Die Geschichte von Bodvar Bjarki
Diese Geschichte habe ich gestern beim Video Hang Out vorgelesen. Sie gehört zum Sagenkreis rund um den legendären König Hrolf Kraki. Ich habe sie aus dem Englischen übertragen und nacherzählt. Hier kannst Du sie Dir jetzt anhören oder lesen oder beides.
Ein Hinweis an alle Podcasthörer*innen: Falls Du eine Podcast-App auf Deinem Smartphone hast, kannst Du das GOFIZINE auch als Podcast abonnieren. Logge Dich einfach bei Deinem Steady-Account ein, tippe auf Dein Profilbild und dann auf 'Mitgliedschaften'. Da taucht das GOFIZINE auf. Wenn Du darauf tippst, kannst Du den Podcast abonnieren. Du musst dann nur noch Deine App in der Liste aussuchen, die im Anschluss erscheint.
Und jetzt viel Spaß beim Hören bzw. Lesen!
Hört die wunderbare und schreckliche Geschichte von Bjorn und Bera und ihrem Sohn Bodvar Bjarki, was auf Deutsch heißt 'kriegerischer kleiner Bär'! Es ist eine Geschichte von Hass und Liebe, Zauberei und Monstern, Gewalt, Streit und Freundschaft, von Feigheit und von Mut.
Der Hof eines Freien lag ganz in der Nähe der Ländereien des Königs Hring in Norwegen. Der freie Bauer war wohlhabend. In seiner Jugend war er ein großer Kämpfer gewesen und hatte von den Raubzügen des Königs viele Schätze mit nach Hause gebracht. Er hatte eine junge Tochter, die Bera hieß und sehr schön war. Der Sohn des Königs hieß Bjorn. Er und Bera hatten schon als Kinder zusammen gespielt und standen sich sehr nahe. Sie liebten sich sehr und trafen sich oft.
Bjorn wurde zu einem großen und sehr starken Mann, der in allen Dingen geschickt war. Wenn König Hring wieder einmal zu einem seiner langen Kriegszüge aufbrach, was häufig geschah, dann blieb seine Frau Hvit zurück und kümmerte sich um die Belange des Landes. Hvit war die Stiefmutter von Bjorn und sehr viel jünger als der König. Die Menschen mochten sie nicht. Zu Bjorn aber war sie stets freundlich und zärtlich, auch wenn er sie nicht weiter beachtete.
Einmal, als der König zu einem weiteren Raubzug rüstete, schlug Hvit vor, Bjorn solle zuhause bleiben und ihr bei den Regierungsgeschäften helfen. Dem König gefiel dieser Rat wohl, was seine Frau noch stolzer und eingebildeter werden ließ, als sie es ohnehin schon war. Er befahl seinem Sohn, zuhause zu bleiben. Der hielt überhaupt nichts von dieser Idee und stritt sich mit seinem Vater. Doch ohne Erfolg. König Hring sammelte das Heer und zog in den Krieg. Bjorn musste, ob er wollte oder nicht, dem Befehl des Königs gehorchen.
Niedergeschlagen und zornig, mit vor Ärger hochrotem Kopf suchte Bjorn sein Quartier auf und warf sich ins Bett. Die Königin, die eine schöne Frau war, suchte ihn aufzumuntern und redete zärtlich auf ihn ein. Sie sagte, dass jetzt, wo der König fort sei, die Gelegenheit günstig wäre, dass sie sich das Bett teilten. Das wäre sehr viel besser und angenehmer für sie als mit dem König, denn der sei schließlich ein alter Mann. Als Antwort schlug ihr Bjorn ins Gesicht. Er sagte, Hvit solle ihn in Ruhe lassen, und warf sie aus dem Zimmer. Wütend rief sie, sie sei es nicht gewohnt, abgewiesen oder gar geschlagen zu werden. „Du ziehst es also vor“, sprach sie, „die Tochter eines gewöhnlichen Mannes im Arm zu halten! Du verdienst eine Strafe, die sehr viel schmachvoller ist, als der Genuss meiner Liebe. Sieh dich nur vor! Gar nicht überraschend wäre es, wenn dich ein Schicksal ereilen sollte, dass dich für deine Dummheit und Sturheit leiden ließe!“ Dann schlug sie ihn mit ihren Handschuhen aus Wolfsleder und verfluchte ihn, ein Höhlenbär zu werden, grimmig und wild. „Kein anderes Fressen sollst du finden als die Herden deines Vaters. Und so sollst du mehr Tiere töten, als das jemals zuvor geschehen ist. Niemals sollst du von diesem Fluch befreit werden können. Und das Wissen um diese deine Schande wird schlimmer für dich sein, als wenn du dein Gedächtnis verloren hättest!“
Daraufhin verschwand Bjorn. Und niemand konnte sagen, was aus ihm geworden war. Anfangs suchten viele nach ihm. Aber niemand konnte ihn zu finden. Wenig später wurde das Vieh des Königs in großen Mengen getötet durch einen mächtigen und wilden grauen Bären.
