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Nach langer Pause…

“Manchmal im Leben kommt alles zusammen und man ist ratlos, weil die Welt verrückt erscheint. Als gelernter Historiker habe ich immer gerne rückwärts geschaut, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu erahnen. Klingt banal, denn natürlich war früher alles anders, und auch wieder nicht so anders, wenn man genauer hinschaut. Mensch bleibt Mensch.”

Mit diesen Worten habe ich vor Monaten einen Newsletter-Post begonnen, und sie sind immer noch aktuell. Leider. Warum lernen die Menschen so wenig dazu? Man muss ihnen die Chance geben! In Deutschland ist das Bildungsniveau in den letzten Jahrzehnten gesunken. Teils sogar mit Absicht, denn angeblich sollte jeder Abitur machen können. Doch anstatt gezielt zu fördern, hat man das Niveau gesenkt, damit immer mehr Schüler irgendwie das Abitur schaffen. Fächer wie Geschichte wurden vernachlässigt, mit fatalen Folgen, wie man an der Änderung der politischen Landschaft sehen kann. Man kann heute (wieder) mit offensichtlichen Lügen geistig unbedarfte Wähler anlocken. Wenn sich dann noch Dummheit mit Gewaltbereitschaft paart, dann beginnt man plötzlich sich selbst zu verunsichern, und sich zu fragen, ob es noch Länder gibt, in denen Menschen freundlich, friedlich und intelligent miteinander leben können und wollen. Ja, es gibt sie noch!

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Ausstellung in Zürich
Vernissage in Zürich
Assassination

Give me back my soul
which you took away
with your words
and deeds.

Give me back my life
which you have stripped away
with Your words
and deeds.

Take back your life,
But don't you dare
to brag about
with your words.

Niemand entgeht der Vergangenheit

Als mich neulich ein Kollege fragte, über was ich einen Essay schreiben würde, wenn das gewünscht oder irgendwie notwendig sein sollte, war ich einen Moment ratlos. Der Kollege verwies auf meine Biografie, die wäre doch variantenreich und bunt genug. Eigentlich hatte er recht damit.

Als gelernter Historiker schaue ich gerne zurück, denn ich habe früh gelernt, dass die Vergangenheit direkt oder auch auf Umwegen unsere Gegenwart beeinflusst. Bruchstücke des Denkens und Fühlens früherer Zeiten sind immer noch aktiv in unserer Sprache und unserem Handeln. Vor einiger Zeit beobachtete ich, wie eine Wagenkolonne mit Motorradpolizisten vorneweg an mir vorbei brauste. Ludwig XIV. und sein Hofzeremoniell standen mir vor Augen, Kutschen statt gepanzerte Limousinen, Reiter statt Motorräder, aber sonst hatte sich eigentlich nichts verändert. Mir war das bewusst, vielen Menschen aber nicht.

In meiner Kindheit war ich so friedlich umgeben von Buddhisten, Hindus, Christen, Juden und Moslems, dass mir die Unterschiede der Religionen, die sich dann oft als abfällige Feindschaft zeigten, unverständlich waren und eher wie ein buntes Märchenpuzzle wirkten. Später beschäftigte ich mich intensiver damit, las die heiligen Bücher, aber stets mit den Augen des nüchternen Historikers. Für mich waren, kritisch betrachtet, alle Religionen Menschenwerk. Sie entsprachen den Vorstellungen und dem Kenntnisstand der Menschen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung. Allwissend waren ihre Schöpfer nicht, weise in manchen Einsichten dagegen schon.

Die Vorstellung eines gerechten Gottes oder mehrerer gütiger Götter, die in ihrer Allmacht schon alles richtig machten, schien mir völlig absurd. Im Angesicht der mich umgebenden ungerechten, brutalen Welt ein aus Angst und Verzweiflung geborenes Wunschdenken. In unserem Universum herrschten von Anbeginn die Naturgesetze in ihrer ganzen unerbittlichen Härte, der Tod ist unausweichlich. Die Philosophie war es eigentlich, die versuchte, den Menschen ethisches Verhalten nahe zu bringen. Wenn in Religionen ebenfalls ethische Gebote enthalten waren, so wirkte das wie ein Feigenblatt vor der gleichzeitig verkündeten gnadenlosen Ablehnung und Verfolgung Andersdenkender.

Wir sind umgeben von Erfahrungen, die uns eigentlich lehren sollten, die Fehler der Geschichte nicht zu wiederholen. Kreuzzüge, der Dreißigjährige Krieg zwischen Katholiken und Protestanten, Religionskriege zwischen Sunniten und Schiiten, die Massaker zwischen Moslems und Hindus, alles wiederholt sich, so grausam und so sinnlos, immer und immer wieder. Wer aus der Geschichte nicht lernt, muss sie leider wiederholen.

