Wiedersehen mit Brideshead
Die Geschichte eines Weins
(Fernsehproduktion von Wiedersehen mit Brideshead 1981 mit Jeremy Irons und Anthony Andrews)
„Ich habe ein Automobil, ein Körbchen Erdbeeren und eine Flasche Château Peyraguey. Das ist ein Wein, den du noch nie probiert hast, also tu gar nicht erst so als ob. Er schmeckt himmlisch mit Erdbeeren.“ Ein wolkenloser Tag im Juni 1923. Charles Ryder verbringt ihn mit seinem Kommiliton aus Oxford Lord Sebastian Flyte auf dessen Anwesen. Brideshead.
Evelyn Waughs Wiedersehen mit Brideshead ist ein wundervolles Buch. Über eine abdankende Adelsgesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen. Die Klappe sagt, es sei der englische Gegenentwurf zum amerikanischen Great Gatsby. Mir gefällt bisher vieles daran. Natürlich das Britische. Natürlich Oxford. Natürlich die adeligen Figuren. Natürlich der Witz. Natürlich die Geschichte einer sehnsuchtsvollen Liebe. Mein Herz geht auf, wenn Lady Marchmain nicht als alt, sondern als sehr, sehr schön beschrieben wird. Ihre grauen Haare sind nicht grau, nein, sie hat elegante Silberstreifen. Und natürlich gefallen mir die Anzüge und Kleider, die getragen werden, die Stifte mit denen geschrieben werden, die Bücher, die gelesen werden, die Weine, die getrunken werden. Eben alles ausgewählte Kniffe, um diese Zeit so realistisch wie möglich darzustellen.
Clint dachte sich schon, es könnte mir gefallen, also überraschte er mich mit dem Buch. Und ich überraschte ihn nach ein paar gemeinsamen Lesestunden, indem ich ihm jenen Wein schenkte, den Charles und Sebastian bei ihrem ersten Ausflug mit ein paar Erdbeeren genießen. Den Château Peyraguey. Ein französischer Dessert-Wein mit einer interessanten Geschichte und einer noch viel interessanteren Frage. Warum wohl setzte Evelyn Waugh seine beiden Protagonisten unter eine Ulme ausgerechnet mit diesem Wein?
Das Weingut in Bommes gibt es schon seit 1618 und gehörte einem gewissen Raymond Peyraguey. 1742 ging das Gut in den Besitz eines Barons, der aber bei der Französischen Revolution seinen Kopf verlor. Erst durch den Neuerwerb 1796 von Lafaurie bekam der Wein sein Ansehen, den er bis heute hat. Irgendwann trank man den Wein von Peyraguey sogar am spanischen Königshof. Weitere Besitzer wechselten und es kam 1879 zu einer Erbschaftsteilung. Fortan war das Weingut nun zwei Weingüter. Nämlich Chateau Lafaurie-Peyraguey und Clos-Haut-Peyraguey.
(Das Weingut Chateau Lafaurie Peyraguey in Bommes, welches zum Anbaugebiet Sauternes im Bordeaux liegt. Foto via ungerweine.de)
Als ich Clint die Geschichte des Weins erzählte, rätselte wir natürlich sofort, warum die beiden Hauptprotagonisten den Château Peyraguey trinken und nicht den Chateau Lafaurie-Peyraguey oder Clos-Haut-Peyraguey. Immerhin schrieb Waugh den Roman 1944. Seine beiden Protagonisten trinken ihn 1923. Kannte Waugh den Hintergrund etwa nicht? Ich recherchierte weiter und weiter und kam zu dem Schluss, dass Waugh es durchaus hätte wissen können. In einem Essay Drinking (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) schreibt Waugh: "We were not ashamed (nor am I now) to relish sweet wine. Yquem had, of course, a unique reputation. Starting to drink it in a mood of ostentation, I was led to the other white Bordeaux." Er war also selbst ein großer Liebhaber süßen Weins und kannte sich offensichtlich mit franzöischen Weingütern aus. Eine weitere Recherche von Literaturdetektiven Poznan ergab: "Yquem" meint nichts anderes als das Château d’Yquem, welches weltweit zu den berühmtesten Weingütern gehört. Es liegt nur einen 20 minütigen Katzensprung vom Chateau Lafaurie-Peyraguey entfernt. Wird an dieser Flasche etwa deutlich, was für ein großartiger Schriftsteller Evelyn Waugh war? Ist Sebastians Familie so dermaßen reich, dass sie im Keller eine uralte Flasche vom Gut besitzt? Und ist die Wahl eines solchen Weins, eine Art Botschaft? Ist es das, was Waugh hier zeigen möchte. Zwei junge Männer in einer politisch schwierigen Zeit, die sich für einen Nachmittag die goldene Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurückholen?
Recht dunkles, brillantes Gelb mit erstem Goldschimmer. Erhabenenes Nasenspiel: reiches, üppiges Honigbouquet, gelbe gekochte Früchte, Mirabellen, Aprikosengelée, feine Botrytis. Am Gaumen mundfüllend, aussen fett, innen pfeffrig, wiederum Honig, der jetzt so frisch schmeckt wie von frisch geschleuderten Waben, zeigt eine gewaltige Mineralität im extrem langen Finale.
-Beschreibung Vin Lorence
(Chateau Lafaurie-Peyraguey für 50 Euro (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))
Rausfinden, warum Evelyn Waugh diesen Wein gewählt hat, werden wir wohl nie. Aber Clint und ich werden ihn nach Evelyn Waugh bald zusammen genießen. Sobald wir ein Schälchen Erdbeeren aufgetrieben haben!