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â˜đŸŒFinger raus: Über Zeigerpflanzen

Eselsdisteln inmitten von anderen Wildblumen wie Kornblumen und Mohn

Hallihallo,

hier bin ich wieder. Und wie versprochen geht es in dieser Folge um die sogenannten Zeigerpflanzen! Die sind super spannend, denn wenn man ein wenig Ahnung davon hat, kann man ein Fleckchen Natur – sei es ein StĂŒck Park, der eigene Garten, ein Feld oder eine Ecke im Wald – auf eine Art und Weise lesen, die vielen verborgen bleibt. Und man lernt ganz viel ĂŒber die Insekten, den Boden und das Klima, ohne die Insekten, den Boden oder das Klima analysieren zu mĂŒssen. Ziemlich cool, finde ich.

Was sind Zeigerpflanzen?

Zeigerpflanzen, auch Bioindikatoren genannt, sind Pflanzenarten, die durch ihr Vorkommen bestimmte Umweltbedingungen anzeigen. Sie reagieren empfindlich auf spezifische Umweltfaktoren wie Licht, Salzgehalt, Feuchtigkeit, Beschaffenheit oder den NĂ€hrstoffgehalt des Bodens, in dem sie wachsen. Ihr Vorkommen oder das Fehlen dieser Pflanzen lĂ€sst RĂŒckschlĂŒsse auf den Zustand des Standortes zu. Sie liefern uns Wissenschaftler:innen, aber beispielsweise auch GĂ€rtner:innen oder Landwirt:innen enorm hilfreiche Hinweise, um den Gesundheitszustand von Ökosystemen zu beurteilen.

Nicht jede Pflanze kann eine Zeigerpflanze sein. Pflanzen, die ein breites Spektrum von Bedingungen tolerieren, eignen sich nicht so gut wie solche, die ganz bestimmte Bedingungen brauchen.

Die Geschichte der Zeigerpflanzen

Dass es Pflanzen gibt, die bestimmte Informationen ĂŒber Ökosysteme und Standorte vermitteln können, ist schon lange bekannt. Im 17. Jahrhundert gab es die Literaturgattung der “HausvĂ€terliteratur”, die sich an Gutsbesitzer – damals vor allem Adelige – richtete. Das Konzept des “Hausvaters“ stammte ĂŒbrigens von Martin Luther. Jedenfalls herrschte der Hausvater als Patriarch ĂŒber alle, die zum Haushalt gehörten, also auch ĂŒber das Gesinde. Und damit so ein Hausvater auch genau wusste, was er tat, brauchte er unter anderem entsprechende Ratgeberliteratur. Die HausvĂ€terliteratur enthielt also BĂŒcher, in denen es um Themen rund um das FĂŒhren und Verwalten eines Haushalts ging, und dazu gehörte eben auch der Bereich Landwirtschaft. TatsĂ€chlich ging es darin auch im Fragen zu Familie, Ehe und so weiter, man kann sich diese Werke vorstellen als: DIESES BUCH SAGT DIR, WIE DU EIN LEBEN FÜHREN MUSST. HIER STEHT ALLES DRIN! WĂŒrde ich mir manchmal fĂŒr mich wĂŒnschen 
 allerdings wĂ€re ich mit dem Inhalt der damaligen BĂŒcher vermutlich als Frau gar nicht so einverstanden, nun denn. Jedenfalls gab es damals beispielsweise ein Buch namens Georgica curiosa, das vom österreichischen Adligen Wolf Helmhardt von Hohberg (1612–1688) verfasst worden war. Das war damals wirklich der Shit in der HausvĂ€terliteratur, quasi eine Bibel, man(n) musste dieses Buch damals unbedingt lesen, wenn man ein adliger Patriarch war.

