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Rabenväter und Karrieremänner

Ein Rausch über Ungerechtigkeiten

Jeden Freitag gehe ich in die Volkshochschule und lerne Spanisch. In meinem Kurs sitzen mit mir sechs Menschen. Fünf Frauen, ein Mann und unsere Lehrerin. Ich bin die Jüngste; vier von ihnen bereits in Rente. Jede Woche erzählen wir uns in einigen Sätzen (natürlich in spanischer Sprache), was wir die Woche über erlebt haben. Dieses Mal sprach ich von meinem Besuch im Berliner Ensemble. Das Stück hieß „motherfuckinghood“. Dort werden von einer Schauspielerin verschiedene Texte über Mutterschaft vorgetragen. Geschrieben haben diese Beiträge u. a. Antonia Baum, Mareike Fallwickl und Emilia Roig. Es geht um Erfahrungen von Muttersein, um Arbeit und Sorgearbeit, Feminismus und Söhne, um das Gefühl von Schuld und um den Kult der guten Mutter.

Nach einer Stunde und 20 Minuten war das Spektakel vorbei.
Eine Stunde und 20 Minuten Wut.
Eine Stunde und 20 Minuten Tränen.
Ja, es gab auch irgendwie etwas zu lachen. Aber mir war nicht nach Lachen zumute. Das Publikum applaudierte lange, erst nur sitzend, dann erhoben sie sich.
Viele hatten Tränen in den Augen.
Meine Mama schaute mich an: „Warum weinst du?“
„Weil mir das alles so nahegeht“, erwiderte ich.
„Aber du bist doch gar nicht betroffen?“, wunderte sie sich. Ja das stimmt, mein Mann und ich leben ein zumeist gleichberechtigtes Modell. Er kauft ein und kümmert sich um das Essen, ich mache sauber und organisiere unseren Alltag.
„Mich bewegt das einfach alles so“, erklärte ich Mama noch einmal.
„Wegen der Geburtsgeschichte?“, fragte sie. Ich schüttelte erst den Kopf. „Auch deswegen“, gebe ich dann zu.

Die Verantwortung
Die Geburt meiner Tochter war schlimm, wirklich grenzwertig, aber ich fühlte mich meistens gut aufgehoben in der Berliner Charité und erfuhr keine Gewalt. Die Geschichte, die in „motherfuckinghood“ erzählt wird, ist anders.

„Es sind die vielen kleinen Dinge“, versuchte ich meine Tränen zu erklären. Diese ganzen Ungerechtigkeiten im Gesamten. Es beginnt bei den „Rabenmüttern“ und den „Karrierefrauen“. Wo ist das männliche Gegenstück zu diesen Begriffen? Als ich das erste Mal ohne mein Kind ein Wochenende wegfuhr, wohlgemerkt war meine Tochter da bereits zweieinhalb Jahre alt, wurde ich gefragt: „Und wer passt jetzt auf sie auf?“ Im Gegenzug dazu wurde mein Mann natürlich nicht gefragt, als er ohne uns ins Trainingslager fuhr, wer jetzt auf seine Tochter aufpasse.

Wir Frauen gehen zur Schule, lernen und studieren. „Mach was aus deinem Leben. Die Welt steht dir offen“, sagten immer alle zu mir. Eine Karriere sollte es sein. Nur wie die aussehen sollte, sagte mir keiner. Dann kam das Mädchen und plötzlich wurde ich gefragt: „Wann holst du sie von der Kita ab?“ Nicht so spät, bitte. „Das arme Kind.“ Aber ich sollte doch Karriere machen. Wann denn? Zwischen 9.00 und 15.00 Uhr? Innerlich lachte ich, sagte aber nichts.

Die Soziologin Franziska Schutzbach schreibt in ihrem Buch „Die Erschöpfung der Frauen“: Während uns bei anderen Dingen eher klar ist, dass zum Beispiel hinter Armut oder Arbeitslosigkeit ein ungerechtes System steckt – sind bei einem Kind, das nicht funktioniert, die Eltern schuld, vor allem: die Mutter. Die Mutter wird verantwortlich gemacht für die Gesundheit des Kindes, dafür, welche Kleider es trägt, wie es sich in der Schule benimmt.

Die Frau

Nach der Elternzeit bewarb ich mich an verschiedenen Stellen. Ich führte Gespräche, und wenn ich sagte, ich habe ein Kind und möchte nicht Vollzeit arbeiten, war ich raus. Ein paar Mal verschwieg ich meine Tochter. Ich kam bis ins Endgespräch. Sie sagten, sie würden mich gerne einstellen. Ich erklärte, ich möchte nicht die volle Zeit arbeiten. „Mein Mann und ich teilen uns die Betreuung und arbeiten beide in Teilzeit.“ Das sei dann schwierig, denn in diesem Team arbeiten alle 40 Stunden, erklärte Mann mir.

Ich kenne einige Mütter aus meinem erweiterten Bekanntenkreis, die schon zur Mutter-Kind-Kur gefahren sind. Aber ich kenne keinen Vater. Ich weiß von einem Paar, die eine Familienkur gemacht hat. Aber das hatte die Mutter angefragt; der Vater dachte an einen Outdoor-Urlaub und plante Wanderungen und Gipfelüberquerungen.