Eines Abends begegnete Bera der Bestie. Der Bär kam auf sie zu, ohne dabei bedrohlich zu wirken. Als sie ihm in die Augen sah, meinte sie, Bjorns Augen zu erkennen. Deshalb rannte sie nicht davon. Der Bär wandte sich ab und entfernte sich wieder. Da folgte Bera ihm bis zu einer Höhle, in der er verschwand. Sie betrat die Höhle und stand plötzlich vor einem Mann. Er grüßte sie, und Bera erkannte in ihm Bjorn, den Sohn des Königs Hring. Voller Freude fielen sie sich um den Hals und blieben eine Weile gemeinsam in der Höhle, weil sie sich nicht von ihm trennen wollte. Schließlich sagte Bjorn, dass es nicht gut für sie sei, bei ihm zu bleiben. Denn nur in der Nacht sei er ein Mensch. Am Tag würde er wieder zum Bären werden.
König Hring war inzwischen von seinem Kriegszug zurückgekehrt und hatte von dem Verschwinden seines Sohnes und dem Verlust seiner Herden erfahren. Es wurde ihm auch berichtet, dass es eine riesige Bestie sei, die vor allem seine Herden überfallen und rauben würde. Königin Hvit drängte darauf, dass der Bär getötet werden müsse. Doch der König blieb untätig, denn er fand all die Ereignisse höchst ungewöhnlich.
Eines Nachts, als Bjorn und Bera gemeinsam in der Höhle lagerten, sprach der Prinz: „Ich ahne, dass morgen der Tag meines Todes sein wird. Denn man wird mich jagen und schließlich in die Enge treiben. Und wahrhaftig empfinde ich keine Freude mehr am Leben wegen dieses Fluches, der auf mir lastet. Du allein bist meine einzige Freude. Aber auch die wird jetzt vergehen. Ich möchte dir den Ring schenken, den ich an meinem linken Oberarm trage. Morgen wirst du erleben, wie die Männer des Königs mir auflauern. Wenn sie mich getötet haben, so gehe zum König und erbitte von ihm, was immer sich unter der linken Schulter des Bären findet. Er wird dir diese Bitte gewähren.“
„Die Königin“, fuhr Bjorn fort, „wird dich beargwöhnen, wenn du wieder gehen willst. Sie wird dich dazu bringen wollen, etwas von dem Fleisch des Bären zu essen. Doch das darfst du nicht tun! Denn wie du weißt, bist du schwanger und wirst drei Söhnen das Leben schenken. Es sind unsere Kinder. Und wenn du etwas von dem Fleisch essen wirst, dann wird das an unseren Söhnen sichtbar werden. Denn diese Königin ist eine große Unholdin und versteht sich auf böse Zauberei. Dann kehre heim zu deinem Vater und bringe dort die Knaben zur Welt. Einen von ihnen wirst du besonders gerne mögen. Solltest du sie nicht zu Hause aufziehen können wegen ihrer unbändigen Natur, dann bringe sie hierher zu dieser Höhle. Du wirst hier eine Truhe finden mit dreifachem Boden, überdeckt mit Runen, die davon reden, welchem Jungen welcher Teil des Erbes zusteht. Drei Waffen werden im Felsen stecken, und jeder von ihnen soll die empfangen, die für ihn bestimmt ist.
