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EXISTENZIELLE ZERREIßPROBE

Musiker sein ist ein Segen – aber was, wenn die eigene Kunst zum Fluch wird? Wir sprachen mit 50% MANTAR in Form von Sänger und Gitarrist Hanno über die Vor- und Nachteile, eine Miniband zu sein, und was es bedeutet, ein ganz tiefes kreatives Tal zu überwinden.

Bevor wir auf euer neues Album „Pain is forever and this is the end“ zu sprechen kommen, gehen wir mal ein bisschen in der Zeit zurück. Als ihr euch damals gegründet habt, war es eher so der Trend, dass Bands aus bis zu sechs bis acht Leuten bestanden – je mehr, desto besser, und ihr seid „nur“ zu zweit gewesen. Wie ist es dazu gekommen, wie habt ihr euch dazu entschieden, dass ihr zu zweit was machen wollt?

Es wollte im Original am Anfang keiner mitmachen. Das ist tatsächlich die relativ uncoole Antwort. Wir waren da ja auch schon ein bisschen älter, also ich war, glaube ich, dreißig, als wir die Band gegründet haben, und da war dann natürlich im Freundes- und Bekanntenkreis „Oooh, big fucking news, eine neue Band, ja super, natürlich will ich mitmachen.“ Ja ne, lass mal stecken! Also wir haben auch tatsächlich nach einem Bassisten gesucht am Anfang, es hatte aber keiner Zeit und Bock, und wir haben dann auch relativ schnell herausgefunden, dass das auch irgendwie zu zweit funktioniert, und sehr schnell begriffen, dass es auch gar nicht um die Anzahl der Musiker geht, sondern eher um die Chemie zwischen den Musikern, und dass es ganz egal ist, ob es sieben, acht oder halt auch nur zwei sind, solange da ein besonderes Moment entsteht zwischen den Leuten, die zusammen Musik machen. Für uns war das auch nie so eine dogmatische Sache und wir haben damit auch nie groß kokettiert oder angegeben - „Hey guck mal, wir sind nur zu zweit!“ - denn wir wollten nie hören: „Dafür, dass es nur zwei sind, ganz cool.“ Es geht ja überhaupt nicht um die Menge der Mitglieder, das wäre ja so, als würde ich sagen, dass mein Gericht besser schmeckt, weil ich da jetzt ganz viele verschiedene Gewürze reingemacht habe. Das ist ja auch kein Garant, dass das jetzt besser schmeckt. Und da haben wir das schnell begriffen, dass das zu zweit funktioniert zwischen uns. Wir kennen uns ja auch schon ganz lange, wir waren auch schon 15 Jahre befreundet, bevor wir überhaupt angefangen haben, zusammen Musik zu machen. Und Erinç ist ja auch etwas älter als ich und war auch ein bisschen sowas wie ein Vorbild für mich. Der hat mich auch Ende der Neunziger auf alle Konzerte mitgeschleppt, als ich so 15/16 war. Alles so Sachen, für die man sich sonst jahrelang hätte durcharbeiten müssen, durch die Szene des Kleingedruckten, und mit ihm hatte ich dann die Guidance für verschiedenste Sachen wie Demotapes oder Mixtapes oder ähnliches. Der wusste immer, was abgeht. Das kennt ihr sicherlich selber, das Glück von Freunden, die so ein bisschen älter sind. Später wird’s lästig, aber wenn man jung ist, ist es sehr praktisch, haha.

Also so ein richtiges Dreamteam!

