Sächsische Antifas mobilisieren gegen jeden Antisemitismus, Teil 2
Der 07. Oktober 2023 war eine Zäsur, in vielerlei Hinsicht. Die meisten werden bei dieser Feststellung vornehmlich an negative Entwicklungen denken – an mangelnde Solidarität mit israelischen Zivilist*innen, an antisemitische Ausschweifungen an Universitäten und auf den Straßen.
Es gibt aber auch eine positive Entwicklung, was viele bei der Fokussierung auf das Negative übersehen: die Neuformierung einer Antisemitismus-sensiblen Linken. Mit dieser Neuformierung geht eine wesentliche Verbreiterung einher, Einzelpersonen und Zusammenhänge mit vielfältigen Hintergründen engagieren sich. Es sind nicht nur die klassischen Antideutschen, ein Begriff, der sowieso inflationär zur Feindmarkierung genutzt wird.
Feministische und queer-feministische Initiativen, Menschen mit Wurzeln in Islamismus-betroffenen Weltgegenden (Kurdistan, Iran, Afghanistan, Sudan) und schlicht diverse Linke, die schon immer Antisemitismus-sensibel waren oder sich seit dem 07. Oktober mit diesem Thema auseinandergesetzt haben – die Szene ist bunt.
Selbst für Berlin, wo hängengebliebene Antiimps, altbackene Jung-Autoritäre und neumodische Postkoloniale ein Konglomerat des Grauens bilden, gilt: Hoffnung, doch.
https://flic.kr/p/2qQNXb9 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Mit Berlin beginnt dieser zweiter Teil. Berlin? Liegt nicht in Sachsen – aber dankenswerterweise haben Queer Pride Dresden am 08. März eine Rede bei Feminism Unlimited gehalten, sodass ich diese Demo guten Gewissens in diese Artikelserie aufnehmen kann. Der Blick lohnt: Feminism Unlimited steht beispielhaft für die Neuformierung der Antisemitismus-sensiblen Linken.
1. Queer Pride Dresden bei Feminism Unlimited in Berlin, 08.03.2025
13.30 Uhr, S+U-Bahnhof Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg: Unten an der Treppe drängeln sich die Menschen, direkt vor dem S-Bahn-Ausgang steht ein Lauti. Nach rechts weg die Straße entlang hat sich bereits der Demozug positioniert, die Auftaktkundgebung beginnt gerade. Mehrere Tausend haben sich versammelt, das ist trotz unübersichtlicher Lage schon klar.
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Feminism Unlimited am Frauenkampftag, in Berlin ein gesetzlicher Feiertag. Berlin?
Nach dem 07. Oktober hat sich dieses Bündnis gegründet, um einen selektiven Feminismus zurückzuweisen und für einen universellen Feminismus zu werben. Überraschend viele schlossen sich am 08. März 2024 der ersten Feminism-Unlimited-Demo an, bis zu 10.000. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Am ersten Jahrestag des 07. Oktober folgte die zweite Aktion, eine Kundgebung vor dem Bethanien unter dem Motto „Für das Leben, gegen den Tod.“
Nun der 08. März ein Jahr später, erneut ruft das Bündnis zu einer Demonstration auf. Mit einem breiten Ansatz, die Rednerinnen werden an diesem Tag zahlreiche Aspekte wie den Rechtsruck, die Situation in Islamismus-betroffenen Ländern und häusliche Gewalt thematisieren.
Der 07. Oktober und die Folgen für die weltweite Linke sind aber weiterhin präsent – im Aufruf heißt es:
Umso enttäuschender ist es zu sehen, dass vermeintlich linke und feministische Kreise genau diese Kritik verfehlen und grundlegende feministische Prinzipien über Bord werfen. Die sexualisierte Gewalt, die am 07. Oktober 2023 gegen israelische FLINTA* und weitere Personen ausgeübt wurde und weiterhin wird, [...] wird immer wieder verharmlost, geleugnet oder sogar als Widerstand glorifiziert. In diesen Kreisen ist der wahnhafte Antisemitismus stärker als grundlegende feministische Überzeugungen […]
Zugleich betont das Bündnis die Notwendigkeit, als Linke die israelische Regierung zu kritisieren:
Gleichzeitig beobachten wir, wie aus vermeintlich progressiven Kreisen linke Grundprinzipien über Bord geworfen werden, indem die Taten der rechten Netanjahu-Regierung und der IDF verharmlost oder idealisiert, das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung ignoriert und rassistische Narrative und Repressionen befürwortet werden. Eine echte Bekämpfung von Antisemitismus ist eine antifaschistische Angelegenheit, sie kann nicht erfolgreich sein, wenn sie sich von grundlegend antirassistischen und linken Überzeugungen abwendet.
