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TEXTE VOM VORHANDENSEIN

TEIL 3: VOM NICHTS

stell dir nichts vor...

Anfang 2021 bekam ich eine Anfrage des Künstlerkollektivs „Central Arts“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) aus der Schweiz. Wir hatten uns im Jahr zuvor bei einer ihrer Produktionen kennengelernt, bei der ich mitmachen durfte. "Zusammenkunst" heißt das wirklich nach wie vor umwerfend tolle Kunstprojekt, bei dem ich zum ersten Mal mein Gedicht „lass ma“ performen durfte - und dann auch noch mit dieser fantastischen Band und einem Orchester mit Streichern und Bläsern. Schon so etwas wie eine „once in a lifetime-Erfahrung. So eine Sache, von der man immer denkt, dass es toll wäre, so etwas mal umsetzen zu können, das aber doch nie tut, weil es die eigenen Kapazitäten übersteigt.

Von daher war es gar keine Frage, dass ich die erneute Anfrage zur Zusammenarbeit ohne allzu großes Nachdenken annehmen würde. Die Idee: Sie würden vier Kunstschaffende, von denen ich einer sein durfte, darum bitten in ihrer Sprache, in ihrem Ausdruck, in ihrer Kunstform folgende Frage zu beantworten: Was ist das gute an der (sogenannten) Guten Nachricht? In einem bestimmten Zeitraum sollten wir vier uns, völlig unabhängig von einander, künstlerisch mit dieser Fragestellung auseinandersetzen. Wir würden uns gegenseitig keine Einblicke geben, kannten uns teilweise sogar zu der Zeit noch überhaupt nicht und würden uns ganz am Ende des Prozesses alle zusammen in Zürich treffen und uns gegenseitig unsere Ergebnisse präsentieren. Darüberhinaus würde jeder von uns von einem phänomenalen Filmemacher porträtiert werden, um auch die Themen und vor allem den Menschen hinter dem Kunstwerk abzubilden. Alles in allem also eine Art Mini-Serie mit 5 Folgen. 4 Porträts und zum Schluß das große Finale mit der Präsentation.

So weit so aufregend. Ich würde also ein Gedicht beitragen. Einen Text, den ich als Spoken Word-Künstler dann sprechen und performen würde. Aber wie fange ich an? Was mache ich mit dieser Frage? Also, muss man da am Ende nicht wieder zwangsläufig über Gott reden? Möchte ich das gerade überhaupt? Fühle ich mich damit noch wohl? Und was, wenn mir dazu gerade nichts einfällt? Und selbst wenn - ist es nicht ziemlich schwierig von und über Gott zu schreiben, wenn ich doch glaube, dass allein der Versuch Gott in Worte und Sprache zu pressen ihn schon wieder weniger Gott sein lassen? Ich denke an Bonhoeffer Satz: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ Ich denke darüber nach, dass dieser Gott scheinbar gesagt hat, dass man sich kein Bild machen soll. Von ihm und eigentlich nicht voneinander. Aber wie sollte ich über Gott schreiben, wenn das eigentlich gar nicht geht und wenn überhaupt, dann eben nur in Bildern. In Metaphern und Vergleichen. Die natürlich auch alle ungenau sind und höchstens Teilaspekte betonen können.

stell dir n i c h t s vor...

All das geht mir durch den Kopf. Es ist November. Ich sitze bei Regen in einem kleinen Apartment in der Normandie, schaue auf das stürmische Meer und versuche einen Anfang für dieses Gedicht und diese Aufgabe zu finden. Und ich beginne mit dem Anfang. Also natürlich mit dem Anfang meines Textes, aber auch mit dem Anfang dieser antiken Textsammlung. Mit der ersten Seite. Mit der Schöpfungserzählung. Oder wie ich oft sage, mit dem Schöpfungsgedicht, weil ich diese ersten Zeilen so wahnsinnig poetisch finde. Und ich versuche Parallelen und Unterschiede zu finden zwischen Gottes Kreativprozesse und meinen eigenen. Hinweise auf die von Gott bevorzugte Kunstform und komme zu dem Schluß, dass es letztendlich doch auch Spoken Word sein muss - Es werde Licht. Und überlege, dass es doch interessant ist, dass Gott Worte spricht, weil dazu ja Zeit und Raum nötig sind. Ich versuche mich in Adam hineinzuversetzen und wie sich das wohl anfühlt plötzlich einfach vorhanden zu sein.

Im Großen und Ganzen schreibe ich also ein Gedicht darüber, dass es eigentlich nicht möglich ist, ein solches Gedicht zu schreiben. Das Gedicht heißt „NICHTS“. Man könnte also sagen, meine Antwort auf die Frage, was denn das gute an der Guten Nachricht sei, lautet: NICHTS.

Seit Freitag darf ich endlich Menschen meine persönliche Folge zeigen. Mir ist dieser Film sehr wichtig. Er entstand in einer Zeit, in der in meinem Leben sehr viel Chaos und Ungewissheit war und ich kaum wusste, wie und wo ich diese Drehs überhaupt organisieren soll. Ich war gerade aus meiner Wohnung ausgezogen und in die neue Wohnung konnte ich noch nicht und ich war in so einer merkwürdigen Zwischenphase. Daran erinnert mich dieser Film immer. Wieviel Angst und Unsicherheit da war und teilweise immer noch ist. Wieviel Zweifel und Improvisation. Das sieht man natürlich selten beim fertigen Produkt. Was man hoffentlich sieht, ist die enorme Freude, mit solch großartigen und begabten Menschen zusammenzuarbeiten und etwas zu erschaffen, zu dem wir allein niemals in der Lage gewesen wären.

https://www.youtube.com/watch?v=sVoTX22Hgc4&t=6s (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Ich verzichte heute bewusst auf die Audio und Video-Version dieses Textes, weil ich dir am allerliebsten diese beiden Videos ans Herz legen möchte. Das erste ist der Film-Clip für die Serie und das zweite ist meine Performance von NICHTS, das Gedicht, über das ich erzählt habe. Hier stelle ich dir jetzt also tatsächlich nichts vor:

https://www.youtube.com/watch?v=jVj5MJhhIJM&t=69s (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Liebe Grüße und bleib neugierig

Marco

PS. Die Serie von Central Arts heißt „UNTO US“ und ich empfehle ausdrücklich auch die Folgen der anderen beteiligten Kunstschaffenden. Die ersten 3 Folgen kannst du auf dem YouTube Kanal von Central Arts schon sehen und die nächsten beiden, werden an den nächsten beiden Freitagen erscheinen.

PPS. Wenn du diese Mail bekommst und darüber nachdenkst mich und meine Arbeit auf Steady monatlich zu untersützen, dann klicke gerne auf den Button.

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