Im ersten Teil geht es unter anderem um landwirtschaftliche Aspekte, und dort findet man im zweiten Band auf den Seiten 13 und 14 das Folgende:

Auszug aus dem Buch

Da steht (ein bisschen an die heutige Schreibweise angepasst): “Gleichwohl ist es das gewisse Zeichen eines fruchtigen Bodens / wann die Feld-, Wald- und GartenbĂ€ume hoch und astreich / sonderlich wo wilde Birn-, Äpfel-, Kirsch- und andere ObstbĂ€ume von sich selbst wachsen und sich ausbreiten;”

Oder hier:

Noch ein Foto aus dem Buch

“Insbesondere ist dies ein Zeichen eines erwĂŒnschten guten Bodens / wann die hohen Berge von Grase / KrĂ€utern und BĂ€umen dick bewachsen / und mit Brunnenquellen versehen sind. Die Schlehdorn und Klee / wo sie von sich selbst wachsen / sind Anzeigungen eines guten Grundes / also auch wo schönes Grase / allerlei Feldpappeln / Ruta capraria [Geißraute], und dergleichen gefunden wird. (
)”

“Die GrĂ¶ĂŸe/Dicke und Höhe der FeldbĂ€ume ist ein besonders gewisses Zeichen der Fruchtbarkeit des Bodens / wie dann die neuen Autoren bestĂ€tigen / dass in Brasilien etliche BĂ€ume daselbst ĂŒber 400 Schuhe hoch wachsen / und so dick sind / dass 14 oder 15 Mann einen nicht umklaftern mögen / ja dass man aus einem einzigen Stamm eine Schunte ausbauen kann / darin anderthalb hundert Menschen sitzen und fahren können.”

Der Autor beschreibt also, wie man einen “guten Boden” – hier vermutlich als fruchtbar und ertragsfördernd gemeint – erkennen könne, indem man darauf achte, welche Pflanzen von selbst darauf wachsen.

Es dauerte jedoch noch bis 1812, dass diese Zeigerwerte von Wildpflanzen Einzug in wissenschaftliche Literatur hielten. Der Agrarwissenschaftler Georg Ernst Wilhelm Crome (1781–1813), der leider schon mit 32 Jahren an Typhus verstarb, war trotz seiner kurzen Schaffenszeit sehr produktiv; hauptsĂ€chlich beschĂ€ftigte er sich mit Moosen, was ihn fĂŒr mich natĂŒrlich außerordentlich sympathisch macht. Der volle Titel seines Buchs Der Boden und sein VerhĂ€ltniß zu den GewĂ€chsen; oder: Anweisung, den Boden, vorzĂŒglich vermöge der darauf wildwachsenden Pflanzen, kennen zu lernen und seinen Werth zu beurtheilen verrĂ€t schon, worum es darin geht: endlich gab es ein wissenschaftliches deutschsprachiges Werk, das eine gute Übersicht darĂŒber gab, welche Pflanzen welche Bodenbeschaffenheit anzeigten.

Nach Crome ist diese Wissenschaft ein wenig in Vergessenheit geraten, bis sie im 20. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Der Geobotaniker Heinz Ellenberg (1913-1997), dem alle Studierenden der Biologie irgendwann einmal begegnen, hat ein systematisches Verfahren beschrieben, das die botanischen Eigenschaften und das ökologische “Verhalten” unserer mitteleuropĂ€ischen Pflanzen in Form von standardisierten Zeigerwerten klassifiziert. Diese als Ellenberg-Zeigerwerte bekannten Eigenschaften werden nicht im Labor getestet, sondern hier geht es wirklich darum, wie man die Pflanze draußen beobachten kann. Wo wĂ€chst sie, wie stark, mit welchen Pflanzen zusammen? Dann analysiert man den Boden und sieht: Aha, salzig und feucht. Oder oh, ganz schön trocken, wo die wĂ€chst.

Pflanzengesellschaften

Pflanzen wachsen nicht isoliert, sondern sind Teil einer komplexen Gemeinschaft, einer Flora. Sie bilden GrĂŒppchen, sogenannte Pflanzengesellschaften, auch bekannt als Phytozönon, und die Wissenschaft der Erforschung dieser Gesellschaften nennt man tatsĂ€chlich Pflanzensoziologie, und diese gehört zur Vegetationskunde. Pflanzengesellschaften sind in sich auch nochmal strukturiert, also ein bisschen wie die Systematik von Tieren oder Pflanzen. Aber das sehen wir gleich.

