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Liebe*r Utopist*in!

Wie bist du in den Herbst gekommen? Einigermaßen friedlich oder machen dir auch Frust und Zukunftsangst zu schaffen? Letztens ist eine Studie erschienen darüber, wie die Deutschen in die Zukunft blicken. Zwei Drittel sehen ihr eher sorgenvoll entgegen und befinden sich in einem „Machbarkeitsdilemma“: Einerseits erkennen sie die großen Zukunftsprobleme durchaus, können sich aber andererseits nicht vorstellen, wie sich diese bewältigen lassen. Sie verlieren das Vertrauen in Staat und Institutionen, haben Angst vor gesellschaftlicher Spaltung und ziehen sich ins Private zurück. 

Hier zeigt sich ein Problem, dessen Lösung ich seit Jahren leidenschaftlich auf der Spur bin: Denn es sind ja in Nischen bereits überall Lösungsansätze zu finden – im landwirtschaftlichen Bereich etwa, in Technik und Wissenschaft sowieso, aber auch in wirtschaftlichen, sozialen und spirituellen Dimensionen – und trotzdem starren wir als Kollektiv auf den Klimawandel wie das Kaninchen auf die Schlange! Es gilt daher, die verschiedenen Entwicklungen in eine Gesamtarchitektur möglicher Zukünfte zu integrieren, um wieder das Gefühl zu bekommen, dass eine lebenswerte Gesellschaft machbar ist. 

Aktuell wissen viele Akteur*innen noch zu wenig voneinander: Viele IT-Nerds, die open source-Lösungen entwickeln, nichts von den Pionier*innen, die Menschen befähigen, ihr Potenzial zu entfalten. Die Politiker*innen nicht von den Menschen, die im Alltag bereits postkapitalistische Geschäftsmodelle ausprobieren. Die Vorreiter*innen neuer Organisationsformen nichts von Menschen aus indigenen Kulturen, die ihr traditionelles Wissen nutzbar machen für die Zukunft ... Zwischen unterschiedlichsten Perspektiven einen Dialog zu schaffen würde enorme Synergien frei setzen! Kann Utopian Fiction da ein Weg sein? Finden wir es heraus!

Links zur Studie:

Zusammenfassung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Ausführlicher Bericht (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

In meinen "Utopischen Fenstern" gebe ich dir durch kleine Leseproben Einblick in neue Fragen und Herausforderungen, die zukünftig auf uns zukommen können. Sie stammen jeweils aus der aktuellen Folge von Kyaras Kodenet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), einer Erzählung, die ich in (zehn- bis zwölfseitigen) Abschnitten monatlich veröffentliche.

Klicke hier, um die Szene zu lesen:

http://julitopia.gruenekarte.org/UF%201-1.pdf (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Textschlüssel

Wir sind häufig noch überzeugt, dass wir Probleme allein mit dem Verstand lösen können. Die gute Nachricht: Dem ist nicht so. Das Gebot der Stunde ist es, in allen Lebenssituationen Gefühle wieder spüren und da sein zu lassen, damit sie gehen können – auch die Wut. Gerade eine Gesellschaft, die ein friedliches Miteinander zum Ziel hat, muss wieder lernen, Wut als Kraft, zu entscheiden und zu handeln zu erkennen und nicht zu unterdrücken.

Diese Szene ist inspiriert von Ansätzen der Gefühlsarbeit, wie sie zum Beispiel von Vivian Dittmar oder Friederike von Aderkas oder im possibility management praktiziert werden. Hier habe ich dank einer „Rage Session“ (www.kiannasir.com/) auch praktische Einblicke bekommen können :)

Mehr zum Thema Wutkraft erfährst du auch im aktuellen Utopischen Themenguide (Paket Ecotopia (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) als JuliTopia-Mitglied).

Termine

JuliTopias Salon #03

Im Laufe des November wird es einen JuliTopias Salon zum Thema Wutkraft geben, wo du dich gerne zuschalten kannst. Der Termin wird in Kürze über diesen Verteiler und in Social Media kommuniziert.

Die erzählte Zukunft. Vortrag, literarische Lesung und Diskussion

Veranstaltung im Rahmen des Philosophischen Salons des Klosters Lamspringe am Montag, 29. November 2021 um 19.30 Uhr, Lamspringe.

Utopisches Glossar

Utopisch-dystopisch zitiert

Heute: „Freie Geister“ von Ursula Le Guin (im Original: „The Dispossessed“) von 1974. 

Ein Werk, dem es gelingt, eine gebrochene Utopie zu sein bzw. der Ambiguität des Lebens gerecht zu werden. Der Physiker Shevek, Bewohner des Planeten Anarres, auf dem eine anarchistische Gesellschaftsordnung herrscht, reist für seine Forschung auf den kapitalistisch organisierten Nachbarplaneten Urras.

»Abfall. Es wird verbrannt.« »Sie verbrennen Papier?«

»Vielleicht  wird  es  auch bloß  ins  All  hinausgeworfen,  ich weiß es nicht. Ich bin kein Weltraumarzt, Dr. Shevek. Man hat mich aufgrund meiner Erfahrung mit anderen Besuchern von fernen Welten, den Botschaftern von Terra und Hain, mit der Ehre  betraut,  Sie  medizinisch  zu  betreuen.  Ich  bin  der  Leiter  der  Dekontaminierungs-  und  Habituierungsverfahren  für  sämtliche  Besucher  von  fremden  Welten,  die  in  A-Jo  landen.  Wobei Sie natürlich strenggenommen nicht von einer fremden Welt kommen.« Er sah Shevek schüchtern an, der nicht allem folgen konnte, was er sagte, aber doch den besorgten, zaghaften, wohlmeinenden Geist hinter den Worten spürte.

»Nein«, stimmte Shevek zu. »Ich könnte dieselbe Ahnin haben wie Sie, vor zweihundert Jahren auf Urras.« Er war dabei, seine alten Sachen anzuziehen, und als er sich das Hemd über den  Kopf  zog,  sah  er,  wie  der  Arzt  die  blaugelbe  »Schlafkleidung«  in  den  »Müll«-Behälter  stopfte.  Shevek  hielt  inne,  den  Kragen  noch  über  der  Nase.  Er  zog  das  Hemd  ganz  herunter  und öffnete den Behälter. Er war leer.

»Die Sachen werden verbrannt?«

»Ach, das ist ein billiger Pyjama, Standardausrüstung – einmal tragen und wegwerfen, das ist billiger als waschen.«

»Das ist billiger«, wiederholte Shevek nachdenklich. Er sagte die  Worte  so,  wie  ein  Paläontologe  ein  Fossil  anschaut  –  das Fossil, durch das sich eine ganze Bodenschicht datieren lässt.

Aus: U. Le Guin: Freie Geister. Fischer 2017.

Bildnachweis (alle): pixabay

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