Ene, mene muh und raus bist Du!
Das neue Kommunalwahlrecht NRW: Ein demokratisches Foulspiel?
Kleinparteien bangen um ihre Existenz
Die Änderung des Kommunalwahlrechts in NRW in der letzten Woche, das ab der nächsten Wahl 2025 gilt, ist wohl den wenigsten Bürgerinnen und Bürgern des Landes überhaupt aufgefallen. Solche abstrakten Themen bleiben oft unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung, besonders wenn König Fußball regiert und die Fußball-EM im eigenen Land stattfindet. Doch diejenigen, die davon betroffen sind, nehmen die Veränderungen natürlich genau wahr: die Parteien.
Das Gesetz wurde nicht nur von den Parteien der schwarz-grünen Landesregierung verabschiedet, auch die SPD stimmte zu. Viele kleinere Parteien und Kleinstparteien sehen darin jedoch ein Wahlrecht, das sie „systematisch und massiv benachteiligt", wie die FDP in einem Bericht des WDR (*) zitiert wird. Sie erwartet sogar ein „kommunalpolitisches Beben". Warum sich der politisch unorganisierte Bürger nicht dafür interessiert, mag daran liegen, dass in der Diskussion Begriffe wie das „Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë" eine Rolle spielen. Dieses Verfahren rundete bisher die Ansprüche auf halbe Sitze regelmäßig auf ganze Sitze auf, was den kleinen Parteien zugute kam. Nun soll es durch ein „Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich" ersetzt werden, um laut Sachverständigen zu einem „gerechteren Erfolgswert der Stimmen" zu führen.
Der Streit über die Wahlrechtsreform reicht bis nach Münster. Die Äußerungen des Münsteraner grünen Landtagsabgeordneten und Ratsherren Robin Korte im besagten WDR-Bericht haben den Blutdruck vom Ratsherren Lars Nowak (DIE PARTEI) in die Höhe getrieben. Nowak äußerte sich in einer Pressemitteilung zugesspitzt: „Der münsterische Grünen-Landtagsabgeordnete und sogenannte Kommunalexperte Robin Korte möchte laut WDR die 'Bevorzugung insbesondereder Kleinst- und Splitterparteien' beseitigen." Nowak sieht das jedoch ganz anders: „Kleine Parteien werden im Deutschen Parteiensystem nicht bevorzugt. Im Gegenteil, sie sind strukturell und finanziell enorm benachteiligt." Er kritisiert die Angst von CDU, Grünen und SPD vor politischer Konkurrenz und bezeichnet die beschlossenen Änderungen am Kommunalwahlrecht als demokratietheoretisch fragwürdig.
Nowak widerlegt Kortes Aussagen mit einer Rechnung: „Bei einer theoretischen Anwendung des neuen Wahlrechts auf die Ergebnisse der Kommunalwahl 2020 in Münster ergäbe sich eine Verschlechterung der Durchschnittsabweichung von0,4% auf 1,0%. Die Zahl der nicht repräsentierten Stimmen würde um 150% steigen." Korte hingegen bleibt bei seiner Sichtweise, dass lediglich eine „Überrepräsentation" der Kleinstparteien korrigiert werden soll, um problematische Verzerrungen bei der Umrechnung von Stimmen in Ratssitze zu beheben.
Auch CDU-MdL Simone Wendland aus Münster betont, dass das Ziel der Reform darin besteht, dass hinter jedem gewählten Mandatsträger eine annähernd gleiche Anzahl an Wählerstimmen steht. Kritik käme nur von den Gruppierungen und Parteien, die von den bisherigen „Verzerrungen" profitiert haben. Das neue Kommunalwahlgesetz strebt nach mehr Gerechtigkeit und will bisherige Ungerechtigkeiten durch Verzerrungen vermeiden.
Nicht nur betroffene Parteien, sondern auch die Initiative „Mehr Demokratie NRW" kritisiert die beschlossene Wahlrechtsreform. Sie bemängelt, dass es zukünftig schwieriger wird, ein Mandat zu erhalten oder eine Fraktion zu bilden, was vor allem kleinere Parteien und Wählergemeinschaften benachteiligt. Die FDP hatte die Reform bereits im Vorfeld kritisiert und plant nun rechtliche Schritte dagegen. „Es ist auffällig, wie die großen Parteien von dieser Reform profitieren. Die Veränderung des Wahlsystems zu ihren Gunsten kann von kleineren Parteien und Wählervereinigungen nur als demokratisches Foulspiel angesehen werden", so NRW-Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie, Achim Wölfel. Die FDP hat laut einer Pressemitteilung von Mehr Demokratie NRW (**) berechnet, dass die CDU mit dem neuen Wahlrecht bei der vergangenen Kommunalwahl 184 Sitze mehr gewonnen hätte, die SPD 84 und die Grünen 51. Dagegen hätten die FDP 95, die Linke 64, die AfD 29 und Kleinparteien 131 Sitze verloren. Frank Biermann
Bilder: Ratsherr Lars Novak, Die PARTEI, Simone Wendland, Landtagsabgeordnete der CDU und Robin Korte, grüner Landtagsabgeordneter und Ratsherr aus Münster
(**) https://nrw.mehr-demokratie.de/.../kritische-reform-des... (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
(*) https://www1.wdr.de/.../landtag-kommunalwahl-wahlrecht... (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)