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Guten Morgen Tel Aviv, Ausgabe 4

Die Wassermelone

Die Wassermelone hatte schon immer eine wichtige Bedeutung in meinem Leben. Das kam so. Als ich etwa 4, 5 Jahre alt war, gab es plötzlich und ziemlich einzigartig Wassermelone zum Nachtisch in meinem DDR-Kindergarten in Rostock Evershagen. Eine Wassermelone war zu DDR-Zeiten etwa so selten wie die Sichtung eines weißen Raben. Es gab schlichtweg keine Wassermelonen in Ostdeutschland. Jedenfalls nicht für normale Kindergartenkinder in Rostock-Evershagen. Ich erinnere mich sehr deutlich an dieses Mittagessen in unserer Platte zwischen vielen anderen Platten (die Neubauviertel in der DDR waren in der Regel so angelegt, dass Schulen und Kitas alle im gleichen Viereck wie die Wohnplatten lagen): Ich erinnere mich sehr deutlich an die rosa-pink-grün-leuchtende Wassermelone. Vor allem aber erinnere ich mich an die Leber, die es vorher gab und die ich hasste und somit nicht essen wollte. Was in der DDR-Erziehung bedeutete: Keinen Nachtisch Fräulein. Und so war ich das einzige Kind an diesem Mittagstisch in der Kita in Rostock-Evershagen, das die seltene Wassermelone zwar sehen aber nicht essen durfte. Daraus entstand eine Obsession mit Wassermelonen, deren Kreis ich schließlich schloss, als ich in eine irakisch-jüdische Familie einheiratete. Die irakischen Juden sind bekannt für ihre tiefe, innige Liebe zu Wassermelonen. Die Ur-Oma meiner Söhne hatte zu Saison-Zeiten immer mindestens 3-4 Wassermelonen unter ihrem Bett. Und bei meinen Schwiegereltern (ich habe diese Woche gelernt, dass Schwiegereltern immer Schwiegereltern bleiben, selbst wenn man sich scheiden lässt) verging kein Sommertag ohne Teller voller glitzerndem Wassermelonen-Gold. Warum erzähle ich euch das alles? Weil eine ganze Menge Menschen auf dieser aktuellen Welt, in der wir uns befinden, angefangen haben, die Wassermelone als Symbol für eine Pro-Palästinensische Haltung zu benutzen. Das ist per se auch völlig in Ordnung, warum sollen Palästinenser keine Wassermelonen mögen, das Problem ist jedoch, was mit dieser Besatzung von Symbolen einhergeht. Oder anders gesagt: Die verdammte Wassermelone gehört auch mir, einem DDR-Kind aus Rostock.

Yours truly vor besagtem Kindergarten in Rostock-Evershagen bei Nostalgie-Besuch im Sommer 2019.

Aber es geht ja um viel mehr als nur tropisches Obst. Gestern morgen z.B. warf mir jemand bei Instagram vor, ich/wir Israelis würden uns das Symbol des „Bösen Auges“ kulturell aneignen. Ja genau, das „Ein Ha-rah“, das es ungefähr in jedem Text der jüdisch-Rabbinischen Literatur und an mindestens einer Wand in jedem israelischen Haushalt gibt. Das sollen jüdische Israelis sich kulturell angeeignet (pseudo-intellektuell für „geklaut“) haben! Ganz ehrlich, wie kann es eigentlich sein, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem dank des Internets Informationen quasi in Sekundenschnelle abgerufen werden können, und die Leute trotzdem völlig post-faktisch durch die Gegend kaspern? Anyway. Ich möchte das mal als Anlass nehmen, Wassermelonen-pink-deutlich zu werden: Die meisten von „uns Israelis/Juden etc.“ leugnen die Beziehung, die Palästinenser zu diesem Land haben nicht. Die Tatsache, dass Juden quasi Ureinwohner Israels sind, ändert nichts an der Tatsache, dass auch Muslime seit langer langer Zeit hier leben. Mal ganz davon abgesehen, dass es, ganz faktisch, in unserer direkten Nachbarschaft nun mal ein Volk gibt, das sich schon seit einigen Jahrzehnten als Palästinenser bezeichnet und das anerkannt werden will und anerkannt werden sollte. Dass Pro-Palästinenser, anstatt pro-palästinensisch zu sein, auf der ganzen Welt daraufhinarbeiten, jüdische Identität und die Verbindung zum Nahen Osten auszulöschen, ist schlichtweg gruselig. Das Judentum war buchstäblich die erste abrahamitischen Religion, die inmitten des Nahen Ostens geboren wurde. Jesus war nicht nur ein Jude, er war ein Jude aus dem Nahen Osten. Und ja, die jüdische Diaspora in Europa war riesig (insbesondere vor der Shoa), aber das war die jüdische Diaspora in Marokko, Ägypten, Iran, Irak, Jemen usw. auch!

