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Heimat finden

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Ich kenne viele Linke, die sofort einen Würgereiz oder eine Wutattacke kriegen, zumindest aber sich eine abwehrende Haltung einstellt, sobald sie das Wort Heimat hören. Ich kriege auch Gefühle, aber eher der Traurigkeit. Denn Heimat erschließt sich mir in erster Linie als Verlust. Als ein Ding der Unmöglichkeit oder etwas, das sich in den Zwischenräumen befindet, fragmentiert zwischen den zersplitterten Orten und Zeiten, auf die sich meine Familie, Freund:innenschaften und mein Gefühl der Zugehörigkeit verteilt.

Als Linke stellt sich mir die Frage, wie wir eine Heimat finden und den Menschen anbieten können, ohne einen falschen Stolz zu füttern oder nationalistische Verteidigungsszenarien zu entwerfen. Wo können wir Heimat finden, als Ort der Zugehörigkeit, als Raum des Wohlbefindens, als Gedanken, der uns Halt gibt und Glück? Ich weiß, dass viele vehement gegen jegliche Deutung von links sind. Verständlich, angesichts dessen jüngster Geschichte (Naziwort) und den konservativen und rechtsextremen Vorstellungen, die er in all seinen Kulturprodukten vermittelt. Mir geht es vielleicht auch gar nicht so sehr, um Heimat selbst, der ursprünglich ein bürokratischer Begriff war, ein Aufenthalts- und Bleiberecht beschrieb und außerdem mit Eigentum verknüpft war, bevor er zu einem völkischen Sentiment heranwuchs. Mir geht es eher um die Suche nach einem Konzept von Zugehörigkeit, das eine mindestens genauso starke Anziehungskraft ausübt wie die Heimat.

Fragen

Wo gehöre ich hin? Wo komme ich her? Das sind allzu menschliche Fragen, die sich durch unser unfreiwilliges in die Welt geworfen sein, stellen. Das sind Fragen, die nicht einfach verschwinden, wenn man sie als politisch rechtsgerichtet abkanzelt. Sie gehören zum Menschsein dazu, sind Grundlage für unsere Identität und Auffassung der Welt, sowohl als Individuen als auch als soziale Wesen. Problematisch wird die Frage nach den Ursprüngen erst, wenn die eigene Identität so stark an die Herkunft gekoppelt ist, dass das Gefühl von Stolz eine Rolle zu spielen beginnt. Darf ich stolz sein darauf, wo ich geboren oder aufgewachsen bin? Ist das überhaupt gleichwertig? Oder geht es dann, früher oder später, nicht unweigerlich auch um andere Merkmale, wie Sprache, Phänotyp und Kultur?

Und dann stellt sich die Gegenfrage: worauf bist du überhaupt stolz? Auf den Zufall, das nicht vielmehr ist als ein Versehen, das dir praktisch angetan wurde, indem du ohne eigenes Zutun irgendwo auf der Welt durch den Geburtskanal gepresst wurdest? Du wusstest nicht, was dich auf der anderen Seite erwartet. Hattest keine Wahl, wo du landest. Und die ersten Lebensjahre war deine Umwelt die ganze Welt, die einzige, die existierte. Als Kind ist es nur schwer zu erfassen, dass es darüber hinaus mehr gibt, auch wenn die migrantische Erfahrung von Klein auf Teil deiner Realität ist.

Der Fleck

Aber aufgrund dieses Verbundenseins mit dem Fleck, wo du geboren, aufgewachsen bist, wohnst, was manche als Verwurzelung begreifen, aber ich eher als ein Pendeln oder eine Route – was mich fragen lässt, ob meine Heimat sich nicht eigentlich viel mehr auf der Reise von einem Ort zum Nächsten befindet, als dort, wo ich ankomme –, und aufgrund der Tatsache, dass wir körperlich immer nur zu einem Zeitpunkt an einem Ort sein können und nicht an mehreren zugleich, der Fleck deiner Gegenwart eben, ergibt sich eine natürliche Verbindung zwischen Anwesenheit, Land und Zugehörigkeit, eine Dreifaltigkeit, die sich in Heimat bündelt. Ich schreibe Anwesenheit, weil die Geburt auch nur ein Augenblick sein kann, losgelöst vom ständigen Dasein oder dem Aufwachsen. Und manchmal bedeutet diese Anwesenheit auch ein durchs Leben gehen und äußert sich im Verweilen.

Wenn es um Heimat im nationalistischen Sinn geht, ist die neoliberale Erzählung des selbstwirksamen rationalen Akteurs, der alles aus eigener Kraft und Leistung erbringt, plötzlich passé. Plötzlich reicht es einfach aus, zufällig irgendwo geboren worden zu sein und darauf stolz sein zu dürfen, nein, zu müssen, um auch abwehren und verteidigen zu können. Dieses Gefühl in Menschen, in die Bevölkerung, das Volk zu verpflanzen, hat selbstverständlich mehr mit Macht und Herrschaft und dem Erhalt des Kapitals zu tun, als uns lieb ist. Es ist unwidersprochen klar, dass Erfindungen wie Innen- und Heimatministerien abgeschafft gehören, weil sie nationalstaatliche Systeme erhalten und Nationalstolz und Patriotismus Vorschub leisten. Wiederum gesellschaftliche Gefühle, die Individuen zum Äußersten treiben können: ihr Leben riskieren oder sogar opfern für kapitalistische Interessen und imaginierte Nationen. Sogenannter Heldentum, auf das ohne weiteres verzichtet werden kann.