Ja, das war cool, wenn man 15 ist und einer deiner besten Kumpels ist schon so 23, das ist halt eine ganz andere Liga. Heutzutage, ich bin jetzt 40, ist das völlig egal, ob ein Kumpel 50 oder 25 ist, das verwässert dann ja irgendwann total, aber wenn man 15 ist und du hängst sonst nur mit totalen Blockflötengesichtern und Handlampen rum, die auf dem Gymnasium in deine Schulklasse gehen, die so Charts aus dem Radio hören, und dann ist da auf einmal so ein Typ, der schleppt dich auf Undergroundkonzerte, und deine Eltern sagen dem: „Bring mir den ja wieder heil nach Hause!“ Das war natürlich total der Glücksgriff, unter anderem auch, weil ich da ganz viel über Musik gelernt habe, Sachen, die wir dann auch vor zwei Jahren auf der „Grungetown Hooligans“ gecovert haben. Das alles sind Bands, die ich ausschließlich nur wegen Erinç kenne, das muss man ganz klar sagen. 

Foto: Vincent Grundke vollvincent.com

Hattet ihr denn irgendwann im Laufe der Bandgeschichte mal überlegt, jemanden dazuzuholen oder war das dann auch einfach kein Thema mehr?

Ne, wie ich schon gesagt habe, es gibt ja eine ganz besondere Chemie zwischen uns als Musiker, und da besteht natürlich die Gefahr, dass man das nicht verbessert, sondern eher verwässert mit mehr Leuten. Du musst dich dann ja komplett neu orientieren, und jemand bringt dann ja auch zurecht neuen Input von außen mit. Wir haben ja immer schon eine sehr strikte Vision gehabt und auch eine gemeinsame Idee von einer Ästhetik, von Klang und Sound. Dementsprechend war das nie auf dem Tisch, das Thema. Und das Gute ist auch, dass du in einer Zwei-Mann-Band die bestfunktionierende Demokratie überhaupt hast. Wenn jemand was nicht möchte, dann passiert das halt nicht. Und sollte mal jemand von uns keine Lust mehr haben, dann ist die Band auch vorbei und das ist auch gut, das fühlt sich gut an, dass das so drastisch und konsequent ist. Dass es keine verwässerten, abgespeckten Kompromisse gibt. Es gibt ja ganz viele Bands, die haben irgendwann mal zu fünft angefangen und sind jetzt nur noch ein oder zwei Leute, wo man denkt, was ist das jetzt eigentlich, macht doch einfach eine neue Band. Ich bin da auch Punker im Herzen, ich finde, das Ende setzt man sich irgendwie auch immer selber. Und ich finde, bevor so Sachen ein Schatten ihrer selbst werden, muss man immer die Reißleine ziehen. Da ist auch keine Schande drin. Und viel Bands machen das meiner Meinung nach nicht. Bei MANTAR ist es so, wenn einer von uns raus ist, ist es halt vorbei, und das ist auch gut. Das hat ein natürliches Ende, das fühlt sich sehr gesund an.

Zu zweit scheint echt viele Vorteile zu haben.

Das hat Vorteile, hat aber auch Nachteile, denn wenn du von einer Idee total überzeugt bist und du diskutierst und es keinen Konsens gibt, dann musst du, ganz im Gegensatz zu einer mehrköpfigeren Band, damit leben, dass Sachen einfach nicht passieren, weil 50% der Band nein sagen. Eine andere Sache ist, dass wir sehr früh lernen mussten, an unserer Streitkultur zu arbeiten. Und das gerade in den Anfangsjahren der Band. Wir sind sehr schnell überall auf der Welt unterwegs gewesen, ohne Geld, ohne Crew, ohne dass uns da jetzt jemand groß erwartet hätte, wir haben uns auch viel einfach selber eingeladen, da hat man da irgendwie keine Zeit wochenlang einen Groll zu hegen oder so. In einer anderen Band ist es so, heute häng ich mal mit dem Bassisten rum, jetzt habe ich die Schnauze voll, jetzt verbring ich mal ein bisschen Zeit mit dem Drummer, man kann sich so aus dem Weg gehen. Aber in so einer Zwei-Mann-Band ist es tatsächlich wie in einer monogamen Beziehung: Du musst Probleme im Kern erkennen und die auch schnell lösen, und das klappt manchmal besser, manchmal schlechter. Also es gibt nicht nur Vorteile, das ist auch viel Arbeit, viel so Psychohygiene, haha. 

https://youtu.be/ImKjDr63AYE (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Heute ist ja auch irgendwie Trend, dass Bands immer kleiner werden. Was uns aufgefallen ist, ist, dass viele Bands mittlerweile ohne einen echten Drummer auskommen und der Drummer dann von Band abgespielt wird sozusagen. Was denkt ihr, so als Duo mit Drummer, denn darüber?