Den Ältesten sollst du Elk-Frodi nennen, den Zweiten Thorir und den Dritten Bodvar. Ich bin gewiss, dass diese drei keine Schwächlinge sein werden und dass man sich ihrer Namen lange erinnern wird.“
Nachdem Bjorn seine Rede beendet hatte, kam die Gestalt des Bären über ihn. Daraufhin verließ er die Höhle, und Bera folgte ihm. Als sie sich umsah, erblickte sie eine große Schar Männer, die den Berg umkreist hatte. Ein großes Pack Jagdhunde rannte ihnen voraus. Der Bär wandte sich fort vom Höhleneingang und rannte entlang des Berghanges, gejagt von Männern und Hunden. Doch sie hatten Mühe, ihn zu stellen, denn er verwundete viele Männer schwer und tötete alle Tiere. Schließlich gelang es ihnen, den Bären einzukreisen. Er wütete innerhalb des tödlichen Ringes, erkannte seine aussichtslose Lage aber wohl. Da griff er in der Richtung an, in der der König stand. Er packte den Mann, der direkt neben ihm stand, und riss ihn bei lebendigem Leib auseinander. Doch so erschöpft war der Bär inzwischen, dass er sich zu Boden warf. Man ergriff ihn und tötete ihn schnell.
Bera beobachtete alles und wandte sich anschließend an den König. „Mein Herr“, sagte sie, ich erbitte von Euch das, was sich unter der linken Schulter des Tieres befindet.“ Er gewährte ihr diese Bitte, deshalb ging sie zur Leiche des Bären, dem die Jäger bereits das Fell abzogen, fand ganz richtig den Ring und verbarg ihn, bevor ihn jemand sehen konnte. Der König wusste nicht, wer Bera war. Doch als er und das ganze Gefolge aufbrachen, wurde sie mit fortgerissen und kehrte mit ihnen gemeinsam an den königlichen Hof zurück. Die Königin begrüßte sie freudestrahlend und wollte wissen, wer sie sei. Doch Bera gab sich nicht zu erkennen.
Ein großes Festmahl wurde bereitet, an dem das Fleisch des Bären verspeist werden sollte. Der argwöhnischen Königin Hvit gelang es, Bera in ihre Kammer zu leiten und sie dort festzuhalten. Sie betrat den Raum mit einer Platte voller Bärenfleisch und forderte sie auf, davon zu essen. Doch Bera weigerte sich. „Wie unhöflich du bist!“ rief die Königin aus. „Wie kannst du es wagen, die Gastfreundschaft einer Königin abzulehnen? Iss schnell von dem Fleisch, denn sonst wird dir etwas sehr viel Schlimmeres zubereitet werden!“ Sie schnitt ein kleines Stück ab und zwang Bera, davon zu essen. Ein weiteres Stück schnitt die Königin ab und stopfte es ihr in den Mund. Einen Teil davon schluckte Bera herunter, doch den Rest spie sie wieder aus. Lieber wolle sie gefoltert werden oder sterben, sagte sie, als noch ein weiteres Stück Fleisch zu essen. „Das Bisschen, das du gegessen hast, wird wohl ausreichen“, sagte Königin Hvit und brach in schallendes Gelächter aus.
Irgendwann gelang es Bera endlich zu fliehen. Sie kehrte zu dem Hof ihres Vaters zurück. Und nach einer schwierigen und mühseligen Schwangerschaft, wurde sie krank und brachte einen merkwürdigen Sohn zur Welt. Vom Kopf bis zum Nabel war er ein Mensch. Doch ab da war er ein Elch. Man nannte ihn Elk-Frodi, was auf Deutsch 'elchartig' heißt. Dann gebar sie einen weiteren Sohn und nannte ihn Thorir. Von der Ferse abwärts hatte er Pfoten wie ein Hund. Deshalb nannte man ihn Thorir Hundefuß. Abgesehen davon war er ein ausgesprochen schöner Mann. Ein dritter Knabe wurde geboren, und dieser machte den vielversprechendsten Eindruck. Man nannte ihn Bodvar, und es fand sich kein Makel an ihm. Ihn liebte Bera ganz besonders.
