend aus einer Mischung sowohl futuristisch als auch prähistorisch wirkender Elemente - gelungen.
Ebenso wie auch mit dem Coverdesign des ersten Teils selbst: Neben einer starken Protagonistin in ausdrucksvoller, aufregender Pose, erfahren wir durch die riesige, fremdartige Kreatur im Hintergrund, durch gerade so sichtbare, ungewöhnliche Gebäudekonstruktionen in der Ferne und eine gekonnte Nutzung von Designtheorie genug environmental storytelling, um als Betrachter binnen Sekunden neugierig zu werden und sich immersiv in dieser Welt verlieren zu wollen. All das hat "Jedi Survivor"… nicht.
Kein Element auf dem Cover wirft in mir Fragen auf, und wenn, dann möchte ich sie nicht beantwortet wissen. Kein geschickt platziertes Objekt in der blassen Ferne des Horizonts löst in mir den Drang auf, seine Bedeutung zu ergründen, kein kleines fliegendes Element am Himmel lenkt meinen Blick länger als nötig von Survivor X weg, kein Spielen mit Designelementen erzeugt irgendeine Art von Spannung oder Mehrwert.
Schade, denn was wir von einem Spiel zumeist als erstes sehen, sind weder seine programmiertechnische Finesse noch seine umwerfende, packende Story. Es ist nicht mal das Gameplay. Es ist das Cover/ Keyart.
Sei es in Form eines kleinen Banners im Steam Store, wo es zwischen hunderten Konkurrenztiteln hervorstechen muss, oder in Form der klassischen Hülle in den Regalen der Gamesabteilung - ein Keyart sollte in allererster Linie Interesse wecken.
Designtechnisch geht das (wie oben genannt) durch Kontraste jeglicher Art.
Groß-klein, hell-dunkel, gesättigt - ungesättigt, Schärfe und Unschärfe, detaillierte vs. leere Bereiche, Komposition aus Vorder-Mittelgrund und Hintergrundelementen, geplante Blickführung, etc. Die Liste ist ebenso lang, wie sie hier ungenutzt bleibt.
Publisher Electronic Arts setzt wohl gezielt auf nichts Neues um die altbekannte Crowd, denen Lichtschwerter und Milliardenmarkenname reichen, anlocken zu können. Gleichzeitig begrüßen sie all jene mit offenen Armen, deren Watchlist auf der Filmplattform letterboxd zu 90% aus orange und blau besteht.
Dabei geht Jedi Survivor aber leider nur eins: rein visuell gesehen irgendwo im orangeblaufarbenen Meer unter.
(Der einzige Rettungsanker könnte der kleine Roboter zu Füßen des Hauptcharakters auf dem Cover sein, dessen Augen einem wohl neben “holt mich hier raus” sagen wollen, dass man doch BITTE nicht Pixar bezüglich etwaiger Urheberrechtsverletzungen am Design Wall-Es kontaktieren solle.)
Die Meinung von OK COOL:
Und damit sind wir am Ende dieses Debuts angekommen. Das war Ausgabe #01 von COOL LOOKS - auf dass noch viele weitere folgen werden.