Also, dass Bands kleiner werden, weiß ich nicht, ich bin 1,86m, Erinç ist 1,93m, hahaha. Wir fühlen uns da relativ groß gewachsen, aber ich weiß, was du meinst. Ich bin da sehr oldschool. Ich find’s voll o.k., dass Musik ohne Schlagzeug auskommt, aber das ist für mich nicht unbedingt so Rockmusik oder harte Musik. Vielleicht noch bei Industrial, wo ein Drummer an einem richtigen Schlagzeug gar nicht so wichtig ist, weil es da wirklich nur um Rhythmus und Beat geht. Das gleiche in Rapmusik, da ist für mich das Konzept auch total logisch, dass man da keinen Schlagzeuger braucht. Aber wenn du nur eine Zwei-Mann-Band hast – und Erinç ist ja nunmal nur Schlagzeuger – also, Schlagzeug ist von MANTAR 50%. Entweder der Song hat einen unwiderstehlichen Groove, da passiert irgendwas Geiles mit dem Rhythmuspattern, oder es hat ein geiles Riff, das ist so die härteste Währung, die wir so im MANTAR-Kontext hatten, und im besten Fall hat ein Song beides. Für uns ist das, glaube ich, nochmal wichtiger als für so eine Fünf-Mann-Band, die ein Keyboard, das so interessante Soundscapes macht, hat. Wir haben eine Gitarre oder sogar zwei, wir haben einen Bassisten, und der Basser mit dem Drummer zusammen machen die Rhythmussection – diese Mehrdimensionalität und Vielschichtigkeit haben wir ja gar nicht. Bei uns ist es immer nur Gitarre und Drums, und Drums spielen da dann eine ganz, ganz große Rolle. Wir mochten das auch immer, dass die Musik straight-forward ist und sehr eindimensional, halt auch ganz bewusst, dass das sehr primitive Musik ist, die auch an primitive Instinkte appelliert, aber auch ganz offen damit umgeht. Für mich ist ein guter MANTAR-Song wie eine gute Schlägerei. Oder so eine Ästhetik: Ich mochte das als Kind immer schon, Sachen auseinanderzunehmen, das hatte für mich immer mehr Magie als Sachen zusammenzubauen. Wenn man eine Glasflasche an die Wand wirft, das ist was Wunderschönes, man muss sie ja niemanden an den Kopf werfen, darum geht’s nicht, sondern wenn Sachen auseinanderfliegen, das sieht halt geil aus, das hat halt so eine Urgewalt, und so haben wir Mantar auch immer begriffen. Eindimensional, nicht inhaltlich - wir arbeiten ja nicht auf einer politischen Ebene, das hat im MANTAR-Kontext gezielt nie eine Rolle gespielt - sondern rein musikalisch gesehen. Dass du entweder mit dem Kopf nickst oder dass dir die Fresse wegschmilzt, weil es einfach so laut und derbe ist. Das war immer ein klares Ziel.

Euch gibt’s ja als Band jetzt 10 Jahre. Würdest du sagen, dass es da auch Veränderungen gegeben hat, z.B. auch innerhalb der Musikindustrie ganz allgemein? Merkt ihr da irgendwas?

