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Vielleicht lasse ich die Spiele besser daheim

Nintendo Switch und Joy-Cons

Meine Liebe zu Games ist groß. Doch sie kennt auch Grenzen.

Sommer 2022 zwischen Deutschland und Finnland. Es hätte so schön sein können. Ringsum die Ostsee. Kein Land in Sicht. Sowieso kein Handynetz. Und ich, fernab von allem, im schattigsten Plätzchen des Sonnendecks, versunken in meiner Nintendo Switch. Doch kaum habe ich das Gerät in den Händen, kneife ich die Augen zusammen, verkrampfe, und ein Fremder schielt mir aufs Display.

Gerade sah die Ostsee noch schöner aus.

Die Nintendo Switch ist eine wahnsinnig erfolgreiche Spielekonsole. Nicht nur bei anderen, auch bei mir. Ich bin seit dem Anfang dabei, meine Switch hat seit 2017 noch nie Staub gefangen, mehrere Joy-Cons driften übelst. Technisch gesehen mag sie nur ein Handy mit Joysticks und Knöpfen sein. Aber schon Breath of the Wild hat mich umgehauen, hat mich komplett überzeugt, dass die Leistung reicht. Anderswo ist die Auflösung oder Bildrate höher, aber das ist mir egal. Hier habe ich -zig Indies gespielt und Nintendos Eigenproduktionen – einige der besten Games der letzten Jahre.

Dazu wirkt sie nicht kompliziert, ist nicht schwer zu verstehen, ist finanzierbar. Sie funktioniert am Fernseher, oder ohne. Die Switch kann immer spielen.

Solche Geräte nähren bei erschöpften Eltern jüngerer Kinder Phantasien – vorausgesetzt, die Eltern lieben Videospiele. Schon oft habe ich in die wehmütigen Augen vollbärtiger Väter und müder Mütter geschaut, als sie mir spätabends zuraunten, früher hätten sie ja auch gezockt. Heute ginge das nicht mehr. Arbeit, Kinder, keine Zeit.

Ich kann das nachvollziehen!

Selbst als Journalist mit dem Schwerpunkt Videospiele.

Nintendo hatte eine Verheißung, eine Antwort für Menschen mit solchen Problemen: In den Zwischenräumen des Alltags sollte es noch Platz für Spiele geben. Die Switch muss ihren Bildschirm nicht teilen. Sie ist unterwegs dabei und ermöglicht anfallartiges, spontanes Gaming unterwegs. So wurde die Konsole schon 2017 beworben: Beim eigentlichen Spaziergang mit dem Hund hängt der Besitzer plötzlich vertieft auf der Parkbank. Er spielt jetzt Zelda (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Das Tier rennt halt irgendwo herum.

Darüber haben Menschen schon 2017 Witze gemacht, aber vielleicht gab es auch Hundebesitzer mit diesem verborgenem Traum: zwei schöne Beschäftigungen, ineinander verschachtelt. Die familienfreundliche Version von Sex und Drogen.

Irgendwie unrealistisch, aber verheißungsvoll leuchtete das Versprechen, und es leuchtet bis heute. Fast 130 Millionen Konsolen wurden bis heute verkauft. Und mir sind ergonomische Kompromisse durchaus aufgefallen, aber ich hab wahrhaftig im Eurocity gesessen und Breath of the Wild gespielt! Zwei unterschiedlich schöne Beschäftigungen, aber die Verschachtelung hat funktioniert!

Also habe ich im Sommer 2022 mit der größten Selbstverständlichkeit meine Switch in den eng durchkalkulierten Trekking-Rucksack gepackt. Unsere Switch ist ja nicht nur für mich gedacht, darauf leben Kirby, Snipperclips und Pikuniku. Und dann taten sich gleich zu Beginn des Familienurlaubs offensichtliche Zwischenräume auf: Runde 29 Stunden maritime Ereignislosigkeit. Die Kinder malten, sie schlugen Räder, rannten halt irgendwo herum, und ich fand einen Platz im Schatten, packte die Switch aus, ignorierte den kritischen Seitenblick eines möglicherweise finnischen Herrn und spielte:

Picross.

Auf meiner Switch sind epische Rollenspiele installiert, experimentelle Erzählspiele, ein Schatz interaktiver, audiovisueller Kunst, und ich spiele Rätsel mit dem Charme einer kleinlichen Aufräumarbeit. Ich zähle Kästchen, suche Lücken, setze Punkte, und am Ende habe ich ein niedliches Bildchen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gestickt.