Ich berĂŒhre Weißen Steinklee in einer Wiese

Das Konzept der Pflanzengesellschaften basiert auf der Beobachtung, dass Pflanzen in der Natur nicht zufĂ€llig irgendwo aufploppen, sondern bestimmte Arten bevorzugt in GrĂŒppchen auftreten. Diese Gruppen sind das Ergebnis komplexer ökologischer Wechselwirkungen, bei denen Faktoren wie die Konkurrenzsituation, eventuelle Symbiosen und die Anpassung an spezifische Umweltbedingungen eine Rolle spielen.

Schauen wir uns mal eine Waldgesellschaft an. Sehr bekannt und wichtig bei uns in Deutschland, aber auch in anderen mitteleuropĂ€ischen LĂ€ndern, sind die LaubwĂ€lder. Ganz besonders wertvoll ist fĂŒr uns der (Rot-)Buchenwald, mit unserer einzigen mitteleuropĂ€ischen Buchenart, der Rotbuche (Fagus sylvatica). Und nein, die Hainbuche ist eigentlich keine Buche, das wĂ€re ja viel zu wenig verwirrend! Sie gehört in Wirklichkeit zu den Buchenartigen, genau genommen zu den BirkengewĂ€chsen und darin zur Unterfamilie der HaselnussgewĂ€chse, ist also eine Schwester der Haselnuss. Alles andere wĂ€re viel zu logisch!
Aber zurĂŒck zu den Gesellschaften. Buchenwald ist nicht gleich Buchenwald, auch hier gibt es noch viele unterschiedliche Formen. Es gibt beispielsweise Moder-BuchenwĂ€lder, die sich im Boden durch die Humusform Moder ausweist. Ja, haha, so habe ich auch geguckt. Der Boden beinhaltet also viel nur so halbherzig zersetzte Pflanzenreste und ist recht sauer. Dementsprechend wachsen da nicht alle Pflanzen, sondern nur solche, die es wegen der Baumkronen nicht so hell und parallel auch sauer mögen. Charakteristisch wĂ€ren hier pflanzliche Mitbewohnerinnen wie die Drahtschmiele (Avenella flexuosa) oder die Heidelbeere (Vaccinium myrtillus).

Wieso interessiert uns das?

Vielleicht denkst du dir gerade: Ja, okay, laberrhababer, was bringt mir das?

Nun, stell dir vor, du lÀufst hier in Hamburg durchs Ohmoor. Da sieht das so aus:

Farne und GrĂ€ser zwischen BirkenBirkenHeidelbeerpflanzen um einen AmeisenhĂŒgel, der viel aus Nadeln bestehtBlick ins Moor; Birken, Pfade aus Holzschnetzeln

Was sehen wir hier? Wir sehen viele Birken, wir sehen SauergrĂ€ser, wir sehen Farne und Heidelbeeren, wir sehen Torfmoose. Und was verbindet diese Pflanzen? Ganz einfach: Sie mögen sauren Boden mit einem pH-Wert unter 6,5. Da Wald-Heidelbeeren ihr ph-Optimum irgendwo zwischen 4 und 5 haben und die da wirklich in Massen auftreten, weiß ich: Aha, der Boden ist wirklich ziemlich sauer. Der Lieblings-pH-Bereich von Birken liegt irgendwo zwischen 5 und 8, also ist es nicht unwahrscheinlich, dass wir uns um 5 herum bewegen. Außerdem sind diese Pflanzen okay mit feuchten FĂŒĂŸen, und die haben sie im Moor definitiv.