Die Jungen schossen in die Höhe wie Unkraut. Bei Wettkämpfen mit anderen Männern waren sie zu allem entschlossen und gaben niemals auf. Ihre Gegner mussten hart einstecken. Frodi verletzte viele Gefolgsleute des Königs schwer und manche tötete er sogar. So ging es zu, bis die Brüder zwölf Jahre alt waren. Keiner der Krieger konnte es mit ihnen aufnehmen, so stark waren sie. Deshalb wurden sie nicht mehr zu den Wettkämpfen zugelassen.
Schließlich sagte Frodi seiner Mutter, dass er weggehen wolle. „Ich kann mich nicht mehr mit ihnen messen“, klagte er. „Narren sind das, die sich verletzten, sobald man sie auch nur berührt!“ So brachte seine Mutter ihn zu Bjorns Höhle und zeigte ihm die Schätze, die sein Vater für ihn vor langer Zeit vorherbestimmt hatte.
Frodis Anteil war der kleinste. Deshalb wollte er sich mehr nehmen, doch es war ihm nicht möglich. Dann sah er die Waffen, die in einem Felsen steckten. Zuerst packte er den Griff des Schwertes, doch es steckte fest im Stein, und er konnte es nicht herausziehen. Dann fasste er den Griff der Axt, doch auch sie konnte er nicht bewegen. Da sprach Elk-Frodi: „Derjenige, der die Schätze hierher gebracht hat, scheint uns auch die Waffen mit demselben Maße zugeteilt zu haben.“ So fasste er also nach dem Griff der letzten Waffe und zog ein kurzes Schwert aus dem Felsen. Er betrachtete es für eine Weile und sagte dann: „Der, den Schatz aufgeteilt hat, war ungerecht.“ Um das Schwert zu zerschlagen, ergriff er es mit beiden Händen und hieb es gegen den Stein. Da schnitt die Klinge tief in den Felsen bin zum Heft. Elk-Frodi sagte: „Wie ich auch immer dieses unansehnliche Ding führen werde, zu beißen versteht es ja wohl.“ Er machte sich auf den Weg und ließ seine Mutter zurück, ohne sich von ihr zu verabschieden. Zu einer Straße hoch in den Bergen reiste er, überfiel dort Reisende, tötete sie und raubte sie aus. Eine Hütte baute er sich dort und ließ sich nieder.
Auch Thorir verließ bald die Heimat, besuchte seinen Bruder Elk-Frodi und zog dann weiter bis in das Land der Goten, die ihn zu ihrem König machten.
Bodvar jedoch blieb bei der Mutter, die ihn herzlich liebte. Gemeinsam lebten sie zurückgezogen und hatten nur mit wenigen Menschen Umgang. Eines Tages fragte Bodvar, wer denn sein Vater sei. Bera erzählte ihm die ganze Geschichte: Wie Bjorn von seiner Stiefmutter verflucht worden war und wie er sein Ende gefunden hatte, wie Hvit Bera gezwungen hatte, von dem Fleisch des Bären zu essen und wie sich diese Tatsache nun an den Brüdern Bodvars zeigte. „Mit dieser Hexe haben wir noch eine Rechnung zu begleichen“, sagte Bodvar. „Mir scheint, dass Elk-Frodi größeren Anlass dazu hätte, unseren Vater an der Zauberin zu rächen, als unschuldige Menschen um ihres Geldes willen. Auch verstehe ich nicht, warum Thorir einfach fortgegangen ist, ohne der Unholdin eine bleibende Erinnerung zu besorgen. So ist es also an mir, sie in unser aller Namen zu bestrafen.“ „Sieh nur zu“, sagte Bera, „dass es ihr nicht möglich ist, dir mit Hilfe ihrer schwarzen Künste Schaden zuzufügen.“
So brachen sie auf zum königlichen Hof, und Bera erzählte König Hring, was sich zugetragen hatte. Sie zeigte ihm auch den Ring, den sie unter der Schulter des Bären gefunden hatte, und sagte, dass dieser Bjorn, seinem Sohn gehört hatte. Der König erkannte den Ring wieder und bestätigte das. „Ich ahnte bereits“, sagte er, „dass Königin Hvit hinter all den merkwürdigen Begebenheiten stecken könnte. Aber um der Liebe willen, die ich für sie empfinde, habe ich die Dinge auf sich beruhen lassen.“ „Schick sie fort!“, rief da Bodvar. „Sonst werde ich mich an ihr rächen!“ Doch der König wollte keinen Aufruhr. Er bot Bodvar an, ihn zu entschädigen durch Reichtümer, durch den Titel eines Jarl und schließlich sogar damit, dass er sein Thronnachfolger werden könne. Nur solle er die Königin in Ruhe lassen. Doch darauf ließ sich Bodvar nicht ein. Er geriet in solche Wut, dass sich der König nicht traute, sich ihm in den Weg zu stellen. Gefolgt von Bera und dem König stürmte er in die Kammer der Königin, warf einen Ledersack über ihren Kopf, schlug sie tot und sandte sie so zu Hel, der Herrscherin der Unterwelt. Als alle diese Dinge geschahen, war Bodvar achtzehn Jahre alt.
