Lernen und erinnern: Buch oder Podcast?
Ich lese Bücher. Zum Vergnügen und um etwas Neues zu lernen. Im besten Fall kann ich beides miteinander verbinden. Ich habe versucht, Podcasts zu hören – während der Autofahrt, im Zug, beim Spazieren gehen, im Gym oder wenn ich einfach nur auf der Couch liege. Mit mäßigem Erfolg und wenig Spaß. Verblüffend war, dass ich mich bei Podcasts hinterher kaum an die Inhalte erinnern konnte. Gibt es Unterschiede in der Rezeption zwischen dem Lesen von Büchern und dem Hören von Podcasts?
Foto von Kimberly Farmer auf Unsplash (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Beim Hören wird man leichter abgelenkt als beim Lesen. Selbst wenn ich mich konzentriere, fällt es mir schwer, einem Podcast über längere Zeit aufmerksam zu folgen. Das ist kein individuelles Problem bei mir. Es ist eine Tatsache und liegt an mehreren psychologischen und kognitiven Faktoren, die das Verarbeiten von Informationen beeinflussen.
1. Passive Verarbeitung: Beim Hören von Inhalten ist die Informationsverarbeitung oft passiver als beim Lesen. Das Gehirn muss die gesprochene Sprache in Echtzeit verarbeiten, was es schwieriger macht, innezuhalten und über das Gehörte nachzudenken oder es zu wiederholen. Das führt dazu, dass man leichter abschweift.
2. Multitasking: Audioinhalte werden häufig während anderer Tätigkeiten gehört. Andere Tätigkeiten beanspruchen kognitive Ressourcen, wodurch die Aufmerksamkeit für die gehörten Inhalte verringert wird.
3. Fehlen visueller Hinweise: Beim Lesen werden visuelle Hinweise genutzt, um den Text zu strukturieren und die Aufmerksamkeit zu lenken. Überschriften, Absätze und Formatierungen helfen, den Text besser zu organisieren und sich zu konzentrieren. Beim Hören fehlen diese visuellen Strukturen, was es schwieriger macht, die Informationen zu verarbeiten und sich zu merken.
4. Kontrollverlust über das Tempo: Beim Lesen kann man das Tempo selbst bestimmen, Abschnitte erneut lesen oder Pausen einlegen. Beim Hören bestimmt das Audio das Tempo, was es schwieriger macht, komplexe Informationen zu verarbeiten und zu verstehen.
5. Umweltgeräusche: Hörumgebungen sind oft störanfälliger. Hintergrundgeräusche können die Konzentration beeinträchtigen und die Verarbeitung der gehörten Informationen stören.
Forschungsergebnisse unterstützen die These, dass das Hören von Inhalten anfälliger für Ablenkungen ist als das Lesen:
1. Studie zur Aufmerksamkeitsverteilung: Eine Studie von Ralph et al. (2016) zeigte, dass Teilnehmer, die Audioinhalte hörten, anfälliger für Ablenkungen durch Umweltgeräusche waren als diejenigen, die denselben Inhalt lasen. Dies führte zu einer schlechteren Erinnerungsleistung bei den Hörern.
2. Studie zur Informationsverarbeitung: Eine Studie von Luo et al. (2018) verglich die Informationsverarbeitung beim Lesen und Hören und fand heraus, dass Leser besser in der Lage waren, sich auf die Inhalte zu konzentrieren und diese zu verstehen, während Hörer häufiger berichteten, dass ihre Gedanken abschweiften.
3. Studie zur Multitasking-Fähigkeit: Research von Emberson et al. (2010) untersuchte, wie gut Menschen Informationen verarbeiten, während sie multitasking-bedingte Tätigkeiten ausführen. Die Ergebnisse zeigten, dass Teilnehmer, die beim Hören multitasking betrieben, eine signifikant schlechtere Erinnerungsleistung hatten als diejenigen, die beim Lesen multitasking betrieben.
Zusammenfassung: Das Hören von Inhalten ist tendenziell ablenkungsanfälliger als das Lesen. Dies liegt an der passiveren Verarbeitung, der häufigen Ausübung von Multitasking, dem Fehlen visueller Strukturen, dem Kontrollverlust über das Tempo und der Anfälligkeit für Umweltgeräusche.
Lesen bietet durch die aktive Verarbeitung und visuelle Unterstützung eine effektivere Möglichkeit, sich auf die Inhalte zu konzentrieren und diese nachhaltig zu erinnern. Beim Lesen scannen wir nicht jeden einzelnen Buchstaben, sondern erfassen ganze Wörter und Sätze in Bruchteilen von Sekunden. Unser Gehirn verknüpft diese Informationen mit unserem Vorwissen und schafft so einen nachhaltigen Bedeutungszusammenhang. Beim Hören hingegen müssen wir uns auf die einzelnen Worte konzentrieren, was besonders schwierig ist, wenn wir gleichzeitig andere Aufgaben bewältigen müssen.
