Chancen, Risiken und Solidarität.
#02 Die Verteidigung der Altersvorsorge
Dies ist die zweite Ausgabe von 4. Mio+ , dem wöchentlichen Briefing von Cathi Bruns. Diese Woche:
Warum für Selbstständige die eigenverantwortliche Altersvorsorge so wichtig ist
Was die Ampel-Regierung da für Selbstständige vor hat
Ein paar Fragen dazu an den FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Teutrine
Gedanken zu Risiko, Chancen & Solidarität
Und wie Eigeninitiative zu Unternehmertum wird
Hi.
Nachdem es letzte Woche (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) um den Stress mit der „Scheinselbstständigkeit” ging, beschäftigt mich diese Woche ein anderes Gewinnerthema: Die Rente. Oder besser gesagt, die geplante Vorsorgepflicht für Selbstständige. 🫠
Mir ist bewusst, dass diese Themen unternehmerisch nicht begeistern, aber sowohl die Fragen rund um die Statusfeststellung, als auch hinsichtlich der Altersvorsorge sind Angelegenheiten, die Selbstständige zu Gewinnerthemen machen müssen. Denn sonst bestimmen praxisfremde Bürokraten und Fans der Rentenversicherung die Debatte. Einmischen ist also angesagt.
Da die Ampelpläne zur Rente derzeit wieder diskutiert werden, mehren sich auch die Medienberichte. Im Rentenpaket II ist das Ziel Selbstständige in die obligatorische Absicherung einzubeziehen nicht enthalten, da dazu noch ein eigener Entwurf kommen soll. Trotzdem liest man schon die Überschriften von einer geplanten „Rentenversicherungspflicht”. Und bekommt bei mancher Argumentation den Eindruck, Selbstständige grundsätzlich in die Rentenversicherung einzubeziehen, sei eine Frage der Gerechtigkeit. Oder gar unausweichlich - nicht nur zu ihrer eigenen Absicherung, sondern vor allem zum Schutze der Allgemeinheit.
Höchste Zeit, das wir das klären.
Warum muss uns das beschäftigen?
Finanzielle Handlungsfähigkeit und die eigenverantwortliche Altersvorsorge sind wichtige Bestandteile jedes unternehmerischen Arbeitsmodells.
Selbstständigkeit sollte im Idealfall ein Aufstiegskonzept sein. Das dies nicht immer der Fall ist, ist unstrittig. Wer mittelfristig nicht in der Lage ist vorzusorgen, hat kein funktionierendes Geschäftskonzept. Und das braucht eine Gesellschaft nicht honorieren. Der Markt muss regeln. Sehr wohl honoriert werden sollte jedoch, wenn Menschen unternehmerisch tätig werden und den persönlichen Aufbruch wagen, um der Gesellschaft mit ihren Ideen und Leistungen ein Angebot zu machen.
Es ist keine gute Kultur, in der diese Ambition politisch als Ausbruch aus dem Solidarsystem abgewertet und gesellschaftlich als unsolidarisch verurteilt wird.
Wenn teils mit irreführenden Zahlen, falschen Schlüssen und undifferenzierten Behauptungen operiert wird um plausibel zu machen, dass Selbstständige ins Angestelltensystem gehören, lasse ich das nicht unkommentiert. Altersvorsorge ist essenziell, aber sie funktioniert für die Vielfalt der Selbstständigkeit anders, als in der Gleichförmigkeit der Festanstellung.
Diese Einsicht gilt es zu verteidigen.
Die Debatte um eine obligatorische Altersabsicherung für Selbstständige ist nicht neu. Schon einige Vorgängerregierungen hätten Selbstständige gern in der Rentenversicherung verpflichtet. Auch die aktuelle Ampelregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP hat diesbezügliche Vorhaben in ihrem Koalitionsvertrag konkretisiert.