Also, MANTAR war am Anfang ja auch schon ein sehr undergroundiges Thema. Und wenn du eine gewisse Nische bedienst oder dir diese Nische auch erspielst, dann hast du ja auch eine sehr gefestigte Fanbase, und das ist Gott sei Dank bis heute so, das heißt wir hatten nie Probleme damit, z.B. Platten zu verkaufen. Wir verkaufen relativ viele Platten und auch allgemein physische Produkte, Kassetten, 7-inches, Vinyl,… Vom Musikkonsum haben wir ungefähr eine Ratio von 80% physisch zu 20% digital, das gibt es kaum woanders. Und das gab es im Punk, Underground oder subkulturellem Kontext immer, dass wenn du eine gute Band warst und dir dein Publikum erspielt hast, dass du dich immer darauf verlassen konntest, dass die Leute deine Shirts gekauft haben und so. Und deshalb hat MANTAR von Anfang an sehr gut funktioniert. Wir waren mit diesem Punkrock-Background auch immer DIY unterwegs, und wir machen auch immer noch eigentlich alles allein. Erinç schickt immer noch jedes einzelne T-Shirt von sich aus dem Wohnzimmer raus, das hat sich in den letzten 10 Jahren nicht verändert, Gott sei Dank, sondern ich glaube, dass die Fanbindung, gerade im Underground, immer stärker wird, dass die Leute auch mal Platten in zwei Farben kaufen, weil die das so geil finden. Was sich geändert hat, ist die Industrie im Big-Picture. Es gibt nach wie vor wahnsinnig viel Geld mit Musik zu verdienen, und nach wie vor verdient ein ganz kleiner Teil viel zu viel und ein großer Teil viel zu wenig da dran. Und das Problem sind nicht Majorlabels und das Probblem sind auch nicht MP3s, sondern das Problem ist einfach ein sehr unfairer Verteilungsschlüssel zwischen Musiker und Auswertungsindustrie. Das hat sich aber auch nicht groß verändert in den letzten 10 Jahren. Was sich, glaube ich, verändert hat: Ich kenne noch, dass du zu Weihnachten eine CD kriegst und die mehrfach hörst, dazu stundenlang im Booklet blätterst. Vor Covid war, dass ich das Gefühl hatte, dass es immer Druck auf Live-Konzerte gab, dass die Leute, umso größer Spotify geworden ist und umso weniger Fan-nah das Anhören der Musik geworden ist, mehr Konzerte brauchten, um überhaupt noch die Musik irgendwie erleben zu können. Covid hat natürlich alles wieder umgeschmissen, und die Zeiten sind schlecht. Alle Bands verkaufen weniger Tickets, und da sagen die Leute natürlich: „Aber wieso? Rock am Ring ist doch voll! Und das ÄRZTE-Konzert in Hannover auch!“ Jahaa, big fucking news, sind auch DIE ÄRZTE und Rock am Ring, und außerdem hatten diese Leute, die da hingingen, ihre Tickets auch schon seit drei Jahren wegen den ganzen Verschiebungen und so am Kühlschrank kleben. Das zählt nicht. Aber wenn du jetzt in der Größenordnung MANTAR die Shows beispielsweise in Deutschland in 400-1000er Läden spielst, das ist schwer, da Tickets zu verkaufen! Die Leute sind zurecht extrem vorsichtig, weil alle Konzerte verschoben wurden, und jetzt darf man auf einmal wieder. Deshalb wird übrigens weltweit auch großer Druck auf Deutschland ausgeübt, weil Deutschland auch immer noch die, glaube ich, drittgrößte Nation ist, was Umsatz in der Musikindustrie betrifft. Und die Leute machen ihre Schublade auf: „Alter, ich hab hier schon 11 Tickets drin. Egal, wie geil MANTAR oder Band xy ist, ich kauf mir jetzt nicht 4 Monate im Voraus eine Karte, ich weiß gar nicht, ob das Konzert überhaupt stattfindet, und die anderen 11 Konzerte muss ich erstmal abarbeiten!“ Und das ist eine relativ beschissene Situation, gerade für Bands in unserer Größenordnung, die eigentlich nur über diesen Live-Kontext Geld verdienen können. Klar kannst du auch mal Merch übers Internet verkaufen, aber den Großteil deiner Shirts und so verkaufst du halt bei den Shows auf einer Tour. Das ist dann schwierig. Dementsprechend hat sich natürlich insbesondere in den letzten zwei Jahren viel verändert. Ich hab vor zwei Jahren großkotzig bei einem Interview-Podcast von meinem Kumpel Jan, dem Basser von TOCOTRONIC, gesagt, dass das jetzt ein bisschen Survival of the Fittest ist. Man wird jetzt nach und bei Covid merken, wer wirklich für die Sache dabei ist und wer einfach nur einen quick Moneygrab machen wollte. Ob du die Sache überleben wirst, hat auch viel damit zu tun, wie wichtig dir das Musikmachen als solches und deine eigene Band wirklich ist. Da habe ich die Fresse natürlich auch sehr weit aufgerissen und hatte natürlich keine Ahnung, dass die Scheiße zweieinhalb Jahre dauert und Open End hat! Aber das zählt natürlich immer noch so. Viele Bands müssen sich jetzt damit auseinandersetzen, dass man früher eine 1000er-Halle gefüllt hat und jetzt vielleicht wieder vor 400 Leuten spielen muss.