Wie wichtig ist Kontext, um Neues besser lernen und erinnern zu können?
Unser Gehirn liebt es, Zusammenhänge herzustellen. Sogar, wo gar keine Zusammenhänge sind, stellt das Gehirn Verbindungen her. Unser Gehirn liebt Geschichten. Neues wird leichter erinnert, wenn es in einen Kontext eingebettet ist. Das liegt daran, dass unser Gedächtnis assoziativ aufgebaut ist. Wir speichern Informationen nicht isoliert, sondern in Verbindung mit anderen Informationen, die wir bereits kennen.
Wenn man ein neues Wort lernt, ist es hilfreich, es in einem Satz zu verwenden oder mit einem Bild zu verknüpfen. So entsteht ein Kontext, der das spätere Abrufen erleichtert. Wenn man eine neue Tatsache lernt, sollte man versuchen, sie mit bereits bekanntem Wissen zu verbinden. Dies schafft ein Netzwerk von Informationen und ein tieferes Verständnis, das die Erinnerung an die neue Tatsache stärkt.
Wie kann ich Informationen besser in einen Kontext einbetten? Es sind die guten alten Bekannten, die zu empfehlen sind: Stelle Fragen zum Thema, das du lernst. Was ist der Kontext? Welche Informationen sind wichtig? Wie hängen die Informationen zusammen? Vergleiche das neue Wissen mit bereits bekanntem und dem, das du bereits gut verstehst.
Schreibe das Gelernte mit eigenen Worten auf. Erkläre es dir schriftlich. Du kannst auch eine Geschichte erfinden, in der das neue Wissen integriert ist.
Visuell talentierte Menschen können Mindmaps erstellen. Mindmaps helfen, Informationen visuell zu organisieren und Beziehungen zwischen verschiedenen Konzepten zu erkennen.
Auch die schauspielerisch Begabten können ihr Talent nutzen. Spiele eine Rolle, die mit dem Thema zu tun hat. Das hilft, die Informationen aus einer anderen Perspektive zu betrachten und sie sich besser zu merken. Im gespielten Gespräch mit dir selbst lässt sich das neue Wissen mit dem bekannten Wissen verknüpfen.
Mein Geheimtipp, um das neue Wissen zu vertiefen, ist die sogenannte „Feynman-Methode“. Erkläre und diskutiere das Gelernte mit anderen. Spiele den Lehrer.
Es gibt einige Studien zum Thema Lernen und Wissen vertiefen. Hier eine Auswahl:
1. Die „Encoding Specificity-Theorie“ besagt, dass wir Informationen am besten erinnern, wenn die Bedingungen beim Abruf den Bedingungen beim Lernen ähneln.
Studie: Tulving und Thomson (1973) fanden heraus, dass Teilnehmer Wortpaare besser erinnern konnten, wenn sie sich im gleichen Kontext befanden, in dem sie diese gelernt hatten.
2. Die „Transfer Appropriate Processing-Theorie“ besagt, dass die Art und Weise, wie wir Informationen verarbeiten, einen Einfluss darauf hat, wie gut wir sie später abrufen können.
Studie: Morris et al. (1977) zeigten, dass Teilnehmer sich besser an Wortpaare erinnerten, wenn die Art der Verarbeitung beim Lernen der Art der Verarbeitung beim Abruf entsprach.
3. Der „Spacing Effect“ besagt, dass wir Informationen besser lernen und behalten, wenn wir sie über einen längeren Zeitraum hinweg in mehreren Sitzungen lernen.
Studie: Bahrick (1984) zeigte, dass Teilnehmer, die Vokabeln über mehrere Sitzungen hinweg lernten, sich besser an die Vokabeln erinnerten als diejenigen, die sie in einer einzigen Sitzung lernten.
4. Die „Context-Dependent Memory“ zeigt, dass unser Gedächtnis stark vom Kontext beeinflusst wird, in dem wir Informationen lernen.
Studie: Godden und Baddeley (1975) fanden heraus, dass Taucher sich besser an eine Liste von Wörtern erinnerten, wenn sie sich im gleichen Kontext befanden, in dem sie diese gelernt hatten.
Buch oder Podcast? Fazit!
Durch die Anwendung Kontext-bezogener Strategien können wir unser Lernen effektiver gestalten und uns besser an das Gelernte erinnern. Lesen bietet im Vergleich zum Hören erhebliche Vorteile. Durch das aktive Verarbeiten der Informationen beim Lesen können wir sie besser verstehen und erinnern.
Podcasts können jedoch nützlich sein, um bereits gelernte Inhalte zu wiederholen. In diesem Fall sind sie oft zeitsparender als ein ganzes Buch oder ein wissenschaftliches Paper durchzuarbeiten. Für das effektive Lernen neuer Inhalte ist klar das Lesen eines Buches zu empfehlen mit anschließender Vertiefung der relevanten Inhalte durch schriftliche Wiederholung.