95 Prozent der Zuschauerinnen im Berliner Ensemble waren Frauen. Wo sind die Männer? Bei dem Gedanken muss man doch wütend sein, denke ich. Und bin es auch. Sehr WÜTEND. Auch als ich am Freitag danach in meinem Spanisch Kurs sitze, bin ich es noch. Wütend trage ich meine drei Sätze vor. Ich habe einen Flyer dabei, alle wollen ihn anschauen und dann passiert, was ich mir heimlich gewünscht habe.

Die Geschichte

Meine Sitznachbarin flüstert mir zu: „Mit wem ich gehe ich denn dahin?“ Verschwörerisch drehe ich mich zu ihr: „Mit mir“, flüstere ich. „Ich komme noch mal mit.“ In unsere Gedanken hinein sagt die Erste, sie würde auch gerne mitkommen und dann noch eine, und unsere Spanisch-Lehrerin möchte auch hin. Wir sind alle Mütter, zum Teil Großmütter, – unser einziger männlicher Teilnehmer ist ausgerechnet an diesem Tag nicht da. Was für eine Schmach, denn wir beschließen, das Schulhalbjahr mit einem Besuch im Berliner Ensemble zu beenden. Nun gehen wir gemeinsam zur letzten Vorstellung vor der Sommerpause. Die Tickets dafür habe ich sofort gekauft.

Nach dem Kurs erzähle ich noch einmal, wie traurig und wütend ich nach dem #Motherhfuckinghood war. „Das ist genau das Gefühl, was mich ein Leben lang begleitet hat“, sagt Tina. Tina ist über 70 und schon zweifache Oma. Erstaunt schaue ich sie an. Wir haben schon oft gequatscht, vergangenen Sommer einen spanischen Intensivkurs zusammen gehabt und uns dabei wirklich gut kennengelernt. Trotz unseres sehr großen Altersunterschiedes haben wir viel gemeinsam. Und der Wunsch nach Gleichberechtigung gehört definitiv dazu. „Wenn ich jetzt darüber rede, werde ich sicherlich sehr wütend.“ Wir beließen es dabei, denn wir mussten beide los.

Später am Tag schickt Tina mir eine Sprachnachricht. In den 70-er Jahren wurde ihr nachdrücklich empfohlen doch endlich Gebrauch vom Haushaltstag zu machen. (Diesen einen freien Tag pro Monat gab es in der DDR für verheiratete(!) Frauen, obwohl offiziell Gleichberechtigung galt). Der Tag war aus Sicht von Tina das heimliche und heuchlerische Eingeständnis der (überwiegend) leitenden Männer dahingehend, dass Frauen doch den Hauptteil der Hausarbeit und der Kinderbertreuung trugen. Anlässlich eines Frauentages gestaltete sie ein Plakat über die Verteilung von Arbeitszeiten, Hausarbeit und den deutlich niedrigenen Anteil der Männer daran. Das Plakat hing geschlagene zehn Minuten, bevor es ihr Chef entfernen ließ.

Franziska Schutzbach: Die Mutterschaft ist einerseits alles,- sie bedeutet alles, sie wird idealisiert und romantisiert. Andererseits wird ihre Arbeit gesellschaftlich entwertet und als Gratisdienst eingefordert. Mütter werden oft allein gelassen.

Mein Mutterwerden überfiel mich. Ich war nicht vorbereitet. Nicht auf die Sorge, nicht auf die Schmerzen, nicht auf die Müdigkeit. Nicht auf die Herablassung. Es war das Schlimmste und das Schönste zugleich. Ich verschwand hinter einer Mauer aus Überspielen.

Aber eins hilft: darüber reden, reden und noch mal reden. Aufmerksam machen auf diese Misere der Ungleichheiten. Und ja, wie haben es nicht so schlecht, wenn man auf andere Länder blickt. Aber wo wären wir, wenn die Feministinnen der ersten Stunde aufgehört hätten, für ihre Rechte zu kämpfen, als sie endlich wählen durften.

Das Stück

Die Berliner Ensemble-Schauspielerin Claude De Demo entwickelt mit der Regisseurin Jorinde Dröse den Theaterabend „#Motherfuckinghood“. Sie ist selbst
2-fache Mutter und will allen Müttern, denen es auch so geht, diesen Theaterabend widmen: 

„Mir fiel auf, dass kaum eine Mutter in meinem näheren Umfeld nicht ins Straucheln geraten ist, und nicht physisch, psychisch und emotional erschöpft war. Fast alle mussten beruflich Abstriche machen, reduzierten ihre Verträge oder wechselten in familienfreundlichere, aber oft auch schlechter bezahlte Jobs. Ich empfinde ein großes Gefühl der Ungerechtigkeit und Wut, das ich nicht länger bereit bin hinzunehmen.“ 

Ich möchte, dass meine Tochter sich nicht zwischen Kind und Karriere entscheiden muss. Ich möchte, dass sie kein schlechtes Gewissen hat, wenn sie ohne ihr Kind eine Woche verreist. Ich möchte, dass sie nicht denkt, keine gute Mutter zu sein, nur weil sie wegen einer durchgefeierten Nacht den ganzen Sonntag im Bett verbringt.

Leicht und lebendig soll sie sein!
Helen

—-

Motherfuckinghood, ein Stück im Berliner Ensemble über: Was bedeutet Mutterschaft in Deutschland? Woher kommt der Druck? Warum spricht kaum jemand ehrlich übers Muttersein? Woher kommt die Schuld? Woher stammt der Mythos „Mutterinstinkt“? Wer entwickelte den Kult um die perfekte, glückliche Mutter und wem dient er?

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