Die Menschen waren froh, als sie vom Tod der Königin erfuhren. Nur König Hring war darüber sehr unglücklich. Er wurde bald darauf krank und starb. So wurde Bodvar der Herrscher des Reiches. Doch war er damit nicht lange zufrieden. Bei einer Versammlung verkündete er, dass er seine Mutter dem Jarl Valselyt zur Frau geben und selbst das Land verlassen werde. Nach der Hochzeit Beras zog er davon, um neue Abenteuer zu erleben.
Seine Reisen führten ihn bis nach Dänemark. Eines Tages geriet er in einen Sturm, der ihn vollkommen durchnässte. Sein Pferd war erschöpft, und der Weg wurde immer beschwerlicher, weil der Boden tief und schlammig wurde. Als die Nacht hereinbrach, wurde es finster. Ununterbrochen strömte der Regen herab. Doch Bodvar beachtete all das überhaupt nicht. Erst als sein Pferd stolperte, stieg er ab und schaute sich nach einem Platz zum Rasten um. Da bemerkte er, dass er zu einem Haus gekommen war. Er fand die Tür, klopfte, und als ein Mann heraustrat, fragte er ihn, ob er ihm für die Nacht einen Platz bieten könne. Der Bauer lud ihn in sein Haus ein und behandelte ihn freundlich.
Bodvar stellte ihm viele Fragen über den legendären König Hrolf, der in dieser Gegend herrschte, über seine Unternehmungen, seine Helden und seinen königlichen Hof Hleidargard. „Es ist nicht mehr weit bis dort“, antwortete der Bauer. „Ist das das Ziel deiner Reise?“ „Ja“, sagte Bodvar, „dort möchte ich hin.“ Sein Gastgeber meinte, dass dieses ihm angemessen sei, „denn“, so sprach er, „ich sehe, dass du ein stattlicher und sehr starker Mann bist. Und die Krieger des Königs sehen sich selbst als große Helden.“ Bei diesen Worten schluchzte die alte Frau, die auch im Haus lebte, laut auf, wie jedes Mal, wenn die Rede von König Hrolf und seinen Helden war. „Warum weinst du denn, du dumme alte Frau?“ fragte Bodvar sie endlich.