Picross ist völlig zurecht ein Klassiker. Das gabs schon auf dem Gameboy. Aber es gäbe auch sehr gute Umsetzungen für mein Handy. Wenn ich mein Handy gezückt hätte, würde der finnische Herr jetzt nicht so hartnäckig auf meinen Bildschirm schielen. Ich spiele kein ausladendes Kunstwerk, das nach Knöpfen und einem gewissen Platz auf dem Bildschirm verlangt. Ich spiele was zum Zeittotschlagen. Vor mir liegt der aufregendste, befreiendste Ausblick der letzten zweieinhalb Jahre meines Lebens.

Ich ärgere mich über Spiegelungen im Display.

Und rückblickend fällt mir auf, dass das schon 2017 so war. Damals war ich noch überwältigt von der Möglichkeit, das nächste große Zelda im Zug zu spielen. Daheim auf dem Fernseher aber habe ich jedesmal aufgeatmet, weil ich die Schrift besser erkennen konnte und auch nach mehreren Spielstunden krampf- und verspannungsfrei blieb.

Wenn ich ehrlich bin, spiele ich größere Spiele zwar immer noch auf der Switch, aber fast immer auf dem Fernseher. Bis auf ca. drei einsame Geschäftsreisen im Jahr habe ich überhaupt keinen Grund mehr, sie irgendwohin mitzunehmen. Ich mag Spiele mit einer Atmosphäre. Ich will vertiefen und verlieren. Das ist generell schon schwierig, wenn die Schrift auf dem Bildschirm zu Fliegenbeinen schrumpft und meine großen Hände auf kleinen Knöpfen verkrampfen. Das Portal in die andere Welt wird mir dann etwas zu eng.

Aber es fehlt auch der Rahmen. Das Sonnendeck mag groß und leer aussehen, immerhin sitze ich neben einem Hubschrauberlandeplatz. Aber ich kann hier nicht für mehrere Stunden sitzen und den Akku leerspielen. Tausend andere Sinneseindrücke kann ich nur jetzt und hier haben, Breath of the Wild gibt’s dagegen besser daheim. Zelda kämpft auf der Fähre mit den Lichtverhältnissen, ist schlecht lesbar, und für Menschen mit meinem Maßstab nur so mittelergonomisch. Außerdem haben die Kinder Anliegen. Sie haben Hunger, oder sie müssen aufs Klo, oder sie wollen, dass ich Fotos schieße, wenn sie Räder schlagen.

Und offen gesagt mache ich genau deswegen Urlaub:

Um mit meinen Kindern finnische Bordtoiletten zu suchen oder 300 ähnliche Fotos zu schießen.

Darum geht es.

Um Picross geht es nicht, und auch nicht um Breath of the Wild. Die Switch hat mir auf der Fähre nichts zu bieten als ein etwas unrealistisches, fünf Jahre altes Werbeversprechen, an das ich mich offensichtlich immer noch klammere. Mehrere ungestörte Stunden würde ich überhaupt nur erwarten, wenn ich allein bin. Das kommt schonmal vor, aber eher nicht im Familienurlaub. Und das ist nicht nur OK so, das ist unbedingt richtig, sonst hätte ich keine Kinder.

Aber so sitze ich dann wie entlarvt auf dem Sonnendeck (und später auch an Stränden, in Ferienwohnungen), und merke jedes Mal, dass ich hier weder die Zeit, noch die Ruhe, noch die Sichtbedingungen habe, um ernstgemeinte Herausforderungen wie Metroid Dread zu spielen. Ein paar Mal lande ich noch bei Picross, dann lasse ich die Switch im Rucksack.

Nicht falsch verstehen: Auf der nächsten Geschäftsreise packe ich sie ein. Lange Zugfahrten sind per se unergonomisch, ich reise ohne Kinder, und inzwischen gibt es Tears of the Kingdom.

Und für zahlreiche Sonderfälle mag die Switch immer noch genial sein: Ich kann ja gar nicht beurteilen, ob es Studierende gibt, die in der akademischen Viertelstunde im Hörsaal noch schnell eine Runde Mario Kart spielen.

Aber im Urlaub mit Kindern? Ist die Switch im Besonderen und das Videospiel im Allgemeinen eine Gurke. Nicht einmal die Kinder fragen danach. Zu Hause entdecken sie das Gerät mit einer Begeisterung wieder, als hätten sie es vermisst. Als hätten wir es gar nicht dabei gehabt. Bei uns zu Hause wird viel gespielt. Aber nicht auf Fähren oder in Finnland.

Sehen wir uns?

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