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Gespensterbrief #34 - Auf der anderen Seite des Vorhangs

Mein liebes Gespenst,

8:30 am Morgen, es ist der 24. Februar. Ich betrete die Küche. Meine Freundin Ina (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die uns für ein paar Tage für Schreibarbeiten besucht, sitzt draußen im Garten auf der Terrasse und raucht eine Zigarette. Ich mache mir einen Tee und lade mir eine EP von Miranda Sex Garden runter, die im letzten Jahr nach langer Pause wieder etwas veröffentlicht haben.

24. Februar. FBI-Agent Dale Cooper fährt in die Kleinstadt. Er spricht ins Diktiergerät: „Diane, 11:30 AM, February 24th. Entering the town of Twin Peaks.“ Es ist einer dieser Sätze, die hängenbleiben, weil sie etwas eröffnen: Türen, Vorhänge, Abgründe. 🕳️
Seit diesem Tag im Jahr 1989 hat sich Twin Peaks in das Bewusstsein aller Menschen gebrannt, die im Great Northern Hotel als Dauergäste eingecheckt haben – All Inclusive mit Kirschtorte, schwarzem Kaffee und dem unangenehmen Gefühl, dass die Realität brüchiger ist, als sie vorgibt zu sein.

1989 sitze ich als Kind zum ersten Mal an einer Schreibmaschine.

Warum gibt es einen Twin Peaks Day? Vielleicht, weil es tröstlich ist, sich einmal im Jahr daran zu erinnern, dass Fernsehen mehr sein kann als das Abspulen von Inhalten. Twin Peaks war von Anfang an ein Störgeräusch im Äther. Eine Kleinstadt, in der jede*r Bewohner*in eine Spur zu seltsam ist, um übersehen zu werden. Twin Peaks selbst ist einer der Orte, an dem das Skurrile immer wieder das Beunruhigende streift. So ähnlich wie Wahlkampf.

Ich tippe ein: Twin Peaks Day Essays.
Eigentlich wollte ich heute eine Twin Peaks-Mega-Kolumne teilen, mit Auszügen aus meiner alten Masterarbeit (hier noch einmal vielen Dank, Kuchen und Kaffee an die Peakies, die das Kapitel damals gegengelesen haben) und Memes, habe aber wegen WG-Hausrenovierungsstress verpasst, nach Dateien zu schürfen, die noch auf einem alten Rechner liegen und im Internet herumschweben. Für einfach so neue Memes ausdenken fehlen mir Ruhe und Muße, denn F. M e r z blubbert schon wieder Menschenfeindlichkeiten in Mikrofone und ich bin abgelenkt und unruhig.

Vielleicht fasziniert uns die Serie deshalb: weil sie sich weigert, verstanden zu werden. Weil sie uns mit Fragen alleinlässt und das als Angebot begreift, nicht als Mangel. Wer ist Bob? Was flüstert die Log Lady ihrem Holzscheit zu? Und warum fühlt sich Angelo Badalamentis Musik an, als wäre sie für den ausschließlich fühlenden Teil in uns gemacht? Twin Peaks verlangt von uns, auszuhalten, dass Dinge gleichzeitig schön und verstörend sein können.

☕☕☕

Morton kommt dazu. Eine Weile schreibt jede*r so vor sich hin. Ich trage die ganze Zeit Kopfhörer, weil es mir schon immer leichter fällt zu schreiben, wenn ich dazu einen Soundtrack höre. Mittags holt Ina den großen Topf mit der Gemüsesuppe vom Vortag aus der Holztruhe im Garten. Nachts ist es noch so frostig, dass man problemlos Essen draußen kalt stellen kann. Ich habe keine Lust auf Suppe und mache mir stattdessen Nudeln mit Lauch und Käse.

Mehrmals öffnen wir die Terrariumtür der Schlange und stellen ihr frei, herauszukommen. Obwohl sie seit Tagen sehr aktiv ist, tanzt und an der Scheibe klebt, kommt sie nicht raus. Die Mittagsstunden gehen schnell vorbei. Ich frage mich, wann ich mit diesem Text hier fertig bin. Vielleicht auch erst am Abend, wenn ich im Wortkollektiv sitze. Vielleicht auch jeden Moment. Ungewissheiten aushalten.

Bist du darin auch so ein Profi wie ich?

Vielleicht auch schon früher. In den nächsten vier Jahren oder so. /Twin Peaks. Lynch/Frost.

Für den Rest des Tages ist nichts weiter geplant außer zu schreiben und später einen Ortswechsel zu unternehmen, um woanders zu schreiben. Tatsächlich wird noch mehr geschehen, aber wir sagen: Nur schreiben. Der Wahlsonntag sitzt uns in den Knochen und keine*r hat so richtig Lust, jetzt einen Kirschkuchen zu backen. Auch der Pizza-Montag, der seit Wochen per Gesetz hier stattfindet, fällt aus. Es ist noch so viel Suppe da.

Auf die Frage, ob Ina heute noch etwas ganz anderes unternehmen möchte und ich ihr zum Beispiel ein paar Orte in der Stadt zeigen soll, sagt sie Bloß nicht und wir müssen lachen.

Eigentlich kann auch der Text hier aufhören. Darum hier eine Liste mit den Dingen, die noch geschehen werden:

  • Ich denke mir eine Schreibübung für das Wortkollektiv aus, in der niemand zu sehr gefordert wird. Denn weil wir alle im Team Die Welt soll nicht brennen, bitte sind, geht es uns heute wohl eher so mittel.

  • Wir fahren auf Fahrrädern über eine Brücke und genießen die urbane Aussicht.

  • Irgendwo quetsche ich die Arbeit an einem Sachbericht dazwischen, den wir für unser Kulturzentrum einreichen müssen, damit wir die Förderung für unsere Arbeit erhalten. Ergänzend muss ich pro Quartal einen Bericht verfassen, in dem ich meine Handlungen begründe und beschreibe, inwiefern Menschen davon profitieren, dass wir ein für sie überwiegend kostenfreies und inklusives Kulturzentrum in der Stadt führen.
    Gutes machen ist manchmal ziemlich aufwändig und ich kann verstehen, weshalb viele sich schwertun, sich längerfristig zu organisieren. Man braucht dafür viele Löffel. Im besten Fall ist man aber mit vielen unterwegs und kann die Arbeit aufteilen. Es lohnt sich, wirklich. 🖤

  • Ich werde einen Freund treffen, den ich zuletzt vor Weihnachten sah und mich freuen.

  • Während ich im Wortkollektiv bin, lasse ich jemanden im Manuskript sterben.

Ich denke, das reicht. Zu Bett gegen elf.
xoxo
Jae

Danke

Ich danke allen, die bis hierhin diesen Weg mit mir gehen. Als eine, die die Blogosphäre von Anfang an mitgestaltet hat, bin ich froh, diesen Ort zu haben. Social Media wird von ekligen Großkonzerngroßkotzen kontrolliert und dort wird es zunehmends ungemütlicher.

Wenn nicht jetzt, wann dann. Macht euch eine eigene Webseite, bastelt drauf los, habt Spaß, malt euch ein eigenes Logo, macht es nicht perfekt, schreibt einen Newsletter voll mit Listen eurer Lieblings-Eissorten, hauptsache ihr macht was eigenes und teilt und unterstützt, wenn euch etwas gefällt. Wir brauchen Sichtbarkeit. Ohne Kunst und Ausdruck wären wir nicht ganz.

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