Foto: Vincent Grundke vollvincent.com

Oh ja, das merkt man, dass einige Leute das Handtuch geworfen haben, aber es gibt auch die, die wirklich dranbleiben. Dann merkt man eben auch, wer es wirklich ernstmeint.

Ja, und um jetzt auch nochmal auf deine Frage davor zurückzukommen, ob Bands kleiner werden: Als Beispiel, dass auf ein Schlagzeug verzichtet wird, da kann ich mir nicht vorstellen, dass das was mit Personalkosten oder so zu tun hat. Und dieser Trend, dass sich Bands von der Mirgliederanzahl verkleinern, das habe ich nicht beobachtet, ich muss aber auch dazu sagen, da seid ihr als Journalisten natürlich ganz anders aufgestellt als ich, ich hab das Ohr auch nicht sonderlich auf der Straße. Ich kenne neue Bands nicht, ich lebe sehr zurückgezogen, ich konsumiere keine Musikmedien, ich kriege nichts mit, was so neu ist. Da entgeht mir sicherlich auch viel, aber ich höre immer noch die selben Bands, die ich auch schon mit 12 gehört habe und das mach ich eigentlich auch gerne, haha.

Da ist ja auch nichts gegen einzuwenden, haha.

Manchmal denke ich schon, dass ich vielleicht so ein bisschen mehr open-minded sein sollte, weil man jetzt auch in so ein gefährliches Alter kommt. Man hat eine einigermaßen erfolgreiche Band, man ist nicht mehr jung, da muss man aufpassen, dass man nicht so „satt“ wird. Dass man sich zurücklehnt und sich sagt „Ja, ich weiß, welche Bands ich geil finde, ich muss nichts Neues mehr hören.“ Hat ja auch immer viel mit Angst zu tun, mit eigener Verletzlichkeit, weil du dir dann auch am laufenden Band angucken musst, wie irgendwelche Bands kommen, die sind 21 und die liefern ab wie Schmitz’ Katze! Und du denkst so: „Alter Falter, da muss ich jetzt aber mal ein bisschen üben gehen“, haha. Da darf man sich gar keine Illusion machen.

Dann mal zu eurem neuen Album: Der Titel ist „Pain is forever and this is the end“. Das klingt irgendwie so ein bisschen nach Ende der Band? Was hat es mit dem Titel auf sich?