Nehme ich mir die Heidelbeere vor, kann ich noch mehr ĂŒber den Standort erfahren, an dem sie und ich mich befinden. Sie ist wichtig fĂŒr fast 30 Pflanzengesellschaften. Wenn ich also vor einer wildwachsenden Heidelbeere stehe, weiß ich, dass sie zumindest zu einer von aufgerundet 30 Pflanzengesellschaften gehört. Das schließt schon einmal eine Menge anderer Gesellschaften aus. Wenn ich mir jetzt genau anschaue, welche anderen Pflanzen da wachsen, kann ich die Pflanzengesellschaft herausfinden, in der ich stehe. Aber da das ein Text ĂŒber Zeigerpflanzen ist, konzentrieren wir uns darauf.

Unsere einheimische Heidelbeere hat die folgenden Zeigerwerte nach Ellenberg:

  • Licht: 5 (ist also eine Halbschattenpflanze)

  • Temperatur: - (ist ihr nicht so wichtig)

  • KontinentalitĂ€t: 5 (also so mittel)
    (Ein kontinentales Klima zeichnet sich durch grĂ¶ĂŸere Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter sowie geringere NiederschlĂ€ge aus. 5 bedeutet hier: Mittlere Luftfeuchtigkeit, es gibt deutliche Temperaturschwankungen, Winter sind mĂ€ĂŸig kalt, die Sommer mĂ€ĂŸig heiß. Mag also mitteleuropĂ€isches Klima.)

  • Feuchte: - (ist hier etwas gleichgĂŒltig)

  • Reaktion: 2 (zeigt saure bis stark saure Böden an)

  • Stickstoff: 3 (zeigt stickstoffarme Orte an)

Also: Ohne, dass ich irgendwelche Proben ins Labor mitgenommen habe, ohne, dass ich eine pH-Sonde in den Boden gesteckt habe, sogar ohne, dass ich irgendetwas angefasst habe, weiß ich hier schon ziemlich viel ĂŒber den Boden und generell den Standort. Und das nur, weil ich in die Hocke gegangen bin und geschaut habe, was da so wĂ€chst. Wenn ich dann noch die anderen Pflanzen betrachte und bestimme, bekomme ich ein gutes GefĂŒhl dafĂŒr, was in diesem Ökosystem vor sich geht. Und wenn ich so Informationen ĂŒber den Boden bekomme, kann ich auch RĂŒckschlĂŒsse auf die Tiere und Pilze ziehen, die dort leben, und das, ohne sie zu sehen! Die Heidelbeere zum Beispiel lebt in Symbiose mit Pilzen im Boden. In dieser Mykorrhiza-Verbindung zersetzt der Wurzelpilz fĂŒr die Heidelbeere den Rohhumus im Boden, sodass die Pflanze die NĂ€hrstoffe “mundgerecht” aufgespalten bekommt, und im Gegenzug gibt es Zucker fĂŒr den Pilz.

Wieso ist das auch fĂŒr Nicht-Biolog:innen nĂŒtzlich?

Nun, erst einmal ist es cool, ein Ökosystem lesen zu können. Ist auch ein toller Skill zum Angeben beim Spazieren. “Oh, hier gibt es sauren Boden, relativ milde Winter, der Boden ist zudem feucht und nĂ€hrstoffarm.” – “HĂ€, woher weißt du das?” – “Ach, ist halt so ein Skill von mir“ 
 đŸ’…đŸŒđŸšŹ Dann noch mysteriös gucken.

Aber auch im Alltag ist es hilfreich, vor allem, wenn man einen Garten hat. Der hintere Teil meines Gartens (den ich DĂ€negart nenne), sieht so aus:

der Hintere Teil meines Gartens; er grenzt ans Moor

Den Kirschlorbeer des Todes ignorieren wir mal, dem geht‘s im Herbst an den Kragen. Was ansonsten direkt auffĂ€llt: Das Braune im Hintergrund sind die SamenstĂ€nde des StumpfblĂ€ttrigen Ampfers (Rumex obtusifolius), das gelbblĂŒhende der Sumpf-Hornklee (Lotus pedunculatus), es gibt Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense) und Massen an Gundermann (Glechoma hederacea) – tatsĂ€chlich bedeckt er hinten im Garten den kompletten Boden –, und statt Gras wachsen in meinem Garten hauptsĂ€chlich Seggen. Was sagt mir das als GĂ€rtnerin?

