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TEXTE VOM VORHANDENSEIN

TEXTE VOM VORHANDENSEIN VON MARCO MICHALZIK. In der Mitte des Titelschriftzugs ist ein Porträt des Autors in schwarz-weiß zu sehen.

TEIL 33: VOM HOFFEN (UND DEM GEGENTEIL)

Heute, als ich diese Einleitungs-Zeilen schreibe, ist Himmelfahrt. Auch so ein christlicher Feiertag mit einer Wundergeschichte im Zentrum. 40 Tage nach Ostern, dem Tag mit einem noch größeren Wunder. Auferstehen. Zum Himmel auffahren. Was auch immer das bedeutet. Und wie das geht. Vor 40 Tagen habe ich viel über diese österliche Wundergeschichte nachgedacht. Sie macht mir als Mensch, der oft zum Zweifeln und Hinterfragen neigt, jedes Jahr aufs neue etwas Mühe oder fordert mich zumindest heraus.

“And I said to him
Are there answers to all of this?
And he said
The answer is in a story
and the story is being told”

Dieses Zitat sind die Anfangszeilen eines Gedichts des irischen Dichters und Theologen Pádraig Ó Tuama. An dieses Gedicht musste ich immer wieder denken, als ich mir Gedanken darüber gemacht habe, welche Geschichte, Perspektive oder Person in diesem Jahr besonders spannend oder passend wäre an Ostern hervorzuheben. Ich habe einige Theolog*innen und Pastor*innen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, denen es manchmal schwer fällt besonders für die Gottesdienste an diesen hohen Feiertagen Predigttexte oder Aspekte auszuwählen, über die sie nicht schon zehnmal gesprochen haben. Die Angst sich und die Zuhörenden zu langweilen und sich zu wiederholen, leuchten mir sehr ein. Ich schreibe seit einigen Jahren für eine befreundete Agentur einen Adventstext, den sie dann in ihre Weihnachtspost an die Kund*innen verschicken. Zwangsläufig birgt das die Gefahr sich irgendwann zu wiederholen, wenn man sich Jahr für Jahr an derselben Geschichte abarbeitet. Es spricht aber wohl für diese Texte, dass es dennoch immer wieder gelingt in ihnen etwas Neues zu entdecken und nach vorne zu stellen. Und abgesehen davon, liegt auch in der Wiederholung, im Einüben, im Sacken lassen und im Ritual eine ganz eigene Schönheit und Qualität.

In diesem Jahr durfte ich einige Gedanken im Ostergottesdient der projekt:gemeinde in Wien teilen. Und auch ich stellte mir die Frage, welchen Text, welche Person, welche Perspektive möchte ich besonders betonen? Immerhin gibt in es den Texten des biblischen Neuen Testaments gleich vier verschiedene Versionen der Ostergeschichte mit unterschiedlichen Aspekten, Details und Schwerpunkten. Beim Lesen der Passage im Evangelium nach Lukas auf der Suche nach einer guten Idee, fiel mir dann wieder das oben zitierte Gedicht von Pádraig Ó Tuama ein. Bei Lukas klingt der Anfang des Ostergeschehens nämlich folgendermaßen:

Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesus nicht. Und als sie darüber ratlos waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Männer in glänzenden Kleidern. Sie aber erschraken und neigten ihr Angesicht zur Erde. Da sprachen die zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war und sprach: Der Menschensohn muss überantwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen. Und sie gedachten an seine Worte. Und sie gingen wieder weg vom Grab und verkündigten das alles den Elf und allen andern Jüngern. Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln. Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär’s Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. (Lukas 24,1-12)