Oh, da muss ich ein bisschen ausholen. Also der Titel „Pain is forever and this is the end“ war am Anfang ein Arbeitstitel. Viele Bands haben ja auch beim Songwriting Arbeitstitel, ein Songtitel ist häufig auch einfach ein Arbeitstitel. Dann heißt das irgendwie „Doppelklopper“ oder „Der schnelle Song“. Und „Pain is forever and this is the end“ war am Anfang ein Arbeitstitel, ein zynischer, bitterer Witz. Ich fand, der Satz klingt gut, das war so etwas Poetisches. Und ich bin beim Songwriting immer so, dass ich eigentlich den Songtitel habe, bevor ich die Lyrics schreibe, d.h. ich schreibe den Text um einen Titel. Dann war es so: Ich habe Ende 2020 Erinç angerufen und gefragt, ob wir nochmal eine neue MANTAR-Platte machen wollen. Dazu muss man sagen, dass ich in den USA wohne und Erinç in Hamburg. Wir sind eine Band, die nie langfristige Pläne macht. Viele Bands machen Platten aus Gewohnheit und nicht, weil sie was zu sagen haben. Wir haben dann da sehr offen darüber diskutiert und gesagt, dass wir drei Killerplatten, eine EP, eine Liveplatte, dies und das gemacht haben, und ob es überhaupt noch mehr braucht. Gar nicht so, ob das noch Leute brauchen, sonder: Brauchen wir das? In erster Linie machen wir ja Musik, um uns selber zu unterhalten. Erinç meinte dann, er hätte Bock, dann war für mich klar, ich fliege rüber und bringe meine Riffs mit und dann bauen wir da eine neue Platte daraus. Und dann hat Erinç geheiratet, genau zu der Zeit, und ich hab mich auf der Hochzeit, um ein Foto von ihm zu machen, so ganz doof hingekniet und habe mir relativ kompliziert den Miniskus gerissen, da war dann natürlich erstmal Arschlecken mit neue Platte machen, weil ich dann ins Krankenhaus musste, vier Wochen im Bett war, nicht richtig laufen konnte, total frustrierend. Auch keine Krankenversicherung in Deutschland gehabt, demnach massiv Kohletrouble gehabt. Zurückgeflogen in die USA, Reha, Knie geht wieder, ich kann wieder laufen, zwei Monate später, Weihnachten 2020, hab ich gesagt „Ey, jetzt komme ich, jetzt können wir das nachholen, was wir letztes Mal nicht geschafft haben.“ Ich fliege rüber, erste Probe, Heiligabend, nach der Probe gehe ich in den Supermarkt, ich rutsche auf dem Boden aus und reiß mir im selben Knie das Kreuzband. Wieder keine Krankenversicherung, weil wem passiert das schon zweimal, zweites Mal unters Messer, totale Scheiße. Wir haben dann auch versucht, mir irgendwie so behelfsmäßig ein Bett in den Proberaum zu stellen und haben dann noch zwei Wochen versucht, so rumzugurken, aber es war so der Wurm drin, und das war für uns dann auch ein ganz schlimmes Gefühl. Zum ersten Mal in der Bandgeschichte fühlte es sich so an, als würde das Universum gegen uns arbeiten. Wir waren gewohnt, dass wir immer on top of things waren, so Punkband by heart: „Wir bestimmen, was, wie, wo, wann, warum, zu welchen Konditionen passiert und auch, wann Dinge zu Ende gehen!“ Und auf einmal schmeißt uns das Leben Stöcke zwischen die Beine und alles geht schief! Und dann bin ich wieder abgereist, wir konnten wieder nichts machen, und dann fühlte sich das auch innerhalb der Band an, als wäre da so ein richtiger Knoten zwischen uns. Dann mussten wir auch wieder erstmal neu lernen zu kommunizieren, weil wir beide ziemlich frustriert waren. Wir dachten: „Wie kann das sein? Früher ging das so easy und jetzt passiert nur Scheiße, nichts klappt.“ Dann wirst du natürlich auch noch sehr kritisch und unsicher, was das eigene Material betrifft. Dann habe ich Erinç nach ein, zwei Monaten eine Mail geschrieben und gesagt, weil wir beide mit der Idee geflirtet haben, die Band aufzulösen, weil es sich so verkeilt angefühlt hat, dass ich fine damit bin, wenn die Band vorbei ist. Es sei okay für mich, aber ich könne nicht akzeptieren, dass jemand anders außer uns der Sache ein Ende setzt. Also entweder Shake Hands und die Band wird aufgelöst, wie sie auch gegründet wurde, oder es wird durchgezogen. Ich meinte dann, dass ich eigentlich nicht aufgeben wolle, und gab den Vorschlag, zum ersten Mal von zu Hause aus die Songs als Demo aufzunehmen, ihm die zu schicken, damit er dann in Deutschland seine Drumparts dazu aufnimmt. Ich konnte nämlich wegen der Verletzung und Covid nicht mehr nach Deutschland einreisen. Und dann hat er mit mir so am Telefon die Drumparts live eingespielt und hat mir die Drumparts geschickt. Und ich produziere die Platten eigentlich alleine bei mir im Haus, dann habe ich den Rest hier aufgenommen. Und das ist die Geschichte. Grundsätzlich kann man sagen, dass alles, was schiefgehen konnte, schiefgegangen ist, nichts ging easy, es hat auch null Bock gemacht, diese Platte zu machen und ich hatte auch ganz viele unsichere Momente, wo ich Erinç anrufen musste: „Alter, ich glaub das ist alles totale Pisse da, die Songs, die sind scheiße.“ Und er meint „Neeeeiiin, die Songs sind gut, gib der Sache eine Chance, du bist betriebsblind.“ Wo du morgens aufwachst und denkst, du hast die Welt verändert und abends denkst du, du bist gar nichts. Und dann habe ich am Schluss, als die Platte fertig war, festgestellt, aus diesem zynischen Witz „Pain is forever and this is the end“ ist irgendwie bittere Realität geworden. Und das ist die Platte, die ihr jetzt gehört habt und die jetzt bei mir an der Wand hängt, wie so eine Jagdtrophäe, wie so ein Hirsch, den man erlegt hat. Ich bin froh, aber die Platte hätte uns fast erledigt. Sie ist zum Prüfstein der Existenz der Band geworden, es ist eigentlich ein Wunder, dass wir hier jetzt sitzen und reden. Aber ich bin stolz, die Platte ist gut geworden, und ich bin froh, dass es vorbei ist. Ich glaube, der Schmerz wäre größer gewesen aufzugeben als durchzuziehen. 