Es sagt mir, dass ich sehr viel Geld sparen werde, indem ich in meinem Garten nicht versuche, einen klassischen Rasen zu etablieren, oder auf die Idee komme, hier im hinteren Eck kalkliebende Pflanzen wie Salbei- oder Lavendelarten zu pflanzen. Denn all diese Pflanzen brĂŒllen mir ins Gesicht: saurer Boden, um Gottes Willen, nĂ€hrstoffreicher, verdichteter saurer Bodennnnnn! Rasen, Lavendel und Salbei, die kalkhaltigen, lockeren und gern sandigen Boden mögen, werden da einfach nur verrecken. NatĂŒrlich könnte ich einen dauerhaften Kampf gegen meinen Boden beginnen, kann ihn sanden, aufkalken, umgraben, noch mehr aufkalken, immer und immer und immer und immer und immer wieder, mit richtig viel Geld. FĂŒr immer. Oder ich lasse es eben und freu mich, dass mein Boden großartig fĂŒr Heidelbeersorten ist, sogar generell fĂŒr Beeren und viele andere tolle Pflanzen. Meine kalkliebenden Pflanzen setze ich einfach in den vorderen Teil in große Hochbeete, beziehungsweise ist der Boden weiter vorn auch etwas kalkhaltiger als dort hinten. Woher ich das weiß? Nun, die Pflanzen haben es mir verraten. ;)

Überhaupt kann man dadurch auch die Geschichte eines Ortes lernen. Beispielsweise habe ich mich gefragt, wieso mein Waldgarten (also der andere) sauren Boden hat, was das fĂŒr ein Moor war, auf dem der Stadtteil liegt. Bei der Recherche habe ich herausgefunden, dass der Garten auf dem GelĂ€nde eines Lagers des ehemaligen KZ Neuengamme (S'ouvre dans une nouvelle fenĂȘtre) steht. Dann sprach ich meinen Ă€lteren Gartennachbarn darauf an, der mir erzĂ€hlte, dass er im Kampf gegen den Acker-Schachtelhalm einmal so tief gegraben hatte, dass er auf die Fundamente der LagergebĂ€ude gestoßen war; dann erzĂ€hlte er mir, wie er als FĂŒnfjĂ€hriger mit seiner Mutter die Bombennacht in Hamburg (Operation Gomorrha (S'ouvre dans une nouvelle fenĂȘtre)) ĂŒberlebt hatte – schon der zweite Mensch, der mir von seinen Erlebnissen in dieser Nacht berichtete. Und das nur, weil ich mich gefragt habe, wieso bei den GĂ€rten 200 Meter weiter so viel Moos, Segge und Acker-Schachtelhalm wĂ€chst, und begonnen habe, nach einem ehemaligen Moor zu recherchieren, das ich dort vermutet habe.

Nicht unfehlbar

Es gibt Menschen, die den Ellenberg-Zeigerwerten einen extrem hohen Wert beimessen und sie ĂŒber alles Stellen, doch ist das Verfahren nicht fehlerfrei. Ein großes Problem bei den Zeigerwerten ist beispielsweise, dass viele Pflanzen sehr anpassungsfĂ€hig sind und wirklich alles dafĂŒr geben, wachsen zu können – egal, wie schwierig es ist und wie kĂŒmmerlich das Wachstum ist. Eine Pflanze, die normalerweise feuchte Böden bevorzugt, kann zum Beispiel auch auf einem trockenen Standort ĂŒberleben, wenn die Bedingungen dort nicht zu extrem sind. Wenn man dieser Pflanze nun pauschal einen hohen Feuchtigkeitswert zuweist, kann das in einigen Situationen irrefĂŒhrend sein. Die Zeigerwerte könnten uns also in dem Glauben lassen, dass sie uns direkt sagen, warum eine Pflanze an einem bestimmten Ort wĂ€chst. Aber das ist nicht unbedingt der Fall. Die Werte sagen uns, wo die Pflanze hĂ€ufig vorkommt, aber sie erklĂ€ren nicht wirklich die dahinterliegenden biologischen GrĂŒnde dafĂŒr. Es kann viele Faktoren geben, die das Wachstum einer Pflanze beeinflussen, und nicht alle diese Faktoren werden durch die Zeigerwerte erfasst. Ellenberg selbst hatte sogar immer wieder betont, dass die Zeigerwerte nicht das Ergebnis exakter Messungen, sondern vielmehr das Resultat von Erfahrung und EinschĂ€tzung sind und eher so eine Tendenz widerspiegeln. Quasi: Eine gute erste Übersicht ĂŒber einen Standort, der Auftakt fĂŒr genauere Untersuchungen.