Die Spannung zwischen den beiden Gruppen, die hier beschrieben werden, finde ich äußerst interessant. Mit wenigen Sätzen meisterhaft erzählt, wie die Verzweiflung sich für die Frauen am Grab in Hoffnung und Euphorie verwandelt und wie sie zu den Jüngern kommen und ihnen davon erzählen. Aber für die Verzweiflung und die Trauer und den Verlust klingt Hoffnung manchmal wie Geschwätz. Zu groß die Angst wieder umsonst zu hoffen. Erneut enttäuscht und verletzt zu werden. Auf Hirngespinste anderer hineinzufallen und sich dann schämen müssen für die eigene Naivität so etwas für möglich gehalten zu haben. Wenn alles, worauf du die letzten Jahre hingehofft hast, plötzlich von jetzt auf gleich gestorben und begraben ist, dann ist eine solche Botschaft erstmal schwer zu ertragen. Fast wäre es leichter einfach mit dem Verarbeiten und dran gewöhnen und akzeptieren anzufangen, als noch einmal von vorne zu hoffen. Beide Gruppen kann ich gut verstehen. Stell dir vor, du hast etwas erfahren, dass dir keiner glaubt und für Geschwätz gehalten wird. Stell dir vor, du wirst mit deiner Trauer nicht in Ruhe gelassen, sondern gegen alle Vernunft zum Weiterglauben angepiekst.

“And I said
But there is so much pain
And she answered, plainly,
Pain will happen.”

An Karfreitag habe ich mir mal wieder den phänomenalen Film „Die Verurteilen“ (org. The Shawshenk Redemption) angesehen. Meiner Meinung nach einer der besten Filme aller Zeiten. Er basiert auf einer Novelle von Stephen King und erzählt die Geschichte von Andy, der unschuldig für den Mord an seiner Frau und ihres Geliebten zu zweimal lebenslanger Haft im namensgebenden Shawshenk Gefängnis verurteilt wird. Die ersten Eindrücke dieser Gefängnisumgebung, in der der größte Teil des Films spielt, sind sadistische und korrupte Aufseher, unmenschliche Behandlung der Insassen, inklusive schwerster Strafen für kleine Vergehen oder auch nur dem geringsten aus der Reihe tanzen und ein bibelschwingender Gefängnischef, dem der eigene Profit und seine Vorstellung von Law and Order über alles gehen.

Und wir lernen Red kennen, der von Morgan Freeman verkörpert wird. Red ist sowas wie der Gefängnis-Schmuggler, der einem, obwohl selbst Insasse und zu einer hohen Haftstrafe verurteilt, Zigaretten, Alkohol, Magazine und so einige andere Dinge besorgen und einschleusen kann. Er wird schnell zu etwas wie dem besten Freund Andys im Gefängnis. Im Verlauf des Films reicht Red mehrmals Begnadigungsgesuche ein, um vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden, die aber stets abgewiesen werden. Es wird zusehends klar, dass er sich nicht nur an das Gefängnis, die Brutalität und die Monotonie gewöhnt hat, sondern auch an die Routine der immer wieder eingereichten und abgelehnten Anträge. Sie gehören zum unentrinnbaren Alltag dazu wie die Hofgänge und das schlechte Essen. Er sagt sogar: „Die Mauern hier sind schon komisch. Anfangs hasst du sie. Nach ner gewissen Zeit gewöhnst du dich daran. Und wenn noch mehr vergangen ist, kannst du ohne sie nicht mehr leben.“ Ungefähr in der Mitte des Films gibt es einen Dialog zwischen Andy und Red über ihre Situation und die Hoffnung, die ihnen bleibt. Andy hat sich noch nicht abgefunden den Rest seines Lebens hier und auf diese zu verbringen. Er hat sich noch nicht daran gewöhnt. Aber als er versucht, Red mit seiner Hoffnung anzustecken, entgegnet dieser: „Hoffnung ist sehr gefährlich. Hoffnung kann einen Mann in den Wahnsinn treiben. Hier drin nützt sie dir nichts. Am besten du vergisst das nie.“

Wie der Film ausgeht und ob die Hoffnung berechtigt war oder bitter enttäuscht wird, verrate ich dieser Stelle natürlich nicht. Aber ich finde diese Geschichte passt wunderbar zu den Stimmungen der beiden Gruppen aus der Lukas-Erzählung.

