Nothing Compares To …
Wiebke?
Ja, Schreibtisch?
Bin ich dein Lieblingsmöbel?
Oh Gott. Nicht schon wieder.
Sag schon. Aber sei ehrlich.
Schreibtisch, wie oft hatten wir diese Diskussion schon?
Gib’s doch zu. Du magst die olle Truhe lieber als mich. So schön beschnitzt und prächtig steht sie da. Und ich …
Hör auf. Bitte.
… bin schlicht und schmucklos. Pressholz. Reif für den Sperrmüll.
Schreibtisch, könntest du bitte aufhören? Meine Romannotizen werden ganz nass.
Dann schreib doch auf der blöden Truhe! Die hat keine Tränen!
Schluss damit. Ich verbringe jeden Tag mehrere Stunden an dir, die Truhe staube ich einmal in der Woche ab. Mit dir rede ich, die Truhe sagt kein Wort. Merkst du selber, oder? Hör endlich auf, zu vergleichen. Das ergibt keinen Sinn.
Aber du vergleichst doch auch! Musikbücher zum Beispiel.
Ja, aber das ist … was anderes.
Na, da bin ich ja mal gespannt. Hast du ein Taschentuch?
Gleich, Schreibtisch. Erst das hier.
Zwei Bücher mit Musik
Peter Kemper: Eric Clapton. Ein Leben für den Blues. Reclam, 2020.
Sinéad O’Connor: Rememberings. Penguin Books, 2021.
In diesem Jahr besuchte ich zwei Konzerte von Eric-Clapton-Tribute-Bands: The Cream Of Clapton Band (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und Slowhand. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Beide haben mich musikalisch umgehauen.
Dabei hatte ich mich vorher nie ernsthaft mit Eric Clapton beschäftigt. Er war halt da, wie ein geerbtes altes Radiogerät. Auf irgendeinem Sender läuft ja immer gerade Layla.
Mit Sinéad O’Connor war das anders. Als ich das Video zu Nothing Compares 2 U zum ersten Mal sah, war ich 18. Auf dem elterlichen Fernseher lief den ganzen Tag MTV.
Und plötzlich war da dieses Gesicht. Die riesigen Augen unter den millimeterkurzen Haaren füllten den Bildschirm. Aus ihnen liefen Tränen. Ich war sprachlos, denn so etwas hatte ich auf MTV noch nicht erlebt: echte Verletzlichkeit.
Eric Clapton vs. Sinéad O’Connor?
Es verbietet sich, diese beiden Leben zu vergleichen. Traumatische Kindheiten gegeneinander aufzuwiegen, Erlebnisse und Schicksalsschläge unterschiedlicher Textur auf ihre jeweilige Dichte zu prüfen.
Zwei Momente sind es, die ich einmal kurz nebeneinander ins Licht halte. Zwei Szenen öffentlicher Wut, die in den jeweiligen Büchern ausführlich beleuchtet werden. Zwei völlig verschiedene Statements, die völlig verschiedene Konsequenzen hatten.
5. August 1976.
Als Eric Clapton im Odeon Theatre von Birmingham nach dem ersten Song des Abends das Publikum begrüßte, begann er mit einer Frage: “Sind heute Nacht irgendwelche Ausländer im Publikum?”
Was folgte, war eine Tirade. “Großbritannien muss weiß bleiben. Normalerweise bin ich auf Droge, jetzt bin ich auf Rassismus! Das ist viel härter, Mann.”
Während des restlichen Konzerts konnte Clapton nicht von dem Thema lassen und fing immer wieder mit Anfeindungen an.
Die Konsequenzen?
Große Empörung. Offene Briefe wurden verfasst. Auf Druck der Kampagne Rock Against Racism (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) entschuldigte Clapton sich - ganze drei Jahre nach dem Vorfall - wie folgt:
Ich hatte mal wieder ein paar Gläser zu viel getrunken.
Ein alkoholbedingt unzurechnungsfähiger Ausrutscher also. Erst 2017 schämte Clapton sich dann öffentlich dafür, ein “Semi-Rassist” gewesen zu sein. Was immer das sein mag.
Auf sein Ansehen und seinen finanziellen Erfolg hatte die Tirade von Birmingham kaum einen Einfluss. Seine größten Erfolge sollten noch kommen. Bis heute ist Eric Clapton der Gitarrengott.