Auf der Auftaktkundgebung spricht eine Rednerin von Hashomer Hatzair, einer säkularen, sozialistischen und antifaschistischen Jugendbewegung, 1913/1914 als sozialistisch-zionistische Pfandfinderbewegung in Galizien gegründet. Seit 2012 gibt es wieder einen deutschen Zweig. Unter großem Beifall fordert die Rednerin eine „Welt ohne patriarchale Gewalt, ohne Antisemitismus und ohne Faschismus“. Und kritisiert den Antisemitismus der Rechten und die Ignoranz vieler Linker:
Antisemitismus ist dabei eine zentrale Brücke für diese Ideologien. Rechte relativieren die Shoa, greifen unser Gedenken an und bedienen antisemitische Verschwörungsmythen. Sie inszenieren sich als Verteidiger*innen jüdischen Lebens – während sie in Wahrheit Rassismus und Faschismus stärken. Gleichzeitig erleben wir in linken und feministischen Kreisen eine schmerzhafte Realität: Der Kampf gegen Antisemitismus wird oft ignoriert, relativiert oder gar bekämpft.
Zuvor hatte eine Sprecherin der bundesweit aktiven Online-Geflüchtetenberatung Pena.ger Solidarität mit allen von Islamismus Betroffenen gefordert:
Es gibt keinen Feminismus, ohne den Kampf gegen Islamismus.
Später wird sich Elisa Aseva zur katastrophalen Situation im Sudan äußern und Grüße an Schwestern in vielen anderen Ländern senden, auch sie betont den universellen Anspruch. Azadi Berlin geht bei der Zwischenkundgebung auf die Lage im Iran ein:
Die iranischen Frauen kämpfen nicht nur für ihre eigene Freiheit. Sie kämpfen für universelle Menschenrechte, für Würde und Selbstbestimmung. Ihr Mut verdient unsere uneingeschränkte Solidarität und aktive Unterstützung.
Ein seitlich getragenes Transparent unterstreicht dies: Freiheit ist nicht westlich, nicht östlich, sondern universell. Iran 1979“.
https://flic.kr/p/2qQNX7b (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Der Islamismus als Gefahr, vor allem in entsprechenden Ländern wie Iran, Afghanistan und Sudan: Feminism Unlimited benennt dieses Problem klar, prangert aber zugleich den Rechtsruck in westlichen Gesellschaften und den patriarchalen Alltag an.
Diesen Part übernimmt unter anderem Queer Pride Dresden, deren Redebeitrag von einer Person aus Berlin vorgelesen wird – sämtliche Auswüchse des Rechtsrucks ins Visier nehmend:
Wir sind wütend, dass gemeinsam über Jahre für das neue Gewalthilfegesetz gekämpft wurde. Und das am Ende auf Druck der CDU der Schutz für TIN-Personen herausgestrichen wurde. Eine der verletzlichsten Gruppen unserer Gesellschaft wurde dem rechten Populismus geopfert.
[...]
Wir sind außerdem wütend über die aktuelle Welle martialischer, queerfeindlicher Mobilisierungen. 2024 gab es bei zwei Drittel aller CSDs in Sachsen rechtsextreme Gegenaktivitäten.
Queer Pride Dresden plädiert leidenschaftlich für „gemeinsame queere, antifaschistische Aktionen“ und nennt Anreisen aus Großstädten zu CSDs und Queer Prides in der Provinz als Beispiel. Positiv heben sie eine Bahnsteig-Blockade am Dresdner Hauptbahnhof vor, mit der es Antifas gelang, die Anreise der Elblandrevolte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zum CSD Bautzen zu verzögern.
CSD Bautzen: Queer Pride Dresden ist nicht die einzige sächsische Organisation, welche die Feminism-Unlimited-Demo mit einer Rede bereichert. Zur Abschlusskundgebung vor der Volksbühne spielt der Lauti einen Audio-Beitrag von CSD Bautzen und Queernetz ab, welche die Herausforderungen durch rechte Angriffe auf CSDs plastisch darstellen.
