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50 schöne Dinge, die ich losgelassen habe

von Katharina Burkhardt

Als ich fünfzig wurde, fand ich mein Leben wundervoll. Zwanzig war so na ja, dreißig aufregend, vierzig schrecklich, aber fünfzig war großartig. Damit hatte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Ich ging davon aus, dass man sich ab einem gewissen Alter automatisch schlechter fühlt, der Rücken schmerzt, die Falten werden mehr, und dann auch noch die Wechseljahre! Lebenszeit schwindet, die Erinnerungen werden größer, die Zukunft kleiner. Was soll da noch kommen?

Doch ich irrte mich. Jede Lebensphase hat ihre eigene Energie, ihren Raum für Entwicklungen und Erkenntnisse. Als ich vierzig wurde, hatte ich gerade meinen langjährigen Job gekündigt - ohne etwas Neues in Aussicht. Ich fühlte mich einsam und verloren und wusste nicht recht, wohin mit mir und meinem Leben. Zehn Jahre später sah das ganz anders aus. Mittlerweile arbeitete ich als freie Lektorin und Autorin und hatte bereits acht Bücher veröffentlicht. Damit erfüllte sich ein Lebenstraum. Ich genoss die berufliche und private Unabhängigkeit, liebte es, mittags im Café zu sitzen und abends am Schreibtisch, trieb viel Sport und traf Freunde. Ich hatte mich selten besser gefühlt.

In dieser Zeit entstand die Idee, ein Buch über die Lebensmitte zu schreiben, über die Zeit ab fünfzig, wenn sich gerade für Frauen viel ändert. Die Kinder gehen aus dem Haus, die Wechseljahre schlagen aufs Gemüt, beruflich starten manche neu durch, andere begraben endgültig ihre Träume – zu alt, keine Kraft mehr, keine Lust. Ich wollte Geschichten sammeln von Frauen, die besondere Dinge taten und anderen damit Mut machten. 50 schöne Dinge lautete der Arbeitstitel für das Projekt. Doch ich kam nicht dazu.

Herbstlich gedeckter Buffet-Tisch mit Kuchen, Kerze, Kürbis und Hagebuttenzweigen.

Wenige Monate nach meinem fünfzigsten Geburtstag wurde ich krank. Eine Grippe erzeugte Hefe in meinem Hirn, ich lag wochenlang apathisch auf dem Sofa und starrte die Zimmerdecke an, wenn ich mir nicht gerade die Seele aus dem Leib hustete. Es vergingen Monate, bis ich wieder fit war. Monate, in denen ich viel über mich selbst lernte, über das Alleinleben, über Freundschaften und Netzwerke, die einen im Notfall tragen – oder auch nicht.

In meine alte Spur fand ich nicht zurück. Im Erholungsurlaub lernte ich einen Mann kennen. Es war eine dieser überraschenden, unerwarteten Begegnungen, wir waren beide nicht auf der Suche und fanden uns doch. Zuhause trennten uns fast siebenhundert Kilometer, wir glaubten nicht an eine gemeinsame Zukunft. Trotzdem gingen wir das Wagnis einer Partnerschaft ein.

Jahrelang pendelte ich von Hamburg ins Saarland, die Unterschiede zwischen der bunten Großstadt im Norden und dem verschlafenen Örtchen im Südwesten konnten nicht größer sein. Ich genoss die Vorteile beider Orte – das Laute, Lebendige hier, die Stille und herrliche Natur da. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte das ewig so weitergehen können. Doch die Pandemie brach aus, das Pendeln fand ein jähes Ende und vieles andere auch. Freundschaften zerbrachen, meine Sicht auf das Großstadtleben veränderte sich und ich beschloss, Hamburg zu verlassen.

Ich hatte dreiundzwanzig Jahre in meiner Wohnung gelebt und war lange davon ausgegangen, dass ich in diesem von mir sehr geliebten Zuhause alt werden würde. Also richtig alt. Nun verschenkte und verkaufte ich fast all meinen Besitz. Die Möbel waren überwiegend Familienerbstücke, mit denen ich besondere Geschichten verband und die ich eigentlich nicht hergeben wollte. Bei Tageslicht betrachtet sahen sie allerdings nicht mehr schön aus, Macken im Holz, Flecken auf dem Furnier, verschlissene Bezüge. Nicht nur ich war in die Jahre gekommen, mein Mobiliar war es auch.

Das Loslassen dieser Dinge wurde für mich zu einem therapeutischer Prozess. Viele Erinnerungen kamen hoch, schöne und weniger schöne. Ich nahm gedanklich erneut Abschied von Menschen, die nicht mehr lebten oder aus anderen Gründen nicht mehr zu meinem Leben gehörten. Ich ließ alte Zeiten los, Ereignisse, Begegnungen, berufliche Stationen. Das war berührend, schmerzhaft und wahnsinnig anstrengend.

Die Begegnungen mit den Menschen hingegen, die meine Besitztümer übernahmen, waren zum Teil so wundervoll und außergewöhnlich, dass ich begann, sie aufzuschreiben. Aus dem Projekt 50 schöne Dinge wurde unmerklich das Projekt 50 schöne Dinge, die ich losgelassen habe. Statt fremde Frauen zu porträtieren, befasste ich mich mit meiner eigenen Geschichte.

Mit dem Umzug verabschiedete ich mich von einem großen Lebensabschnitt. Ich war einunddreißig, als ich in die Wohnung zog, jung, energiegeladen, voller Pläne und Träume. Als ich auszog, war ich vierundfünfzig. Die Lebensmitte hatte ich vermutlich deutlich überschritten. Manches verlor dadurch an Bedeutung, anderes trat in den Vordergrund.

In meinem neuen Leben ist vieles anders. Das ist gut, weil es mich lebendig hält und mich zu einem Perspektivwechsel zwingt. Die fünfzig (und mehr) Dinge, die ich fortgab, halfen mir, auch innerlich loszulassen und Platz für Neues zu schaffen.

Vielleicht macht das Lesen dieses Newsletters dir Mut, selbst etwas loszulassen, dich von altem Ballast zu befreien und zu neuen Ufern aufzubrechen. Das muss nicht gleich ein Umzug sein. Manchmal sind es kleine Veränderungen, die Großes bewirken – zum Beispiel der Kauf eines neuen Betts. Doch das ist eine andere Geschichte.

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