3. Oktober 1992.
Mit ihrem Auftritt bei Saturday Night Live sollte Sinéad O’Connor ihr drittes Album promoten. In sakraler Atmosphäre, bei Kerzenschein.
Aber nach dem ersten Song wich sie vom Skript ab. Sie sang nun a cappella War von Bob Marley:
We have confidence
In the victory
Of good over evil.
Bei evil holte sie ein Bild des Papstes hervor und riss es in Stücke. “Fight the real enemy”, rief sie noch. Dann pustete sie vor dem totenstillen Livepublikum die Kerzen aus und verließ die Bühne.
Die Konsequenzen?
Massiver Hass. Todesdrohungen erreichten O’Connors Management säckeweise. Ihre Tonträger wurden bei öffentlichen Veranstaltungen mit Straßenwalzen zerstört.
Zwei Wochen nach dem Vorfall trat Sinéad O’Connor bei einem Bob-Dylan-Tribute in New York auf und wurde heftig ausgebuht, wie man in den ersten Sekunden der preisgekrönten und sehr bewegenden Doku Nothing Compares (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sehen kann. Daraufhin sang sie noch einmal Marleys War.
In ihrer Autobiografie schrieb sie über den 3. Oktober 1992:
I am, in fact, rather proud of it.
Auf ihr Ansehen und ihren finanziellen Erfolg hatte die Aktion extremen Einfluss. An ihren frühere Karriere konnte sie nichr mehr anknüpfen. Bis zu ihrem Tod blieb sie in der öffentlichen Wahrnehmung die crazy bitch.
Was, wenn Clapton ein Bild vom Papst zerrissen hätte?
Das wäre natürlich nie passiert. Unter anderem, weil die von katholischen Geistlichen verübte sexuelle Gewalt an Kindern, auf die O’Connor mit ihrer Aktion hinweisen wollte, vermutlich nicht sein Hauptthema war.
Stellen wir es uns trotzdem vor.
Auch hier die atemlose Stille im Publikum, auch hier am nächsten Tag die Empörung. Aber ohne Todesdrohungen und Straßenwalze, igitt, schließlich handelt es sich um einen Gitarrengott.
Dann die Entschuldigung. Die vielen Gläser. Die Scham, ein Semi-Atheist gewesen zu sein. Die Reise in den Vatikan, um persönlich um Vergebung zu bitten. Die Absolution. Die ikonischen Fotos vom Papst mit Claptons Gitarre.
Eric hätte darüber ein ganzes Gospel-Blues-Album geschrieben.
Ein Grammy wär’s auf jeden Fall geworden.
Warum wurde Sinéad O’Connor für ihr Statement gecancelt und Eric Clapton für seins nicht?
Von dem ganzen katholischen Kram mal abgesehen, hat Sinéad das Schlimmste getan, was eine Frau öffentlich tun kann.
Sie hat ihre Wut gezeigt. Und sie hat sich dafür nicht entschuldigt.
Eine wütende Frau wird erst ausgelacht und dann verstoßen. Denn ihre Wut ist viel zu gefährlich für eine Welt, die bitteschön so bleiben soll, wie sie ist. Ihre Wut schreit nach Veränderung, darum ist sie eine Bedrohung für die Bewahrer. Ihre Wut verlangt eine gerechtere Welt, darum wird sie so gründlich ausgetreten wie ein unerwünschter Brand.
Es macht mich traurig, dass Sinéad O’Connor nicht als Königin auf ihrem Thron aus Wut alt werden durfte. Dass die Menschen nicht an diesen Thron getreten sind, um sich lehren zu lassen, wie man das macht. Wütend sein. Und verletzlich.
Rest in Rage, Sinéad.
Was noch?
Was Leichtes zum Abschluss: Mit meinem Festivalroman ROCK YOUR BEAST geht’s zügig voran, was mich sehr glücklich macht.
Auf meinem fiktiven Festivalgelände gibt es natürlich auch was zu Essen. Herzstück ist der Food Truck Moin Caramba mit norddeutsch-mexikanischer Küche.
Welches Gericht darf in diesem Food Truck auf keinen Fall fehlen? Ehrlich, ich steh gerade völlig auf dem Schlauch! Vielleicht fällt dir eine kreative Köstlichkeit ein? Dann schreib sie mir gerne, ich freue mich darauf.
Komm gut in den November!
Wiebke
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