Die Themenbreite der Feminism-Unlimited-Demo zeigt eindrucksvoll und erschütternd, an wie vielen Stellen Kämpfe notwendig sind – und wie umfassend die aktuellen Angriffe sind. Zugleich gibt es Anlass für Hoffnung: Mehrere Tausend bei dieser Demo beweisen, dass ein universeller Feminismus, der Antisemitismus und Islamismus ernst nimmt, auch in Berlin eine breite Basis hat.
https://flic.kr/p/2qQPW5W (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Nach dem Ende der Demo bin ich nahezu euphorisch. Fahre mit S- und U-Bahn nach Neukölln Richtung Bajszel. Teilnehmer*innen anderer Demos strömen in die Waggons. Hippe Klamotten, Regenbogen-Pins, die Kufiyas aus festem Stoff kopftuchartig umgebunden.
Ich bin froh, als ich das Bajszel erreiche. An diesem Abend gibt es keinen Angriff auf die Kneipe.
2. Thorsten Mense in Dresden, AZ Conni, 17.12.2024
Von Berlin zurück nach Sachsen: In Dresden engagiert sich die 2020 gegründete antiautoritär-kommunistische Gruppe Rotes Dresden in Bereichen wie Antirepression, Antikapitalismus und Klimakrise. Wie bei Queer Pride Dresden sind Antisemitismus oder gar der Nahostkonflikt keine vornehmlichen Aktionsfelder – die klare Haltung gegen jeden Antisemitismus aber ein Grundpfeiler.
Das machte Rotes Dresden unter anderem im Statement „Keine Zusammenarbeit mit autoritären und antisemitischen Gruppen“ deutlich – eine gemeinsame Erklärung zahlreicher Dresdner Organisationen und Locations, die sich gegen den linksautoritären Roten Aufbau richtete und dessen Antisemitismus sowie weitere Problematiken kritisierte:
Die Gruppe Roter Aufbruch positionierte sich eindeutig zum Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem damit einhergehenden Pogrom. In ihrem Text benennen sie es als „al-aqsa-Flut der palästinensischen Kräfte“ und übernehmen damit das Wording der Hamas. Sie thematisieren in ihrem Text den anschließenden Krieg Israels, verlieren allerdings kein kritisches Wort zur Hamas oder dem seit der NS-Zeit größten antisemitischen Pogrom.
[...]
Als Teil einer emanzipatorischen und antiautoritären radikalen Linken lehnen wir die hier aufgezeigten Kernelemente autoritär-kommunistischer Strömungen, wie einen Geschichtsdeterminimus, eine instrumentelle Staatsaufassung, Avantgardekonzepte wie auch die Legitimation von völkischen Ideologien und Antisemitismus entschieden ab!
Antisemitismus nicht das Hauptthema, aber dennoch stets präsent: Das zeigt sich exemplarisch an einem Vortrag von Thorsten Mense, den Rotes Dresden im AZ Conni im Dezember 2024 organisierte.

Rückblende in den gut gefüllten Veranstaltungssaal des AZ Conni:
Im Rahmen eines „Antinationalen Abends“: referiert Thorsten Mense zur Frage „Nationale Befreiung oder Befreiung von der Nation?“ Er stützt sich dabei auf sein im Schmetterling Verlag veröffentlichtes Buch „Kritik des Nationalismus“. Veranstaltungs- und Buchtitel lassen erahnen, wie er sich im Laufe des Vortrags dem aktuellen Themenkomplex nähert: Er attackiert den Antiimperialismus, der unter anderem durch die erwähnten linksautoritären Gruppen ein Comeback erlebt.
Menses zentraler Punkt ist, dass Linke sogenannte Befreiungsbewegungen nicht per se huldigen sollten. Stattdessen plädiert er für eine inhaltliche Analyse und unterscheidet zwischen ethnonationalistischen und sozialrevolutionären Bewegungen.
Ethnonationalismus ist im Kern eine völkische Ideologie
Doch welche Bewegungen gehören in welche Kategorie? Die ETA verortet er zum Beispiel im ethnonationalistischen Spektrum, die Zapatistas sowie die kurdische Befreiungsbewegung nennt er dagegen sozialrevolutionär. Um diese Unterscheidung zu untermauern, verweist er auf einen von Subcommandante Marcos verfassten und an die ETA gerichteten Brief, geschrieben im typischen Marcos-Stil:
Anders als Richter Garzón und Sie selbst, behaupten wir nicht, irgend jemanden zu repräsentieren außer uns selbst. Wir repräsentieren nicht die ganze mexikanische Bevölkerung (es gibt viele politische und soziale Organisationen in diesem Land). [...] Er betrifft nur uns selbst, und wir verstecken uns nicht hinter vermeintlichen Repräsentationen, die in den meisten Fällen ohne Wissen der "Repräsentierten" übernommen werden.
