Barbie vs. Poor Things
Mat ist dieses Mal wach geblieben um sich die Oscar Verleihung anzuschauen und mir ist mein Schlaf viel zu heilig, ich gucke mir die fünf Clips, die mich interessieren, am nächsten Morgen auf Youtube an. Überrascht ist man ja eigentlich nie, was daran liegt, dass die Oscar Verleihung einfach eine durch und durch konservative und als solche sehr vorhersehbare Veranstaltung ist. Deswegen war ja auch irgendwie klar, dass Oppenheimer (ein Film, an dem ich nach wie vor nichts als komplettes Desinteresse habe) die wichtigsten Oscars mitnimmt. Ist n Männerfilm, es geht um Massenvernichtung, er hat kommerziell gegen einen pinken Chickflick verloren, da muss er zumindest bei den Oscars seinen Mann stehen.
Mat fand Oppenheimer langweilig. Ich frage ihn, ob er denkt, dass Poor Things so antifeministisch ist, wie viele sagen. Mat sagt, als cis Dude dürfe er ja eigentlich keine Meinung dazu haben.
Ich habe natürlich viele Meinungen.
Gedacht
Frauentag löst bei mir immer eine mir selbst sehr unangenehme Mirna-Funkisierung aus. Je mehr Nachrichten meinen Instafeed fluten, wie schlimm alles ist, wie schlecht es den Frauen geht, je mehr News von Care Gap, Pay Gap, Pension Gap, Emo Gap, Orgasm Gap ich angucke, desto lauter wird die kleine Stimme in mir, die sagt: Was ist mit der Eigenverantwortung? Niemand zwingt uns dazu, Männern hinterherzuräumen, jahrelang zuhause zu bleiben oder schlechten Sex zu haben.
Keine Ahnung, bestimmt gibt es in diesem Land tatsächlich irgendwo Frauen, die dazu gezwungen werden, in heteronormativen Beziehungen zu sein, sich finanziell abhängig zu machen und ihren Männern hinterherzuputzen, aber in meiner Bubble (mutmaßlich exakt die gleiche Bubble wie die, aus denen all dieser Instagram-Content kommt) machen alle Frauen all das komplett freiwillig.
Und dann fühle ich mich mies, weil ich so eine schlechte Feministin bin, die wirklich glaubt, dass man all das systemische Leid, das uns wiederfährt, auf der individuellen Ebene lösen könnte. Aber vielleicht könnte man auf der individuellen Ebene anfangen?
Gedacht
Spoiler 🚨 Barbie und Poor Things
Ich habe mich schon letztes Jahr ausgiebig gefragt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), ob Barbie ein feministischer Film ist oder nicht. Nach der Oscarverleihung diskutieren nun alle über Poor Things. Barbie wurde wegen seiner Pinkheit und seiner Einsteiger-Level-Patriarchatskritik als feministisch gefeiert, die eigentliche Sensation war aber, dass eine Frau Regie geführt hatte und der Film trotzdem kommerziell erfolgreich war.
Bei Poor Things hat ein Mann Regie geführt, kommerziell war der Film deutlich weniger erfolgreich (was vielleicht auch daran lag, dass er kein Multimillionen-Werbespot für Mattel ist) und die Patriarchatskritik ist ein bisschen subtiler.
Die Kontroverse: Bella Baxter ist eine (schöne, junge) Frau mit dem Gehirn eines Kindes, die sehr gerne Sex hat. Laut Kritiker:innen: Genau das, was alle Männer wollen. Schrecklich sexistisch und eine Katastrophe, dass Emma Stone diesen Oscar bekommen hat. Und ich denk mir so: häh?
Die beiden Filme haben ja erstmal wahnsinnig viel gemeinsam. In beiden Filmen geht es um eine künstliche Frau, die ohne systemische patriarchale Prägung aufgewachsen ist und kein Interesse an Mutterschaft und romantischer Liebe hat. In beiden Filmen ist das fehlende Interesse an Mutterschaft und romantischer Liebe der Schlüssel zur Freiheit.