Wassermelonen in Tel Aviv-Yafo (Bild: KHC)

Und jetzt habe ich noch nicht einmal die äthiopischen Juden erwähnt, deren schiere Existenz jedem Wassermelonen-postenden Pro-Palästina-Online-Widerstandskämpfer wahrscheinlich einen Knoten in den Finger drehen würde.

All das kann man ohne Probleme nach-recherchieren. All diese Informationen, über jüdische Identität und Geschichte in ungefähr allen arabischen und muslimischen Ländern dieser Erde, über jüdische Konzepte wie dem „Bösen Auge“, über fucking Wassermelonen in der DDR, sind doch heutzutage so zugänglich wie Kartoffeln in Alemania. Und trotzdem: All das wird geleugnet, verdreht und ignoriert. Was für eine absurde Welt, in der wir da leben. Es gibt nicht wenige Leute, die glauben, dass die Shoa mit sozialen Medien und Zugang zum Internet nicht möglich gewesen wäre. Die aktuelle Situation beweist uns geradezu schmerzhaft das Gegenteil.

Guten Morgen Kultur

An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, euch eine fantastische israelische Künstlerin mit äthiopischen Wurzeln vorzustellen: Nirit Takele. Vor zwei Jahren hatte ich die Gelegenheit, ein Portrait für die Welt über Nirit zu schreiben. Das würde ich gerne hier mit euch teilen.

„In meinem Kopf bin ich nicht schwarz“

Nirit Takele ist eine der begehrtesten israelischen Nachwuchskünstlerinnen. Die Warteliste für ihre Werke ist lang, was auch daran liegt, dass sie in ihrer eigenen Geschwindigkeit arbeitet und sich nicht vom „Markt“ unter Druck setzen lässt. Ich habe Takele in ihrem Studio im Norden Tel Avivs getroffen und mit ihr über ihre Arbeit und Identität gesprochen...

Als Nirit Takele beschloss, endlich zu malen, befand sie sich mitten in einer 12-Stunden-Schicht in einer Fabrik für Druckerteile. Ihr Job bestand im Wesentlichen daraus einen Knopf zu drücken und Takele hatte das Gefühl mehr zu sterben, als zu leben. Takele, die als Kind immer gerne gemalt hatte – nicht mehr und nicht weniger, entschied sich für private Unterrichtsstunden bei einer Kunstlehrerin in Tel Aviv. Einmal pro Woche fuhr sie nun nach ihren anstrengenden Fabrik-Schichten dorthin, lernte Ölmalerei, Bildkomposition und Farbgestaltung. Beim Malen überlegte sie, wie ihr Leben weitergehen soll. Vielleicht ein Business Studium? Oder doch erst einmal nur ein anderer Job? Einige Wochen später, da stand sie gerade an einer Bushaltestelle und blickte zufällig auf das Shenkar-Gebäude in Tel Aviv, beschloss sie spontan, sich für ein Kunststudium an eben dieser Shenkar-Akademie zu bewerben. „Ich kam zu den Aufnahmegesprächen und fühlte mich wie bei einer Casting-Show. Es gab drei Jurymitglieder, extrem viele, extrem aufgeregte Bewerber, die zum Teil mit riesigen Mappen und Skulpturen angereist waren.“ An Takeles schmalen Fingern baumelte dagegen nur eine kleine Plastiktüte, darin sieben Zeichnungen und zwei Ölbilder, gemalte Beobachtungen aus der Fabrik. Takele, außerdem die einzige schwarze Bewerberin, war von Anfang an der Underdog. Gestört hat sie sich daran nicht. Sie ging entspannt in das Aufnahmegespräch: „Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass ich abgelehnt werden könnte. Ich bin ja dorthin gegangen, um etwas zu lernen, da musste ich noch nicht alles wissen oder können.“

Nirit Takele in ihrem Studio in Tel Aviv, 2022. (Foto: KHC)

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