[...]
Keine Organisation oder Person hat vor, für die Befreiung von Chiapas zu kämpfen [...], und schon gar nicht die Zapatisten. Wir wollen nicht von Mexiko unabhängig werden. Wir wollen Teil davon sein, aber ohne aufzuhören, die zu sein, die wir sind: Indios. Da wir also eigentlich für Mexiko kämpfen, für die indigenen Völker von Mexiko, und für alle mexikanischen Männer und Frauen, ganz gleich, ob sie Indios sind oder nicht, sollte der Schlußsatz lauten: "Es lebe Mexiko mit seinen Indígenas!
Als weiteres negatives Beispiel für eine ethnonationalistische Ausrichtung listet er die IRA auf. Von hier ist es nicht weit bis zur palästinensischen Bewegung, die in den Hochburgen des irischen Nationalismus bedingungslos gefeiert wird – auch unmittelbar nach dem 07. Oktober.
Wenig überraschend fällt Menses Urteil vernichtend aus: Er sieht bei den palästinensischen Akteuren und bei der Pali-Solidarität kein sozialrevolutionäres Moment, stattdessen stellt er einen „ethnisch geprägten Befreiungsnationalismus“ fest.
Doch warum frönen so viele Linke weltweit diesem Befreiungsnationalismus? Diese Frage steht im Zentrum der anschließenden Diskussionsrunde. Die Beantwortung der Frage ist komplex, das zeigt sich nicht nur bei dieser Veranstaltung. Mit dem traditionellen Antiimperialismus, dem Mense ein nationalistisches Weltbild und fehlende Solidarität mit den Menschen unterstellt, nennt er den zentralen Aspekt seines Vortrags. Aber das reicht als Erklärung nicht. Er stellt deshalb weitere Thesen in den Raum: So konstatiert er eine Sehnsucht nach Einfachheit angesichts der Komplexität unserer modernen Zeit, zugleich eine Sehnsucht vieler (deutscher) Linke, Teil einer globalen Bewegung zu sein. Er erkennt auch ein „identitäres Bedürfnis sowie Überidentifizierung“ und führt das verbreitete Tragen von Pali-Tüchern als Beispiel an. Last, not least: Er bezeichnet den Antisemitismus als relevanten „Mobilisierungsfaktor“.
Wie konnte es zur heutigen Situation kommen? Vielleicht liegt das auch an der mangelnden Auseinandersetzung mit der Geschichte der Linken und an fehlender Selbstreflexion. Während seines Vortrags zitierte Mense aus dem Text „Gerd Albartus ist tot“ von den Revolutionären Zellen. Geschrieben, nachdem eine palästinensische Widerstandsgruppe das RZ-Mitglied Gerd Albartus hingerichtet hatte. Ein Text, der wieder größere Aufmerksamkeit verdient:
So begreiflich die Schlußfolgerungen waren, die die Palästinenser aus ihren Erfahrungen der Vertreibung und Verfolgung gezogen hatten - wir konnten sie in der Konsequenz nicht teilen, ohne in einen unauflöslichen Widerspruch zu unserer Geschichte wie zu unserem politischen Selbstverständnis zu geraten. Die legitime und notwendige Kritik an der israelischen Besatzungspolitik sowie die selbstverständliche Solidarität mit dem Widerstand der Palästinenser war umgeschlagen in die Bereitschaft, jüdische Passagiere gleich welcher Staatsangehörigkeit für den Terror und die Grausamkeiten des israelischen Regimes haftbar zu machen und damit sozialrevolutionäre Maßstäbe gegen die der Sippenhaft einzutauschen. Das Ausmaß an historischer Amnesie und moralischer Desintegration, das in dieser Bereitschaft zum Ausdruck kommt, ist die schwerste Hypothek, mit der unsere Geschichte belastet ist.
aus: RZ: Gerd Albartus ist tot. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Hier geht es zu Teil 1 dieser Artikelserie. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
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