Die Enden sind grundverschieden: In Barbie wird die Puppe zur Frau, nimmt also ihre Menschlichkeit an, die als stereotype Weiblichkeit codiert ist: Barbie wird aufgefordert, zu fühlen: Sie weint und sieht in einer Traumsequenz Szenen häuslichen Glücks: Familienleben, Kleinkinder, Hochzeit, Partys, Ferien, Feuerwerk. Diese Szenen konservativer Weiblichkeit sind in der Logik des Films der ultimative Grund, sich den Strapazen der Sterblichkeit auszusetzen.
Ganz anders das Ende von Poor Things: Es gibt keinen Sinneswandel der Protagonistin. Stattdessen formt die Protagonistin ihr Umfeld so, dass es zu ihren Bedürfnissen passt. Bella Baxter ist genau so freigeistig wie zu Beginn ihrer Emanzipationsentwicklung. Sie hat sämtliche Männer, die sie kontrollieren wollten, eigenhändig entmachtet. Und den einen geheiratet, der nie versucht hat, sie zu kontrollieren. Sie hat nicht einfach nur gefühlt, sondern auch eine Prise kühle Ratio in ihre Partnerwahl einbezogen. Sie lebt in einer alternativen Beziehungsform, einer erweiterten Familie, sie ist immer noch nicht an Mutterschaft und heteronormativer Romantik interessiert, sondern mehr an Arbeit und Sex und Politik und Büchern.
Und wenn ich jetzt die Wahl hätte, was mein vierzehnjähriges Selbst als Message ins Frauenleben mitnehmen soll: Bella Baxter schlägt Barbie um Längen.
Den Oscar für das beste Production Design hätten beide verdient.
Gelesen (passt sehr gut zu Barbie und Poor Things)
Der Konsum der Romantik (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Eva Illouz ist eine Soziologin, die sich besonders gern mit der romantischen Liebe befasst und die all deine Träume und Disneyfantasien unter erbarmungslosem Licht auf einen Seziertisch legt, in ihre Einzelteile zerlegt und am Ende keine Spur Individualität oder gar Romantik mehr an ihnen lässt.
Ihr bekanntestes Buch ist wahrscheinlich Warum Liebe wehtut. Darin erklärt sie aus soziologischer Perspektive, warum unser »Heiratsmarkt« so funktioniert, wie er funktioniert und wie er entstanden ist. Der Konsum der Romantik beschäftigt sich mit der Frage, wie der Kapitalismus und die Konsumkultur seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts unsere intimen Beziehungen und unsere Vorstellungen von Romantik durchdrungen haben. Das Schöne (und erschreckende) an Illouz’ Büchern ist, dass alles, was man als privat und persönlich und individuell wahrnimmt und wahrnehmen will, viel weniger persönlich und individuell ist, als man hofft. Dass nichtmal das allerprivateste und vermeintlich natürlichste—meine Gefühle—sonderlich privat und natürlich sind, sondern immer auch Produkte der Kultur, in der wir leben und soziale Codierungen, auf die wir uns geeinigt haben.
Gesehen
Anatomie eines Falls. Spoiler 🚨
Kathrin meinte, sie fand den Film saulangweilig. Mat fand ihn gut und meinte, er enthielte eine der besten Beziehungsstreit-Szenen, die er kennt. Ich fand ihn so mittel.
Sandra Hüller ist natürlich toll (wie immer) und das Grundziel des Films funktioniert. Man weiß einfach nicht, ob sie’s getan hat oder nicht. Aber sonst hatte ich ein paar massive Probleme mit der Glaubwürdigkeit. Hauptsächlich: Welches Kind auf der Welt redet so? Und: Welcher erwachsener Mensch denkt, er könne sich mit Aspirin umbringen? Plus: Der Film ist auf Englisch und Französisch gedreht, in der deutschen Synchronisierung geht sehr viel verloren. Wenn man ihn guckt, dann sollte man ihn unbedingt im Original gucken.
Fazit: Sandra Hüllers Kleid bei den Oscars besser als der Film.
Gehört
Ich mochte diesen Song (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sehr gerne diese Woche. Bin dazu verträumt U-Bahn gefahren.
LOVE 🖤 bis nächste Woche