Dort heißt es:
„Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen. Selbstständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sofern sie nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs ein privates Vorsorgeprodukt wählen. Dieses muss insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen. Bei jeder Gründung gilt jeweils eine Karenzzeit von zwei Jahren.” (Quelle: Koalitionsvertrag 2021-2025, SPD-Bündnis 90/Die Grünen-FDP, S. 59 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))
So weit so gut. Nur, außer der gesetzlichen Rentenversicherung und der Rürup-Rente, gibt es bisher eigentlich keine gängigen insolvenz- und pfändungssicheren Möglichkeiten vorzusorgen. Die „Fokusgruppen private Altersvorsorge” hat daher Reformempfehlungen vorgelegt, die man sich hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)ansehen kann.
Problemgruppe Selbstständige? Wer denn genau?
Auch wenn die soziale Absicherung der Selbstständigen unübersichtlich ist, so kann man feststellen, dass viele Berufsgruppen bereits für die Absicherung im Alter irgendwo beitragspflichtig sind:
Alle aus den kammerfähigen freien Berufen über ihre berufsständischen Versorgungswerke (Ärzte, Anwälte, Steuerberater etc)
Alle anderen, die als Freiberufler/innen selbstständig in Lehr- und Erziehungsberufen oder in der Pflege tätig sind und auch Hebammen
Künstlerisch Tätige, Kreative und Publizisten über die KSK
Handwerklich Tätige (bei zulassungspflichtigem Handwerk)
Soloselbstständige, die als „arbeitnehmerähnlich” gelten
Seelotsen und Küstenfischer und -schiffer 🦭
Selbstständige in der Landwirtschaft in der SVLFG
Das Arbeitsministerium schätzt, dass ca. 29 Prozent (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) der Selbstständigen pflichtversichert sind. Man könnte sagen, das ist zu wenig. Aber zu wenig wofür?
Ohne Rentenversicherung direkt in die Altersarmut?
Das glauben hauptsächlich Politiker. Aber laut einem DIW-Bericht (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sind zwar wenig Selbstständige über die Deutsche Rentenversicherung abgesichert, der Großteil sorgt jedoch anderweitig vor, bzw. verfügt über Vermögen:
„Von denjenigen Personen, die nicht an einer gesetzlichen Rentenversicherung teilnehmen, verfügen knapp zwei Drittel über Immobilien, Geld oder Anlagevermögen von mindestens 100 000 Euro, und etwa 40 Prozent sogar über ein Vermögen von mindestens 250 000 Euro.“ (DIW Wochenbericht 45/2016 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)).
Auch ganz aktuelle Zahlen vom IW Köln bestätigen:
„Investitionen am Kapitalmarkt und in Immobilien sowie private Ren-
ten- und Kapitallebensversicherungen stellen dabei das Fundament der Altersabsicherung vieler Selbstständiger. Bei knapp jeder selbstständigen Person basiert die Altersvorsorge auf Einkommen, Vermögen und Ansprüchen des Partners bzw. der Partnerin.”(Gutachten:Unternehmerisches Selbstverständnis von Selbstständigen in Deutschland: Tätigkeitsmerkmale, soziale Sicherung und Einstellungen. Juni 2024. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))
Die schon oben verlinkte Studie aus dem Arbeitsministerium zeigt:
„Geringere Einkommen oder stärkere Einkommensschwankungen können — auch im Hinblick auf die private Altersvorsorge — durch Ersparnisse oder Vermögensbestände ausgeglichen werden. Die monetären Vermögenswerte, die im Haushalt von Solo-Selbstständigen aus gesparten Einkommen aufgebaut werden, sind gegenüber denjenigen von Selbstständigen mit Beschäftigten geringer, jedoch recht vergleichbar mit denjenigen abhängig Beschäftigter. Solo-Selbstständige nehmen insgesamt eine mittlere Position zwischen Selbstständigen mit Beschäftigten und abhängig Beschäftigten ein, was die Struktur ihres gesamten Vermögensbesitzes angeht.“ (BMAS, Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland (Aktualisierung 2022) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Für viele Solos ist die selbstständige Tätigkeit nämlich wichtiger Hinzuverdienst, aber nicht alleiniges Haushaltseinkommen:
„Solo-Selbstständigkeit kennzeichnet neben einer hohen Teilzeitquote auch ein relativ geringes Einkommen. Wird jedoch die Haushaltssituation von Solo-Selbstständigen in niedrigen Einkommensklassen berücksichtigt, zeigt sich, dass deren Einkommen im Durchschnitt nur eine Nebeneinkunft in Ergänzung zu den vergleichsweise höheren Einkommen ihrer Partnerinnen und Partner darstellt. Gemessen am Nettoäquivalenzeinkommen – also unter Berücksichtigung aller im Haushalt lebender Personen – ist das verfügbare Haushaltseinkommen von Solo-Selbstständigen vergleichbar mit demjenigen von abhängig Beschäftigten (und in den unteren Einkommensklassen sogar etwas höher).” (ebd. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))
Glaubt man diesen Untersuchungen, ist nicht die Selbstständigkeit das Problem, sondern eine Trennung wäre eins. Bleibt als echte Risikogruppe: die tatsächlich versicherungsfreien Selbstständigen und von denen, die Soloselbstständigen, die zu wenig Einkommen erwirtschaften und davon besonders die, ohne Partner. Und deshalb sollen jetzt alle verarztet werden?
Wenn es nicht brennt, warum will Politik dann dauernd löschen? Risiko!
Um die Dringlichkeit einer Vorsorgepflicht zu betonen, wird bei Selbstständigen gern mit dem doppelt so hohen Risiko der Altersarmut argumentiert. Natürlich gibt es dieses Risiko.
Die Quote der ehemals Selbstständigen in Grundsicherung ab 65 Jahre ist verhältnismäßig hoch. Die starke Heterogenität der Selbstständigkeit bedeutet auch große Unterschiede hinsichtlich der Qualifikation und Einkommensverteilung. (Quelle: ASID 2019, S. 99 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)).
Allerdings besteht bei der Erhebung dieser Beweisquote eine gewisse Ungenauigkeit. Denn dort wird immer nur der letzte Erwerbsstatus erfasst. Heißt, wenn jemand der zB. lange arbeitslos war, sich kurz oder immer mal wieder in der Selbstständigkeit versucht hat, gilt er in der Statistik als Selbstständiger. Jemand, der über 40 Jahre gering verdienend angestellt war, und vor der Rente noch mal die Selbstständigkeit probiert, wird nach letzter beruflicher Stellung ebenfalls als Selbstständiger geführt. Und wenn jemand, der, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Festanstellung Fuß fasst, eine Notgründung versucht, sollte man das nicht negativ auslegen. Im Gegenteil. Trotzdem wird die Statistik es als Beweis für das selbstständige Ende im Grundsicherungsbezug festhalten. Dies nur als Hinweis.
In einem früheren Text (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)habe ich bereits betont:
„Altersarmut ist immer ein Problem der nicht auskömmlichen Erwerbstätigkeit, der Teilzeit (sofern der Gesamthaushalt dies nicht ausgleicht) und der erwerbsbiografischen Brüche. Auch Selbstständige können in Schwierigkeiten kommen, aber es ist kein selbstständigenspezifisches Phänomen und pauschal zu behaupten, Selbstständige wären im Alter nicht abgesichert, ist falsch.”
Der politische Eingriff in die selbstständige Altersvorsorge ist also sehr sorgsam abzuwägen.