Es sind die ganz großen und die ganz kleinen Dinge, die sich verblüffend ähneln. Anders gesagt, am Ende hat Alles mit Allem zu tun, direkt oder nur weitläufig verbunden. Ich konnte das irgendwann auch an meiner eigenen Biografie entdecken.

Mein Vater war ein Schweiger. Aus einem protestantischen Pfarrhaus stammend, war er Berufsoffizier geworden, weil das Geld, nach dem frühen Tod seiner Eltern, nicht für ein Studium reichte. In der Reichswehr wurde er Ingenieur. Dann musste er wie alle Soldaten in den Krieg ziehen. Er wurde bald schwer verwundet und war nicht mehr diensttauglich, nur noch für Schreibtischarbeit einsetzbar. Ein Glück, oder doch nicht?

Er meinte einmal, als Ingenieur habe er an der Fertigung der V2-Rakete mitgewirkt. Am Ende des Krieges war er in der Nähe von Erfurt stationiert gewesen. Aus der „Ostzone“ flüchtete er in den Westen, als die Russen alle in ihrem Bereich verbliebenen Mitarbeiter an der V2 einsammelten und nach Baikonur schafften, um eigene Raketen zu bauen, so wie im Westen die Amerikaner. Ich hatte immer das Gefühl, dass an dieser Geschichte etwas nicht ganz stimmte, wichtige Details fehlten. Doch mein Vater war ein ruhiger, freundlicher, in sich gekehrter Mann, ich vergaß das alles im Laufe der Zeit.

Eines Tages sah ich im Fernsehen eine Dokumentation über das KZ-Lager Nordhausen bei Erfurt, dessen Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen zum Bau der V2 in unterirdischen Bunkeranlagen gezwungen wurden. Mein Vater war da schon gestorben, aber die Stichworte V2 und Nordhausen ließen ein ungutes Gefühl wach werden. Wo sonst hätte er in der Nähe von Erfurt an der V2 arbeiten können? Niemand entgeht der Vergangenheit.

Meine genealogische Neugier stieß in meiner eigenen Familie nicht auf großes Interesse. Doch eines Tages schenkte mir eine Tante handschriftliche Aufzeichnungen von einem Onkel ihres Vaters, der sich mit Familiengeschichte beschäftigt und Kirchenbücher ausgewertet hatte. Zettel in Sütterlinschrift, schwer zu entziffern; ich legte alles in einen Karton und vergaß es.

Doch während des Geschichtsstudiums streiften wir auch die verwandten Themen Heraldik und Genealogie, und lasen in den verzwickten Stammbäumen des europäischen Hochadels. Rebellisch dachte ich, jeder hat doch seinen eigenen Stammbaum, nicht nur der Adel. Jeder ist genetisch durch seine Vorfahren beeinflusst, ihre Berufe, ihre Wanderungen, ihr Leben und Sterben. Warum das nicht erforschen?

Ich nahm mir den Karton mit den Zetteln meines entfernten Vorfahren und begann alles zu entziffern und zu ordnen. Plötzlich entfaltete sich ein Panorama von Schicksalen vor mir, von Aufstieg und Fall, Armut und Reichtum, von Seuchen und hoher Kindersterblichkeit. Darunter waren Bauern, Pfarrer, Lehrer und sogar Erfinder. Ausgewandert waren auch einige. Ich suchte über das Internet und fand tatsächlich in den USA und auch in anderen Ländern heutige Namensvettern.

Doch eines Tages fand ich noch mehr. Menschen, viele Menschen, mit meinem Nachnamen waren in den Todeslagern der Nazis umgebracht worden. Es waren Juden, doch in meiner Familie hatte es keine Juden gegeben. Wie konnte das sein? Ich fand die Spur in den Zetteln.

Tatsächlich war vor über 250 Jahren ein Bauernbursche Richtung Amsterdam aufgebrochen, um sein Glück in der neuen Welt zu suchen. Doch er hatte das Schiff nach Amerika nie bestiegen, sondern sich offenbar in die Tochter eines jüdischen Kaufmanns verliebt, hatte sie geheiratet und war geblieben. Es gab reichlich Nachkommenschaft, und von den Nach-Nachkommen wurden viele von den Nazis ermordet. Ihre Namen zieren heute Gedenklisten der Opfer. Mir gefror das Blut in den Adern, es war eigentlich nicht meine persönliche Geschichte und doch war es meine Geschichte.

Niemand entgeht der Vergangenheit.

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