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Sind Lesungen noch zeitgemäß?

Kommenden Donnerstag – am 12. September um 19 h – lese ich in der Hauptbibliothek Wien am Gürtel (Tickets (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)). Meine Gefühle sind gemischt, schließlich kann ich die Anzahl der verfügbaren Tickets jeden Tag live beobachten. Der Eintritt ist kostenlos, eine Reservierung eher für den Google-Kalender. Und natürlich als Sicherheit, um garantiert einen Platz zu bekommen.

Während ich auf die Zahl der noch verfügbaren Tickets (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) blicke (29), komme ich nicht drum herum mich zu fragen, was ich alles als Autorin sonst noch leisten sollte, um mein Soll zu erfüllen. Gefühlt reicht es nicht, dass ich an neuem Stuff schreibe, Interviews gebe und plattformübergreifend 11.000 Follower habe – ich sollte auch die Hallen vollkriegen, “echte” Fans haben, überdurchschnittlich popular sein. Ein Rockstar.  

Zumindest ist das mein Gefühl, wenn ich aufgrund meines Namens und eventuell auch meiner Follower gebucht werde. Ich bin damit wahrlich nicht alleine. Auch bei anderen Autorinnen, mit denen ich gesprochen habe, führt genau diese immanente Erwartungshaltung zu einem unguten Gefühl, Publikum reinbringen zu müssen und im Endeffekt DAS Zünglein an der Waage einer erfolgreichen Veranstaltung zu sein.

Dabei passiert es nicht selten, dass trotz 20.000 Followern nur fünfzehn Leute bei einer Veranstaltung erschienen, oder die Veranstaltung sogar abgesagt werden muss.

Ja, das sind die echten Zahlen aus diesem echten Book-Game. 

Die Hemmschwelle, IRL aufzukreuzen

Tell me I’m wrong aber meine Theorie lautet: Wer seine Autorinnen am liebsten online verfolgt und liest, wird vermutlich eine Hemmschwelle haben, zu einer Real-Life-Veranstaltung zu kommen.

Warum ich das weiß? Ich kenne es von mir selbst. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal bei einer Lesung einer Autorin war, die ich nicht persönlich kannte.

Der Grund liegt aber nicht nur bei meiner eigenen Hemmschwelle, sondern auch an dem Feel, dass Lesungen einfach nicht mehr … so richtig zeitgemäß sind. Ja, in Zeiten, in denen wir unseren liebsten Autorinnen in Podcasts zuhören, ihren musikalisch untermauerten Alltag auf Social Media beobachten und ihre Newsletter bequem in den Posteingang gespült bekommen können, wirkt eine traditionelle Lesung fast altbacken und ein klitzekleines bisschen hierarchisch.

Da sitzt jemand oben auf einer Bühne und liest etwas vor, das man sich auch selbst zuhause im Bett durchlesen könnte. Und zwar im eigenen Tempo, ohne Mikrofonrauschen. Zudem muss man zur Lesung fahren, vielleicht sogar nochmal Geld für den Eintritt ausgeben und kommt erst spät nachhause. Gerade unter der Woche stellt das für viele eine Herausforderung dar, die Care-Arbeit leisten müssen, oder mental-illness-bedingt sowieso zu wenige Kapas für alles haben. Am Wochenende stehen andere Dinge an: Entspannen, Freunde treffen, wegfahren. Ich persönlich würde NIEMALS am Wochenende zu einer Lesung gehen. Egal, von wem.

Ganz unter uns, oft langweilt es mich auch körperlich, an einer Lesung teilzunehmen. Ich nicke weg und ich kann mich um diese Uhrzeit auch nicht mehr konzentrieren.

Das ist die bequeme Wahrheit.
I am one of those people.
 

Ob das nicht schade ist, so insgesamt? Weiß ich nicht. Unsere Medienkonsumption hat sich nun mal verändert – for better or for worse. Wir streamen mehr, gehen weniger ins Kino. Wir liken die Fotos unserer Freunde, statt ihnen zurückzuschreiben. Manche sorgen sich mehr um ihren Online-Auftritt, als ihre RL-Beziehungen (dazu gehöre ich übrigens nicht). Wir skimmen Bücher, hören sie als Audio-Version beim Roadtrip und folgen jemandem auf Insta, Substack oder X – ohne dabei die Intention zu haben, zu einer Lesung zu gehen. Vielleicht, ever. Auch mir persönlich ist es ehrlich gesagt nicht so wichtig, eine Public Persona IRL zu sehen. Es reicht mir, die Person online „zu sehen“.

Als Autorin kann ich es also sehr, sehr gut nachvollziehen, wenn jemand nicht zu meiner Lesung kommt. Ich kann nicht mal sauer sein – es ist etwas, das ich auch nicht tun würde. Außer, wie gesagt, es liegt mir persönlich etwas an unserer Beziehung. Support ist mir unfassbar wichtig, und ich merke ganz genau, wer aus meinem engeren Umfeld zu Events kommt und wer nicht. *looking at you*

Ob es mich trotzdem anxious macht, diesen Pressure trotz veränderter Veranstaltungsgewohnheiten zu haben? Klar. Schließlich weiß ich so nie genau, was mich erwartet. Wer wirklich kommt.

Mal ist eine Lesung ausverkauft, dann kommen fünfzehn Leute. Mal ist der Vibe total euphorisch, mal sitzen zehn alte, weiße Männer da und fragen sich nach fünf Minuten, warum sie gekommen sind, um sich feministische Utopien zu geben. Klarer Fall von: falsche Zielgruppe. Aber eben auch die Zielgruppe, die noch zu Lesungen geht, selbst, wenn sie noch nie etwas von der Autorin gelesen haben. Total verrückt, würde ich übrigens nie machen – irgendwohingehen, ohne mich informiert zu haben. Da ist mir meine Zeit dann doch zu schade.

Es hilft, über dieses Thema zu sprechen – denn es ist ein Tabu.

Niemand möchte sich die Schmach geben, eventuell nicht groß genug für ausverkaufte Hallen zu sein – zumindest nicht im echten Leben. Auch Bands leiden unter dem Phänomen von zu wenigen Ticket-Verkäufen, dem fehlenden Online-2-RL-Transfer. Unsere RL-Zeit ist dank Inflation, unbezahlbarer Mieten (+ Lebensmittel) und generellem Overwhelm noch beschränkter und kostbarer geworden, als ohnehin schon. Und es macht sich in verschiedensten Bereichen bemerkbar.  

Wer zu einer meiner Lesungen kommt, bekommt meinen vollsten Respekt, an einem vermutlich anstrengenden Tag nochmal rausgegangen zu sein, um mich lesen zu hören. Es ist mein Pleasure ganz alleine, euch da sitzen zu sehen. 

Dass ihr wirklich da seid, um mir zuzuhören.

Tickets (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) für den 12.9, 19 h – Hauptbibliothek Wien

 

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