Zu starke Belastung hemmt möglicherweise das ohnehin schon geringe Gründungsgeschehen. Belastet man Selbstständige, die bei geringen Einkommen langsam in die Selbstständigkeit hineinwachsen nun mit unflexiblen Rentenbeiträgen, kann man sich die Auswirkungen auf die Gründungstätigkeit leicht ausmalen. Teilzeit- und Nebenerwerbsgründungen erwirtschaften nicht sofort und nicht immer hohe Gewinne. Aber es sind zum Großteil Frauen, die sich so den Weg in die Selbstständigkeit bahnen. Sozialversicherungsbeiträge sollten nicht dazu zwingen, im alten Job bleiben zu müssen, die Selbstständigkeit nicht auszubauen oder wieder aufzugeben, bevor sie richtig angefangen hat.
Gar keine Regelungen zu treffen beinhaltet das Risiko, dass ein Teil der Soloselbstständigen im Alter auf staatliche Hilfe angewiesen sein könnte. Das Gegenteil von Selbstständigkeit.
Der Vergleich zu anderen Ländern, wie etwa Österreich oder der Schweiz, in denen Selbstständige obligatorisch in die Säulen der gesetzlichen Alterssicherung einbezogen sind, liegt nahe. Aber wenn man den Ländervergleich macht, dann muss man sich stets das Gesamtbild ansehen: Wie ist die Belastung aus Steuern und Sozialabgaben insgesamt? Verschiedene Länder haben nicht nur unterschiedliche soziale Absicherung, sondern oft auch unterschiedliche Rahmenbedingungen, Regelungen zur Beitragsgerechtigkeit und auch ganz verschiedene Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des Staates.
Was genau die Ampel vor hat und wie es mit der Vorsorgepflicht nun weiter geht, dazu habe ich Jens Teutrine befragt. Jens ist FDP-Bundestagsabgeordneter und Arbeitsmarktpolitiker.
Lieber Jens Teutrine,
will die Ampel Selbstständige dazu verpflichten, in die Rentenversicherung einzuzahlen?
Teutrine: Um Himmels Willen, no way! Das wünschen sich vielleicht SPD und Grüne, aber mit uns als FDP ist das nicht zu machen und steht auch nicht im Koalitionsvertrag. Unserem liberalen Verständnis von Selbstständigkeit - eigenverantwortlich, flexibel und modern - entspricht das nicht. Höchstens geht es um eine Altersvorsorgepflicht für neue Selbstständige mit maximaler Wahlfreiheit bezüglich privater Vorsorge statt einem Zwang hin zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Was genau ändert sich für Gründungswillige und für bereits Selbstständige, wenn die geplanten Regelungen zur Vorsorgepflicht greifen?
Teutrine: Noch gibt es gar keinen Gesetzesentwurf. Im Koalitionsvertrag geht es nur um neue Selbstständige, ergo wären alle anderen schon mal von einer Altersvorsorgepflicht nicht betroffen. Bei jeder Gründung soll auch eine Karenzzeit von zwei Jahren gelten, in welcher man von der Regelung befreit wäre. Neue Selbstständige wären nur in der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn sie nicht für eine private Vorsorge oberhalb des Grundsicherungsniveaus sorgen. Dieses Verfahren muss einfach und unbürokratisch möglich sein.
Damit das alles überhaupt pfändungs- und insolvenzsicher funktioniert, braucht es allerdings den gesetzlichen Rahmen für Altersvorsorge-Depots, mit denen man für das Alter beispielsweise mit ETFs vorsorgt, aber in der Regel erst im Alter über das Ersparte verfügen kann. Im Gegenzug fördert der Staat diese Form des Sparens steuerlich. Damit können die Selbstständigen, die ohnehin zum allergrößten Teil bereits privat vorsorgen, ihre Altersvorsorge besser schützen.
Können Selbstständige sich auf die versprochene „Wahlfreiheit” aus dem Koalitionsvertrag verlassen?
Teutrine: Ohne eine echte Wahlfreiheit kann es keine Altersvorsorgepflicht geben. Einen Zwang hin zur gesetzlichen Rentenversicherung durch die Hintertür ist mit uns nicht zu machen.