https://youtu.be/ImKjDr63AYE (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Würdest du dann dementsprechend sagen, dass das ein ganz besonders wichtiges Album für euch ist?

Ja, absolut. Es ist definitiv neben dem Debüt die wichtigste Platte der Band. Mit dem Debüt ist die Band geboren worden und mit dieser Platte hat die Band bewiesen, dass die Band stark genug ist und hat nochmal sich selber und anderen gegenüber die Daseinsberechtigung untermauert. Das ist ja auch ein massiver Output gewesen. In acht Jahren gibt’s vier Full length-Platten, zwei EPs und eine Liveplatte. Das sind sieben VÖs, das ist nicht schlecht.

Ja, auf jeden Fall! Das ist auch schön, das du da so drüber redest und dass ihr dieses Tal auch überwunden habt. Ich kann mir schon vorstellen, dass der ein oder andere das nicht geschafft hätte.

Ja, ich bin so ein Drüber-reden-Typ, ich bin da sehr dran gewöhnt, ich bin sehr gut darin, Gefühle zu kommunizieren, ich habe da überhaupt keine Probleme. Ich könnte mich auch mit fremden Leuten an der Bushaltestelle über meine Lebensprobleme unterhalten, ich finde, das ist eh ein allgemeines Problem in der Gesellschaft, dass Leute sich nicht öffnen, dass Leute Angst haben zu sprechen, weil sie Angst haben, Schwäche zu zeigen. Ich zeige total gerne Schwäche, ich zeige aber auch extrem gerne Stärke.

Jenny Josefine Schulz

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