„Mein Ehemann und ich haben einen Sohn“, sagte sie. „Sein Name ist Hott. Vor einiger Zeit ist er zur Festung des Königs gegangen, um sich dort zu amüsieren. Aber die Männer des Königs haben ihre Späße mit ihm getrieben. Sie waren ihm zu stark, und so haben sie ihn überwältigt und in einen Haufen von Knochen gesteckt. Nun ist es so, dass, wenn immer sie beim Mahl einen Knochen abgenagt haben, sie diesen nach ihm werfen. Manchmal, wenn der Knochen ihn trifft, wird er dadurch schwer verwundet. Ich weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt. Doch diese Bitte habe ich an dich, als Dank für unsere Gastfreundschaft: dass du nur kleine Knochen nach ihm werfen mögest, so er denn überhaupt noch am Leben ist.“
Bodvar versprach, Hott zu verschonen, und setzte seinen Weg nach Hleidargard fort. Dort angekommen, brachte er sein Pferd bei den besten Pferden des Königs unter, ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu bitten. Er betrat die Halle, in der nur wenige Männer waren, und setzte sich in der Nähe des Einganges nieder. Schon bald hörte er ein Geräusch aus einer der Ecken. Als er genauer hinsah, entdeckte er die Hand eines Mannes, die unter einem Haufen von Knochen herausragte. Diese Hand war vollkommen schwarz. Bodvar ging hinüber zur Ecke und fragte, wer unter dem Haufen sei. Eine schüchterne Stimme sagte. „Mein Name ist Hott, gnädiger Herr.“ „Warum steckst du dort drin?“ wollte Bodvar wissen. „Was tust du denn da?“ „Ich baue mir einen Schildwall, gnädiger Herr“, antwortete Hott. „Du und deine Schilde, ihr seid erbärmlich“, sagte Bodvar. Er griff in den Knochenhaufen, packte den Mann und zog ihn heraus. Hott schrie laut auf und rief: „Du willst mich wohl tot sehen, wo ich mich doch so gut verschanzt hatte! Du hast meinen Schildwall zerstört, den ich eben erst so hoch errichtet hatte, dass er mich gegen alle Schläge schützen konnte. Schon seit einiger Zeit bin ich nicht mehr getroffen worden, dabei war die Mauer noch nicht einmal fertig.“ „Du bist fertig mit Mauerbauen“, sagte Bodvar.
„Werden sie mich jetzt töten, gnädiger Herr?“ fragte Hott. Bodvar befahl ihm, ruhig zu sein, hob ihn auf und trug ihn zu einem nahegelegenen See. Er wusch ihn und kehrte dann gemeinsam mit Hott zu seinem Platz in der Halle zurück. Dort setzte er den Jungen neben sich. Hott war so verängstigt, dass all seine Glieder schlotterten, auch wenn er verstand, dass der Fremde ihm helfen wollte.
Später am Abend strömten die Männer des Königs in die Halle. Hrolfs Helden sahen, dass Hott auf einer der Bänke saß, und dachten bei sich, dass der, der dieses veranlasst hatte, ziemlich mutig sein müsse. Hott, der um sein Leben fürchtete, versuchte, zu seinem Knochenhaufen zurückzukehren. Doch Bodvar ließ das nicht zu. Die Männer des Königs nahmen nun ihr altes Spiel wieder auf und bewarfen die beiden mit Knochen. Anfangs waren es nur kleinere. Bodvar tat so, als bemerke er nichts. Hott dagegen war so verängstigt, dass er weder Essen noch Trinken anrührte. „Gnädiger Herr,“, sagte er zu Bodvar, „gleich kommt ein großer Knochen geflogen, der uns sicher verletzen wird.“ Bodvar erwiderte, er solle ruhig sein. Er fing den großen Knochen aus der Luft und warf ihn mit derartiger Kraft zurück, dass er den, der ihn zuvor geworfen hatte, mit großer Wucht traf und ihn auf der Stelle tötete. Da kam über die Männer des Königs eine große Furcht.
Oben in der Festung hörten König Hrolf und seine Helden davon, dass ein beeindruckend starker Mann die Halle betreten und einen der königlichen Gefolgsleute getötet habe, und dass die anderen Männer des Gefolges nun nach seinem Tod verlangten. Als der König die ganze Geschichte hörte, verbot er, dass man Bodvar etwas antue. „Ich habe euch immer wieder gesagt, dass ihr euer unehrenhaftes und schändliches Spiel bleiben lassen sollt!“ rief er. „Dieser Mann scheint kein Schwächling zu sein. Ruft ihn her, damit ich erfahre, wer er ist.“
Bodvar trat vor den König und grüßte ihn artig. Als Hrolf ihn nach seinem Namen fragte, sagte er: „Deine Gefolgsleute nennen mich Hotts Beschützer, aber eigentlich heiße ich Bodvar.“ „Wie willst du mich für den Tod meines Gefolgsmannes entschädigen?“ fragte der König. „Er hat bekommen, was er verdient“, antwortete Bodvar. „Willst du seine Stelle einnehmen und einer meiner Männer werden?“ „Das würde ich nicht ablehnen“, sagte Bodvar, „aber Hott und ich dürfen nicht getrennt werden. Außerdem werden wir Bankplätze erhalten, die dem deinen näher sind als der, den der Mann besaß. Wenn du dem nicht zustimmen willst, gehen wir.“ „Ich kann in diesem Mann namens Hott zwar keine Ehre erkennen, aber ich werde ihm deshalb nicht das Essen verweigern“, sagte König Hrolf.