Wenn die Altersvorsorge für alle Selbstständigen in Zukunft obligatorisch sein soll, was bedeutet das für das Statusfeststellungsverfahren der Rentenversicherung?
Teutrine: Das aktuelle Statusfeststellungsverfahren ist eine offene Angriffserklärung gegen Selbstständigkeit und gehört generalüberholt. Es braucht klare und eindeutige gesetzliche Positivkriterien, mit denen man rechtssicher in seiner Selbstständigkeit ist.
Studien belegen, Selbstständige sind nicht die Gruppe von Erwerbstätigen, die besonders von Altersarmut betroffen sind, sie sorgen mehrheitlich eigenverantwortlich vor. Warum besteht überhaupt der Bedarf hier politisch aktiv zu werden?
Teutrine: Der ganze Heckmeck rund um das Statusfeststellungsverfahren wird veranstaltet, um neue Beitragszahler zu generieren, die Rentenkasse zu füllen und die fehlende Zukunftsfähigkeit des Rentensystems zu kaschieren. Mit der Altersvorsorgepflicht ist das Thema abgehakt und die Argumente für eine Blockade der grundlegenden Reform des Statusfeststellungsverfahrens bröckeln.
Vielen Dank für das Interview, Jens Teutrine.
..Ok, und jetzt?
Eine Vorsorgepflicht ist ein Kompromiss, dem man mit Gelassenheit begegnen kann. Eine Rentenversicherungspflicht ist damit hoffentlich vom Tisch. Auch wenn sie in der öffentlichen Debatte nicht tot zu kriegen ist und der nötige gesetzliche Rahmen für zB. ein Vorsorge-Depot noch aussteht.
Was mich an der Rentendebatte stört, ist - anders als im Gespräch mit Jens Teutrine - der Hang am Fortschritt von gestern festhalten zu wollen, anstatt der Vielfalt der neuen Arbeits- und Lebensmodelle, auch neue Absicherungsmöglichkeiten zuzugestehen.
Zwar können sich auch die größten Fans der Normalarbeit und Anhänger einer „Einheitsvorsorge für alle” sich meinst noch das Zugeständnis abringen, dass für eine funktionierende Wirtschaft ein paar Selbstständige und Unternehmertum an sich schon irgendwie gebraucht werden. Trotzdem wird oft gegen individuelle Lösungen argumentiert und Gründe gefunden, warum Wahlfreiheit schädlich für die Allgemeinheit und daher abzulehnen ist.
Dieser Argumentationslinie sollten wir Selbstständige unsere Lebensrealität entgegenhalten. Zur Selbstständigkeit gehört die Wahlfreiheit. Die wenigsten können und wollen die Kosten für eine unflexible und politische Rente samt steigender Sozialkosten auf die Preise aufzuschlagen, schwankende Einkommen jeden Monat ausgleichen und zusätzlich trotzdem noch privat vorsorgen. Rücklagen bilden, Investieren können und Altersvorsorge betreiben funktioniert dann, wenn man die Art der Vorsorge wählen kann, die zum unternehmerischen Alltag und zur Leistungsfähigkeit passt.
Wenn wir uns einig sind, dass eine Gesellschaft und dynamische Volkswirtschaft Selbstständige braucht, müssen sich ziemlich viele von dem Denken verabschieden, dass sie der vertrauten Gleichförmigkeit unterzuordnen sind und generell aufhören, Selbstständigkeit als Fehler im System zu begreifen, bei dem das bestehende System der Maßstab sein soll.