“Then I said
Will I ever find meaning?
And they said
You will find meaning
Where you give meaning.”

Am Tag nach Himmelfahrt habe ich mit Jasmin Brückner das Viktor Frankl Museum in seinem ehemaligen Wohnhaus im 9. Bezirk in Wien besucht. Eine These Frankls, die dort wiederholt in Texten und Videos vorkommt, ist mir besonders hängen geblieben. Angelehnt an ein Goethe-Zitat sagt er: „Wir können von uns eigentlich kaum mehr verlangen, als dass wir das Beste versuchen. Wir müssen auf das Schwarze der Scheibe zielen, wenn wir auch wissen, dass wir es nicht immer treffen können.“ Übertragen könnte man vielleicht sagen, wir müssen auf ein größeres Ideal, vielleicht eine Art Utopie hin hoffen, von der wir möglicherweise annehmen müssen, dass sie zu groß und unerreichbar scheint. Wenn wir es aber nicht wenigstens versuchen uns in diese Richtung zu orientieren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dem Ziel nicht mal nahekommen und wir ganz woanders herauskommen. Wir brauchen Hoffnungsnarrative, eine poetische Bildsprache, die vor Augen malt, was sein könnte und wie ich mir das vorstellen kann, um mich darauf zu bewegen zu können.

Hoffnung ist gefährlich.

Hoffnung geht verloren.

Hofnung wird wieder gefunden.

Hoffnung klingt wie Geschwätz.

Hoffnung schleift sich ab.

Hoffnung wird fahren gelassen.

Hoffnung tut weh.

Hoffnung überfordert.

Hoffnung ist trotzig.

Hoffnung ist euphorisch.

Hoffnung macht kreativ.

Hoffnung rennt.

Hoffnung gewöhnt sich nicht.

Hoffnung zieht Unmöglichkeiten in Betracht.

Hoffnung braucht manchmal einen Anlass.

Hoffnung hilft nicht immer sofort gegen Verzweiflung.

Hoffnung flackert.

Hoffnung flimmert.

Hoffnung wird hochgehalten.

Hoffnung hört Hidden-Tracks.

Hoffnung versucht es nochmal.

Hoffnung glaubt an diesmal.

Hoffnung sagt “Eines Tages…”

Hoffnung erwartet die Post-Credit Szene nach dem Abspann.

Hoffnung ist heftig.

Hoffnung ist hilfreich.

Hoffnung hängt am seidenen Faden.

Hoffnung ist lebendig.

Hoffnung ist widerständig.

Hoffnung ist hartnäckig.

Hoffnung ist verletzlich.

Hoffnung ist heilig.

Hoffnung ist lächerlich.

Hoffnung ist himmlisch.

Hoffnung ist heimlich.

Hoffnung ist laut.

Hoffnung ist verschwenderisch.

Hoffnung breitet sich aus.

Hoffnung stirbt zuletzt.

Hofnung ist ansteckend.

Hoffnung antwortet Auferstehung.

Hoffnung ist hohl.

Hoffnung ist heilsam.

Hoffnung sieht aus wie der Gärtner.

Hoffnung ist hier.

Hoffnung ist hinüber.

Hoffnung rettet hinüber.

Hoffnung wird hinüber gerettet.

Hoffnung ragt herüber.

Hoffnung ist gefährlich.

Das Gedicht von Pádraig Ó Tuama, das ich zwischen den Textteilen eingewoben habe, endet mit diesen beiden Zeilen:

“The answer is in the story
And the story isn’t finished.”

Die Antwort liegt in einer Geschichte, die erzählt wird. Die Hoffnung vielleicht auch. Gerade dann, wenn die Geschichte noch nicht zu Ende erzählt worden ist. Und selbst wenn es einem so vorkommt, als gäbe es keinen Grund mehr auf eine Fortsetzung zu hoffen, flüstert die Hoffnung manchmal trotzdem: Die Geschichte ist noch nicht zu ende.

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Liebe Grüße aus Wien und bleib barmherzig

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