Bodvar suchte sich also einen Platz auf den Bänken, der ihm zusagte, ohne sich darum zu kümmern, ob der einem anderen gehörte. Drei Männer warf er von ihren Plätzen, und setzte sich zusammen mit Hott dorthin. Nun saßen sie tiefer in der Halle als zuvor. Die Männer um ihn herum waren seiner Gram, trauten sich jedoch nicht, ihn anzugreifen.
Das Julfest war nahe. Und der ganze Hof wirkte bedrückt. Bodvar wandte sich an Hott und fragte, was die Ursache dafür sei. Der erzählte ihm, dass in den vergangenen zwei Wintern eine riesige und fürchterliche Bestie aufgetaucht sei. „Sie hat Flügel“, sagte er, „und fliegt für gewöhnlich. Sie richtet großen Schaden an. Keine Waffe kann sie verletzen. Und die Helden, die gegen sie ausgezogen sind, selbst die größten unter ihnen, sind nicht zurückgekehrt.“ „Diese Halle ist wohl doch nicht so gut besetzt, wie ich dachte, wenn ein einziges Tier die Länder und Herden des Königs verwüsten kann.“ „Es ist kein Tier“, sagte Hott, „es ist der größte aller Unholde.“
Dann war der Julabend da, und der König sagte: „Es ist mein Wille, dass in dieser Nacht keiner meiner Männer Lärm schlage. Alle sollen sich ruhig verhalten, niemand darf sich selbst in Gefahr bringen und gegen das Monster ausziehen. Die Herden werden ihrem Schicksal überlassen, aber meiner Männer will ich keinen verlieren!“ Alle versicherten, diesem Befehl Folge zu leisten. Nur Bodvar stahl sich in der Nacht davon und nahm Hott mit sich. Er musste ihn dazu zwingen und ihn sogar tragen, denn Hott war davon überzeugt, dass Bodvar ihn dem Tod auslieferte. Der aber redete ihm gut zu und versicherte, dass alles gut werden würde.
Als sie die Kreatur erblickten, schrie Hott so laut auf, dass Bodvar ihn zu Boden warf und ihm befahl, still zu sein. Hott blieb liegen, vor Angst unfähig sich zu bewegen. Bodvar indes griff die Bestie an. Er griff nach seinem Schwert und wollte es aus der Scheide ziehen. Doch das Schwert wehrte sich und blieb stecken. Es war das Schwert seines Vaters Bjorn, das Bodvar aus dem Fels gezogen hatte. Ein Zauber lag auf ihm, der bewirkte, dass es nur drei Mal von ein und demselben Mann gezogen werden konnte. Wenn dies aber geschah, dann raubte es ein Leben.
Jetzt weigerte sich das Schwert, von Bodvar aus seiner Scheide gezogen zu werden. Der aber packte zu und zog so fest daran, dass es endlich kreischend die Schwertscheide verließ. Das Monster war bereits über ihm. Bodvar riss das Schwert in die Höhe und trieb die Klinge unter dessen Schulter in seinen Körper und bis in sein Herz hinein. Da fiel es tot zu Boden.