Eins noch: Selbstständige sichern sich deswegen seltener gesetzlich ab, weil es für sie weniger gut funktioniert. Mit fehlender Solidarität zu argumentieren, hat keine Substanz, wenn nicht im Gegenzug auch noch ein Rest ideeller Support für Selbstständige vorhanden ist. Ich meine damit nicht irgendwelche gut gemeinten Förderprogramme. Sondern ein Verständnis dafür, dass selbst eine Arbeitsgesellschaft, in der sich die Mehrheit für die Arbeit als Absicherungsmodell entscheidet, es auch ein paar Leute braucht, die ihre Arbeit als Gestaltungsmittel verstehen und dafür eine gewisse Fallhöhe in Kauf nehmen. Denn das eine gibt’s nicht ohne das andere.
Solidarität ist bekanntlich keine Einbahnstraße. Und erstrecht kein Zwang.
Wichtiger ist aber die Frage, wie man Deutschland tatsächlich attraktiver für die Selbstständigkeit macht. Denn während das Risiko der Altersarmut jedem bekannt ist, reden wir zu wenig darüber, dass die große Mehrheit der Einkommensmillionäre unternehmerisch tätig ist und durch Einkünfte aus Gewerbebetrieb (58 Prozent) oder selbstständiger Arbeit (16,2 Prozent) zu Millionären wurde. Nicht-Selbstständige machen laut Statistischem Bundesamt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) 19,6 Prozent der selbst verdienten Millionäre aus. 🫰
Schon 2019 habe ich geschrieben (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre):
„Passende Sozialversicherungsangebote könnten zu einer höheren Bereitschaft führen, sich für die Selbstständigkeit zu entscheiden und sich damit positiv auf das Gründungsgeschehen auswirken. Besser, als mit Steuergeld zu fördern, ist es, Vertrauen in den unternehmerischen Lebensentwurf zu signalisieren und dafür zu sorgen, dass Selbstständigkeit sozialstaatlich nicht bestraft wird.”
Risiken und Chancen
Noch das letzte Risiko aus dem unternehmerischen Lebensentwurf nehmen zu wollen, hört sich für alle, die mit Selbstständigkeit nichts am Hut haben sicher reizvoll an, es ist aus meiner Sicht aber aus verschiedenen Gründen falsch.
Denn es macht etwas mit einem, wenn man die Verantwortung für sich selbst wirklich trägt. Wenn man sich mit seinen Risiken und den Möglichkeiten sie abzusichern wirklich auseinandersetzen muss. Es führt zu anderen Entscheidungen, es zwingt zu besseren Geschäftskonzepten, es bewirkt, dass man sich anstrengen muss, unternehmerisches Selbstbewusstsein bildet und sich eben nicht auf den Staat als Problemlöser verlässt.
Es gibt keine Selbstständigkeit ohne diese individuelle Verantwortung für die eigene Arbeit und Zukunft. Je besser wir damit umgehen können und unsere Risiken selbst absichern, desto stabiler ist die Kultur der Selbstständigkeit. Niemand gründet mit dem Ziel dem Staat auf der Tasche zu liegen. Und was die Aufgabe angeht, sozialstaatliche Errungenschaften für alle mitzufinanzieren und in der Not auch selbst in Anspruch nehmen zu können, so sollten wir gemeinsam anpacken statt gegeneinander aufrechnen. Entweder wir haben einen Sozialstaat, oder nicht.
Das wir diese Aufgabe auch übernehmen, wenn wir uns für die Selbstständigkeit entscheiden, sollte klar sein.
Bei der Rente kommt jetzt Bewegung ins Spiel, aber was ist mit den restlichen Ankündigungen, die Selbstständige betreffen?
Was ich mir beim Antritt der Ampel-Koalition gewünscht habe, kann man in meinem Kommentar für die welt nachlesen. Und es gilt weiterhin.
„Ein Land mit Regelungen und Gesetzen,
die Selbstständigen das Leben schwer machen,
wird niemals modern sein. Aufbruch oder gar Fortschritt, liebe Koalierende, ist ohne Selbstständige nicht zu haben.”
