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Diese Mauer

Bild: “Mauer” (Linguri 2022)

Wecker. Dösen. Wecker. Schlummer. „Du sollst dich informieren!“, sagt diese Stimme. Das sagt sie ja öfters mal.

„Als richtige Studierende beginnen Sie nun schon in Ihrem ersten Semester jeden Morgen die Zeitung zu lesen.“, sagte ein sehr alter Professor zu uns. Wahrscheinlich habe ich meine Vergangenheit gegendert, denn bei genauem Nachdenken, hat er sicherlich nicht Studierende gesagt. Aber ein echter Erwachsener informiert sich also jeden Tag. Warum eigentlich nochmal? Ach, keine Ahnung, bestimmt liegt das auf der Hand und nur ich sehr das wieder nicht.

Gilt es eigentlich, wenn ich meine Nachrichten nur über Instagram und TikTok bekomme? Nein, warte, da bin ich ja mal wieder in meiner unvertrauenswürdigen Echokammer. Da denken ja alle wie ich und das ist bestimmt verzerrt. Also lieber etwas stabiles als Podcast. Wenn ich es auf Spotify abonniere, dann vergesse ich es bestimmt nicht. Dann kann ich vor der Musik morgens noch Nachrichten hören.

Warte. Ich höre doch gar keine Musik morgens, oder? Warte. Es ist doch gerade morgens. Höre ich Musik? Nein. Aber irgendwie schon. Ich hab dieses Radio in meinem Kopf. Es geht nur aus, wenn mir etwas die Laune verdirbt. Wie wenn mir jemand den Stecker ziehen würde. Spannend eigentlich, oder? Eben geht’s dir noch gut, dann sagt irgendwer was und zack… Stille im Kopf.

Aber eigentlich höre ich nur manchmal Musik in meinem inneren Radio. Gut, eigentlich doch immer, aber es gibt auch parallel anderes Programm. Da gibt es diesen Schichtleiter, der über ein Megafon durchsagen macht, was alles noch auf der To-Do-Liste steht. Das Gute ist aber, dass er kein besonders gutes Gedächtnis hat und die Liste deswegen so halbwegs human ist… also, na ja, wenn sie nicht Inspiration für den Dauerpodcast: „Wie ich versage in 5 Schritten“ wäre. Hier geht es um die Details, in denen etwas falsch laufen könnte bei den ersten 3 Aufgaben aus dem Megafon. Ich glaube, er ist unter dem Genre „Informations- und Sachpodcast“ verfügbar.

Warte, da war doch neulich dieser Beitrag über positive self talk? Wecker. Schlummern. Früher hieß das snooze. Als ich klein war, dachte ich, das hat was mit sneeze zu tun. Niedlich, so ein kleiner nießender Wecker, oder?

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Aufstehen. Diese Mauer. Da ist sie wieder. Ich hab mir diesen Schreibtisch für den Notfall geholt. Klein. Elegant. Schmal. Falls mal doch was zuhause ansteht. Jetzt bin ich nur noch zuhause. Nur 30cm trennen mich von der Mauer. Eigentlich kuscheln wir irgendwie.

Wecker. Mittagspause. Irgendwo noch Gebete. Irgendwo E-Mails. Irgendwo Anrufe. Und diese Mauer. Wenn mein Gehirn nicht so laut wäre, wäre jeder Tag gleich. Alles war anders. Alles ist anders. Diese Gedanken.

Essen. Diese Mauer. Wie tief ist eigentlich eine durchschnittliche Wand? Und mit durchschnittlich meine ich eigentlich nicht durchschnittlich sondern normal. Und mit normal meine ich, was für mich normal ist. Und die Normativitätswand ist diese Mauer. Meine Mauer. Ist das nicht bizarr, was für ein Verhältnis ich zu ihr aufgebaut habe? Auf ihr kleben alle neuen Ideen. Immer wenn ein Projekt wahr wird, müssten sich Menschen bei dieser Wand bedanken. Nein, ich müsste mich bei der Wand bedanken. Sie blockiert meine Gedanken, durch sie durch zu laufen, in den Wald, ins Schwimmbad, in die Innenstadt. Sie fokussiert mich. Mein Radio prallt an ihr ab. Zurück in meinen Kopf.

Schau. ich hab also doch eine Echokammer. Mit mir selbst aber. Ganz analog. Wecker. Wenn dieser Ton nicht wäre, wüsste ich an manchen Tagen gar nicht, das Zeit vergangen ist. Es ist schon wieder dunkel. Zeit, sich auf die andere Seite der Mauer zu legen. Mein inneres Radio spielt jetzt aber die Party-2000er-Playlist. Also, wertungsfrei. Nicht meine Lieblingsmusik sondern einfach da. Denn dieses Radio läuft.

Wusstest du, dass die justinianische Pest mit Schmerzen unter dem Arm begonnen hat? Hattest du nicht um 13:02 Uhr kurz ein Ziehen unter dem Arm? Wenn die sich nicht bald mal alle impfen lassen, sitzen viel zu viele Menschen mit ihren Radios allein in ihren Echokammern, mit den Mauern vor ihren Köpfen. Das geht nicht gut.

Auf TikTok meinte doch einer, vor 3200 Jahren sind mehrere Zivilisationen auf einmal wegen neuer Technologie und Umweltveränderungen kaputt gegangen. Hmm. You just upgraded your Youtube degree. Früher gab es Funfacts noch beim Mittagessen in der Mensa über gleichschmeckender Pampe und freitags auch mal Fischgeruch von Menschen, die man kannte und deren Rechercheskills man aus Gruppenarbeiten kannte. Da war es irgendwie leichter einzuordnen, wem man vertrauen kann. Gut, ist ja eigentlich egal. Der Tag ist vorbei.

Wecker. Dösen. Wecker. Snooze. Sneeze. „Guten Morgen!“, sagte der kleine niedliche nießende Wecker zur Mauer.

HINWEIS
Ich habe den Text 2022 fertig geschrieben, der erste Entwurf stammt aus einer der Lockdown-Phasen in der Corona-Pandemie.
Sujet Gedichte & Kreatives

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