Bodvar hob Hott auf, trug den vor Angst schlotternden Mann zum Monster und sagte: „Jetzt sollst du das Blut des Unholds trinken.“ Hott weigerte sich, doch Bodvar zwang ihn, zwei große Schlucke zu nehmen und ein Stück von seinem Herzen zu essen. Danach griff er Hott an, und die beiden kämpften miteinander für eine lange Zeit. „Du bist jetzt außerordentlich stark“, sagte Bodvar. „Deshalb höre auf, die Gefolgsleute des Königs zu fürchten!“ Hott sagte: „Ab sofort werde ich weder sie noch dich fürchten.“ „Dann, mein Lieber“, antwortete Bodvar, „ist am Ende wirklich alles gut geworden.“
Gemeinsam richteten sie das Monster wieder auf, so dass man denken musste, es sei noch am Leben, gingen wieder nach Hause und erzählten niemandem von ihrem Abenteuer. Am Morgen wollte der König wissen, welche Neuigkeiten es gebe, ob das Monster angegriffen habe, ob irgendjemand zu Schaden gekommen sei. Man sagte ihm, dass alle Tiere wohlbehalten in ihren Stallungen seien. Ob es irgendwelche Anzeichen dafür gebe, dass die Bestie überhaupt dagewesen sei, fragte König Hrolf. Die Wachen gingen nach draußen um nachzusehen, kehrten aber sehr schnell wieder zurück. Sie hätten sie gesehen, berichteten sie. Der Drache käme zürnend direkt auf sie zu. Da befahl der König seinen Männern, stark und mutig zu sein, ein jeder solle sich mit allem, was er habe, in den Kampf werfen. Vielleicht gelänge es ihnen ja, den Unhold zu überwinden. Jeder bereitete sich vor. Doch der König sagte: „Mir scheint, dass das Monster sich gar nicht bewegt. Gibt es einen unter euch, der es sich zutraut, den günstigen Augenblick zu nutzen und anzugreifen?“
Darauf sagte Bodvar: „Dieses Unterfangen wäre genau das richtige für den Tapfersten unter uns. Hott, mein Freund! Strafe all die üble Nachrede über dich Lügen, die da sagt, du seist feige und hättest keinen Kampfesmut. Geh hin und töte die Bestie. Es scheint, dass es sonst niemand tun möchte.“ „Nun gut“, sprach Hott, „dann werde ich mich dieser Aufgabe annehmen.“ „Ich weiß nicht, wo du den Mut her nimmst“, sagte da König Hrolf, „aber mir scheint, du hast dich in letzter Zeit sehr verändert.“ „Für diese Aufgabe“, erwiderte Hott, „benötige ich dein Schwert Gullinhjalti, das du an deiner Seite trägst. Und dann werde ich gehen und entweder den Unhold töten oder selbst Tod finden.“ „Dieses Schwert“, sagte König Hrolf, „darf nur von einem Mann getragen werden, der körperlich stark und edel im Geiste ist.“ „Gehe davon aus, mein König“, erwiderte Hott, „dass ich solch ein Mann bin.“ „Wer kann das schon wissen?“ sagte König Hrolf. „Vielleicht hast du dich mehr verändert, als man es erkennen kann. Nimm also das Schwert. Wenn ich mich nicht in dir täusche, dann wird es dir guten Dienst erweisen.“
Entschlossen marschierte Hott auf die Kreatur zu, stieß das Schwert in sie hinein, und sie fiel tot zur Erde. „Seht nur, Herr“, sagte Bodvar zum König, „was er fertiggebracht hat.“ „Er hat sich wirklich sehr verändert“, antwortete Hrolf, „dennoch glaube ich nicht, dass er allein das Biest getötet hat. Vielmehr glaube ich, dass du das gewesen bist.“ „Das mag wohl sein“, sagte Bodvar.
„Sobald ich dich erblickte“, sagte der König, „wusste ich, dass nur wenige Männer dir ebenbürtig sind. Aber die größte Tat, die du bewerkstelligt hast, ist doch diese, dass du mir aus Hott einen weiteren Helden gemacht hast. Er soll nicht mehr Hott heißen. Ich will ihn Hjalti nennen, denn nach dem Schwert Gullinhjalti, Güldenes Heft, soll er fortan benannt sein.
Hier endet die Geschichte von Bjorn und Bera und Bodvar Bjarki und seinen Brüdern.