Die Frage, die wir klären müssen: Was hält sie auf? Die Selbstständigenquote liegt bei 8,5 Prozent. (2022)
(S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)„Most of us have two lives. The life we live, and the unlived life within us. Between the two stands Resistance.” ―Steven Pressfield
Und weil wir nun so viel darüber gesprochen haben, wie eine unselbstständige Arbeitskultur und übertriebene Versicherungsmentalität allen den letzten Gründungsnerv raubt, hier das Antidot.
Zugegeben: Entrepreneurship ist ein doofes Wort, aber eine ganz tolle Art unternehmerisch tätig zu sein. Kennt hier nur keiner! Der maue Gründungs-Drive bringt mit sich, dass vielen die unternehmerischen Vorbilder im Umfeld fehlen, um selbst loszulegen.
Dabei ist der erste Schritt um unternehmerisch erfolgreich sein zu können, einfach etwas zu machen. Wie aus Eigeninitiative Unternehmertum wird, habe ich in meiner Medium Publikation aufgeschrieben. Ich bin überzeugt, es ist nicht die Bürokratie und auch nicht die Politik, die uns aufhalten, sondern die fehlende Kultur der Selbstständigkeit. Ein Text für alle, die trotzdem aufbrechen wollen:
Was gibt diese Woche Schub?
Auch wenn die Gründungstätigkeit insgesamt weiterhin auf niedrigem Niveau bleibt, so sind es Frauen, die durch ihre unternehmerischen Ambitionen dafür sorgen, dass die Statistik nicht völlig abschmiert. Ihr Anteil stieg laut dem neuen KfW-Gründungsmonitor (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auf 44 Prozent.
In meiner ehrenamtlichen Mentorentätigkeit bei Hekaton Berlin (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) durfte ich in den letzten Wochen eindrucksvolle Gründerinnen und Gründer kennenlernen, die mit ihren unternehmerischen Ideen die Welt ein Stückchen besser machen wollen. Zu begleiten, wie engagiert junge Leute sich gesellschaftlichen Problemen annehmen, bestärkt in der Mission Selbstständigkeit selbstverständlich zu machen. It works both ways!
Bemerkenswert ist immer wieder, wie die Rolle unternehmerischer Vorbilder sich auf die Gründungstätigkeit auswirkt. Wie ebenfalls im aktuellen KfW-Gründungsmonitor (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) deutlich wird, fällt der Schritt zur Gründung leichter, wenn das unternehmerische Umfeld die Selbstständigkeit normalisiert. Ich sehe ein To-Do hier! Sichtbarkeit von modernem Unternehmertum ist der Schlüssel zu mehr von uns - wenn das kein Schub für dieses Projekt gibt! Bitte teilen!
Jeder braucht jemanden, der an ihn glaubt: Ich glaube an die Selbstständigkeit. In diesem Sinne - nicht aufhalten lassen!
Bis nächste Woche!
Cathi ✌️
🎈 Diese Ausgabe hat dir gefallen? Dann leite sie gerne an alle aus deinem Netzwerk weiter. Selbstständigkeit braucht Verstärkung. Hier kann jeder die Briefings kostenlos abonnieren (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
💡 Themenwünsche und Feedback? Einfach auf diesen Newsletter antworten.
🤝 Kooperationsanfrage? Her damit! (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Ich liebe gute Zusammenarbeit.
Diese Arbeit braucht viel Herzblut, Zeit und Kohlenhydrate. Mein Engagement ist sicher - auch wenn nicht jeder Handschlag bezahlt wird. Die Beiträge hier bleiben kostenlos zugänglich - für alle. Aber es hilft, wenn meine Arbeit für die freie Arbeit unterstützt wird. Durch das Teilen im eigenen Netzwerk und/oder über bezahlte Mitgliedschaften. Je mehr Mitgliedschaften, desto mehr Zeit habe ich für aufwendigere Recherchen und zur Weiterentwicklung dieses Formats. 1000 Dank!
(S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)