Und dann wiederum gibt es Befreiungsbewegungen für die ein Territorium eine wichtige, eine zentrale Rolle spielt, weil es bedeutet ganz grundsätzlich in der Welt sein zu können, zu dürfen, einen Ort der Zugehörigkeit, aber auch der Sicherheit zu haben. Wobei es oft auch nicht so ist. Weil es Völker und Ideen gibt, die der patriarchale koloniale Kapitalismus und seine Handlanger:innen vorsätzlich zerstören, denn dann würden Menschen Ideen in die Welt tragen, die das Überdauern des Kapitalismus gefährden.

In uns ist also eine Verbindung angelegt, die wir allzu gern wieder rasch über Bord werfen, wenn es um Privilegien, Konsum und Bequemlichkeiten geht: ich, wir und unsere Umwelt. Wir sind woher wir kommen, wohin wir gehen, wo wir leben. Heimat als konkreter Ort, lokal, nicht auf ein ganzes Land bezogen, denn dann landen wir wieder bei der Fantasie der Nation, die nichts mit der Realität zu tun hat. Und: „Die für niemanden ein Zuhause sein kann, für den sie nicht Heimat ist und die für niemanden Heimat werden kann, für den sie es nicht schon immer war." , wie der Berliner Linguistik-Professor Anatol Stefanowitsch in einem Interview gesagt hat.

Reaktion

Sicher: es gibt Naturschutzgesetze und Nationalparks. Parlamentarier:innen regulieren ein bisschen was. Und Rechtsextreme konstruieren eine starke Verbindung mit der Natur und wiederum konstruierten Vorstellungen von biologistischen Kriterien, Reinheit, Männlichkeit. Für die Wirtschaft ist und bleibt der Boden derweil eine Ressource, die es für den Profit auszubeuten gilt. Das alles lässt sich derzeit unter dem Heimatbegriff finden.

Es ist und bleibt eine Reaktion: zu sagen, wir nehmen den Rechtsextremen den Begriff der Heimat weg und deuten ihn um, ist genauso eine Reaktion auf den kommenden Faschismus, wie zu sagen, es kann keinen Heimatbegriff von links geben und deswegen lassen wir die Finger davon. Aber zuerst, kann die Anthropologin in mir nicht ansatzweise glauben, dass wir den Begriff nicht umdeuten könnten. Zweitens, will die Anarchistin in mir alles umdeuten und eine kulturelle und soziale Revolution anzetteln. Und drittens, will ich den unverbesserlichen Menschenhassenden Faschist:innen, alles wegnehmen, was ihnen lieb und teuer ist. Restlos, alles.

Mir geht es nicht darum mit dem Heimatbegriff zu kampagnisieren oder ihn auf irgendwelchen Stickern zu platzieren. Wer ihn fallen lässt, soll ihn fallen lassen. Ich plädiere nicht dafür, dass jetzt alle über Heimat sprechen sollen, nein, für mich ist es auch okay, wenn von Zuhause, Daheim, Zugehörigkeit, Bezugsort und -gruppe die Rede ist. Mir geht es nicht darum gemeinsame Sache mit Bürgerlichen zu machen. Aber ich will etwas für mich zurückholen, das sich mir als Migrant:in sowieso anders zeigt, als den gewöhnlichen Nationalist:innen.

Das Kümmern

Nicht verteidigen, sondern teilen.

Nicht ausbeuten, sondern kümmern.

Wenn, dann will ich einen Heimatbegriff, der nicht nur maximal offen ist – alle von hier, sind von hier; es gibt nicht nur eine Heimat, sondern vielfache – sondern in dessen Zentrum vor allem eins steht: das Kümmern. Es geht nicht um eine genetische Disposition, die auf angeblich natürliche Art und Weise mit dem Mikrobiom im Boden verbunden ist. Es geht nicht um Schutz und Verteidigung vor dem Außen, sondern um Gastfreundschaft und Inklusivität. Es geht nicht um eine fantasierte Identifikation mit tausenden Quadratmetern Land und einer Nation, sondern der Zugehörigkeit zu einem Ort, einer Umgebung, die real existiert und die tatsächlich mitgestaltet werden kann.

Ich frage mich, was ist dieses politische Projekt, von dem immer die Rede ist und das wir den herrschenden Verhältnissen und anti-demokratischen Playern auf dem politischen Terrain entgegen stellen? Es ist vielleicht keines, dass den Begriff der Heimat so zentral setzt, aber doch die Idee der Zugehörigkeit, des Gemeinsinns, der Ökologie. Das herein bittet, statt ausschließt. Der inneren und äußeren Pluralität. Des Gleichgewichts. Schließlich haben wir viele Heimaten in uns.

Du bist nicht allein

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Sujet Politik

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