Ich brauche Ordnung!
Mit Schlagbohrer, Wasserwaage und Dübeln ging ich zu Werke. Ein Regal wollte ich in unsere Garderobennische einbauen. Für mehr Ordnung im engen Eingangsbereich. Klobige Taschen und überdimensional gestrickte Schultertücher sollen hier ihr neues Zuhause finden.
Mir fehlte nur noch ein Akkuschrauber. Also auf zum Nachbarn. Der ist schneller als Amazon. Birnenschnaps und Ratschläge bekam ich obendrein. Leicht angetüddelt wankte ich nach Hause mit dem Akkuschrauber in der Hand. In der Dämmerung hätte man ihn auch für eine Schusswaffe halten können. Ein paar Mal ließ ich den Schrauber aufjaulen. Ich kam mir verwegen vor. Wie Billy the Kid. Oder Lucky Luke.
(Hab’s dann doch noch geschafft!)
Ordentlich bewaffnet machte ich mich ans Werk. Ups, Brett zu kurz zugeschnitten… Egal, sieht ja eh keiner unter den vielen Mänteln. Loch in die Wand bohren (und dabei Todesängste ausstehen, weil ich immer nur darauf warte, ein Stromkabel zu erwischen), Dübel reinklopfen, Leiste anschrauben……Der professionelle Akkuschrauber vom Nachbarn brummte und brummte. Und dann brummte er plötzlich nicht mehr. Der kalte Schweiß brach mir aus. Er hatte doch einen frisch geladenen Akku eingesetzt! Der kann doch nicht nach fünf Minuten schon leer sein.
Ich habe ihn geschrottet! Und das Projekt ist nur halb fertig! Wie sieht das denn aus? Wie gewollt und mal wieder nicht gekonnt.
Ich ging in die Küche, aß drei Haferflocken-Rosinen-Cookies (Meine Tochter backt, wenn sie dem Lernen ausweichen will. Deshalb ist die Kuchenplatte immer gut gefüllt.) Und spülte sie mit einem lauwarmen Kaffee runter.
Hätten wir uns doch nie getrennt. Du bist ohne Mann aufgeschmissen, schimpfte ich mit mir. Die Feministin in mir hielt tapfer dagegen: Dafür kannst du Ecken ganz toll auf Gehrung sägen!
Anstatt mich wieder an die lächerlich einfache Schreinerarbeit zu machen, klappte ich meinen Laptop auf und hier bin ich nun.
Stell dir vor, es sind nur noch anderthalb Wochen bis zu meinem offiziellen Neustart als Redaktionsassistentin! Deshalb rotiere ich hier mit Projekten und Akkuschrauber. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, dass dieser Haushalt bis zum Stichtag von Kopf bis Fuß geordnet sein soll. So dass keine unerledigten Projekte (und Steuererklärungen….hüstel) an mir zerren.
Aus diesem Grund hatte ich mir Hilfe über die Plattform Workaway (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) geholt. Zwei Wochen wohnte Maya bei uns, eine junge Engländerin. Sie erledigte den Rückschnitt im Garten, der seit zwei Jahren überfällig war. Sie putzte alle Fenster, vom Keller bis zum Dachboden. Ich weinte vor Glück. Gemeinsam strichen wir die Küche. Stapelten Feuerholz in Rekordgeschwindigkeit. Sie beriet mich in Sachen Blogdesign und SEO. Und schoss ein paar neue Portraits von mir. Nie, nie, nie hätte ich das im Alleingang geschafft. Wir kochten gemeinsam, ich brachte ihr bei, deutsches Vollkornbrot zu backen und sie bastelte uns aus Lust am Schaffen eine Puppe. Als ich an einem Samstagmittag von einem Frauenfrühstück heimkam, bei dem ich einen Vortrag gehalten hatte, stand sie in der Küche, hörte Punkrock und rührte in zwei Töpfen. „Du hast doch heute frei!“ „Ja, aber ich wollte für dich kochen.“ Tränen schossen mir in die Augen. Schon sehr lange hat mir niemand mehr nach einem anstrengenden Tag ein köstliches Essen zubereitet.
Trotz unserer Unterschiede, entstand schnell eine tiefe Verbindung. Das Haus war belebter als sonst, fröhlicher, heller. Der Abschied fiel uns beiden sehr schwer.
Für mich als alleinstehende Frau sind diese jungen Traveller, die sich mit Arbeit Kost und Logis verdienen, ein absoluter Segen. So war unser Haus von Anfang an gedacht. Als ein offener Ort, an dem Menschen Liebe und Sicherheit erfahren. Wo sie sich fallen lassen können. Wo sie ihrer Kreativität Ausdruck verleihen. Ich will die Türen weiterhin offenhalten, auch wenn wir keine klassische Familie mehr sind. Jetzt erst recht, lautet meine Devise. Und aus diesem Grund kommt im November ein temporäres Familienmitglied dazu: Eine Austauschschülerin aus Australien. Vegemite und Didgeridoo stehen schon bereit.
Meine Liste ist noch lange nicht abgearbeitet. Aber ich habe ja noch ein bisschen Zeit. Ich miste Fotoalben aus (wirklich: wer sind all diese Leute, die ich auf Partys in meinen 20ern fotografiert habe??). Und meine digitalen Foto-Ordner. Die Kabel-Schublade! Und vielleicht schaffe ich es heute noch, alle meine Daten auf einer externen Festplatte zu sichern. Es fühlt sich gut an. Weg mit dem Ballast. Weg. Mein Neuanfang soll leicht sein.
Und zwischendrin, wenn ich Pause mache, auf der Terrasse mit einer Tasse Tee stehe, den Oktobergarten betrachte, höre ich eine mahnende, leicht spöttische Stimme: “Du machst dir viel zu viel Stress! Du musst deinen Haushalt viel entspannter sehen.” Ha! Vielleicht. Aber ich habe beschlossen, meinem Naturell zu folgen. Das ist Gott sei Dank nicht mehr so perfektionistisch wie mit 35, aber es fühlt sich in einer Grundordnung am wohlsten und kreativsten.
Nachher gehe ich zum Nachbarn. The walk of shame.
Ihm den kaputten Akkuschrauber zurückbringen, mit dem Angebot ihm einen neuen zu kaufen. Vielleicht kann ich ihn überreden, mein Projekt zu Ende zu bringen. Möglich wär‘s. Ganz sicher ist jedoch, dass ich noch einen Birnenbrand bekomme.