Manche Wissenschaftler:innen schlagen deshalb vor, dass wir uns bei der Charakterisierung eines Ökosystems nicht nur auf die Zeigerwerte verlassen sollten, sondern auch andere Methoden anwenden, um ein Ökosystem besser zu verstehen. Zum Beispiel könnten wir uns anschauen, wie sich die Landschaft und die Nutzung des Bodens im Laufe der Zeit verĂ€ndert haben, um besser nachvollziehen zu können, warum bestimmte Pflanzen heute an einem bestimmten Ort wachsen. Eine interessante Kritik findet man hier (S'ouvre dans une nouvelle fenĂȘtre), fĂŒr alle, die das interessiert.

Ein weiß blĂŒhender DoldenblĂŒter

Pflanzen bestimmen

Vielleicht habt ihr jetzt Lust, rauszugehen und zu entdecken, was fĂŒr Ökosysteme mit welchen Eigenschaften um euch herum existieren, vielleicht wollt ihr zu PflanzenflĂŒster:innen werden, aber habt ein Problem: Ihr kennt euch nicht mit Pflanzen aus.

Keine Sorge, bis vor 3-4 Jahren ging mir das noch genau so, weil ich so fixiert auf Insekten war, dass meine botanische Kenntnisse echt etwas unterentwickelt waren. NatĂŒrlich kann euch das gute, alte Bestimmungsbuch helfen, jedoch muss man ja auch erst einmal wissen, wie man so ein Buch nutzt. Hilfreich kann hier dieses Buch sein: Grundkurs Pflanzenbestimmung / Eine Praxisanleitung fĂŒr AnfĂ€nger und Fortgeschrittene von Rita LĂŒder, erschienen im Quelle & Meyer Verlag. Aber wenn ihr ein Smartphone mit Kamera habt (Google Playstore oder Apple App Store), gibt es eine Reihe toller Apps, mit denen ihr mit einem Klick herausfinden könnt, was da vor euch wĂ€chst oder krabbelt:

Wenn wir schon dabei sind: Wer so wenig Ahnung von Vogelstimmen hat wie ich (ich kann sie mir einfach nicht merken !!!!), dem hilft die App des NABU:

So, ich wĂŒnsche dir jetzt erst einmal viel Spaß beim Entdecken deiner Umgebung!

Bis zum nÀchsten Mal

Jasmin

Jasmin sitzt vor einem blĂŒhenden Rhododendron

Quellen

Hohberg, Wolf Helmhard von: Georgica Curiosa. Bd. 2. NĂŒrnberg, 1682, S. 13-14.

Ellenberg, H., Weber, H.E., DĂŒll, R., Wirth, V., and Werner, W. (2001). Zeigerwerte von Pflanzen in Mitteleuropa 3., durchgesehene Auflage. (Verlag Erich Goltze GmbH & Co KG).

Gehlken, B. (2021) Die Magie der Zahl. Eine method(olog)ische Kritik an Ellenbergs ökologischen Zeigerwerten (S'ouvre dans une nouvelle fenĂȘtre). Notizbuch. 92 ‚Vegetationskunde unplugged‘: 175-191. Kassel

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