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WeinLetter #83: Der deutsche Wein-Exportboom nach Russland - mitten im Ukrainekrieg! Why?

Liebe Wein-Freund:in,

Du liest den WeinLetter #83. Heute gibt’s: Kein Klima! Ich schwör! Gut, ich hab’s vielleicht ein bisserl übertrieben in den vergangenen Wochen und Monaten. Da ging’s um den Wein-Frost-Frust als Folge des Klimawandels (Opens in a new window). Da ging’s um den Ernte-Gau 2023 in Europa (Opens in a new window). Da gab’s das große PIWI-Special (Opens in a new window) in zwei Teilen. Nunja, das ist das relevanteste Thema in der Weinbranche. Wer das nicht kapiert hat, wird absehbar keinen Wein mehr produzieren. Aber okay: diesmal nix Klima.

Du liest also den WeinLetter #83. Heute gibt’s: Krieg. Echt jetzt? Ja. Der WeinLetter ist kein Schnullibulli-Ponyhof. Der WeinLetter ist die gesellschaftspolitischste Weinpublikation Deutschlands. Und da werden dann auch ethische Fragen erörtert wie: Müssen deustche Winzer:innen moralisch sein, wenn Putins Russland die Ukraine überfällt? Vor gut zwei Jahren habe ich das im WeinLetter #30 Deutscher Wein und Putins Krieg (Opens in a new window) schon thematisiert. Aber jetzt stellt sich die Frage nochmal neu. Denn es gibt harte Zahlen, die mir in den Exportstatistiken aufgefallen sind, in der Öffentlichkeit aber noch gar nicht verhandelt wurden: Wein-Deutschland hat seinen Export nach Russland während des jetzt mehr als zwei Jahre andauernden Ukraine-Feldzugs extrem gesteigert. Russland ist von Platz 16 auf Platz 8 als Absatzmarkt für deutsche Weine vorgerückt. Die Absatzzahlen stiegen von 2021 auf 2023 auf sagenhafte 217 Prozent. Profitiert die deutsche Weinbranche am Ende sogar vom Ukrainekrieg? Hier gibt’s den Report mit allen Fakten und den Gründen! +++ Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window) Aber vor allem: 

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

Weinregal mit Sekt in einem Supermarkt in Moskau

“Bitte bestraft uns nicht”: Weinregal in einem Moskauer Supermarkt FOTO: OLGA KORICA

Putins Krieg und das deutsche Wein-Wunder in Russland

von Thilo Knott

Darf man als Winzerin oder Winzer noch Geschäfte mit Russland machen? Johannes Selbach ist gerade zurück von einer US-Reise, als ich ihm die Frage stelle. Er war im Rockefeller Center an der 5th Avenue. Im „Naro“, einem koreanischen Top-Restaurant, hat er dem Staff ein Briefing zu seinen Weinen gegeben. Asiatische Küche und deutscher Riesling: Sie schenken in New York sehr gerne und oft die Rieslinge des Weinguts Selbach-Oster aus.

„Seit Kriegsbeginn vor mehr als zwei Jahren setze ich mich mit der Frage auseinander“, sagt Johannes Selbach. „Das letzte Mal sehr intensiv nach dem Tod von Alexei Nawalny.“ Rausgehen aus dem Russland-Geschäft? Das erste Mal, als sich direkt nach dem Russland-Angriff auf die Ukraine die Frage stellte, hat er eine Antwort gefunden: Er hat spontan zwei Fässer Solidaritäts-Riesling gemacht und den Erlös – fast 50.000 Euro – für die Ukraine gespendet.

Er spendet für die Ukraine und betreibt das Russland-Geschäft weiter? Sein Umsatz mit Russland habe sich gerade mal so gehalten, sagt er. Die USA sind da ein anderer, viel größerer Umsatzposten. Aber er hat ein Argument, das noch niemand umgeworfen hat: Er führt das Russland-Geschäft weiter – aus Solidarität mit seinen Weinimporteuren in Russland. Sie sagen ihm immer: „Das ist nicht unser Krieg. Bitte bestraft uns nicht.“ Er kenne seine Weinhändler vor Ort jetzt seit 20 Jahren. „Sollen wir sie bestrafen für etwas, für das sie gar nicht sind?“ Es ist eine rhetorische Frage.

Barbara und Johannes Selbach vom Weingut Selbach-Oster stehen mit einer Weinflasche in ihrem Weinberg

“Bitte bestraft uns nicht”: Barbara und Johannes Selbach vom Weingut Selbach-Oster FOTO: WEINGUT SELBACH-OSTER

Ob sich alle Winzer:innen so auseinandersetzen mit der gesellschaftspolitischen Dimension ihres Tuns wie Johannes Selbach? Oder überfrachtet das nicht das Geschäft, das da simpel heißt: Ich produziere Wein und verkaufe dieses Lebensmittel an Menschen, die es mögen?

Fakt ist: In einem national wie international schrumpfenden Gesamtmarkt für deutsche Weine hat sich das Russland-Geschäft deutscher Weinbaubetriebe während des Ukraine-Feldzugs um fast 110 Prozent gesteigert. 2021 waren es noch gerade mal 6,9 Millionen Euro Umsatz. 2023 hingegen 15 Millionen Euro!

Was sind die Gründe für diese immense Steigerung? Hier kommen Antworten auf die wichtigsten Fragen:

1. Wie hat sich der Export deutscher Weine nach Russland seit Putins Angriffskrieg entwickelt? 

Der Export deutschen Weins nach Russland hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Hier ist die Aufschlüsselung von 2021 bis 2023 

  • 2021: Deutschland exportiert 29.968 Hektoliter nach Russland im Wert von 6,905 Millionen Euro. Das ist ein Literpreis von 2,30 Euro. Das war vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, den Wladimir Putin im Februar 2022 startete. 

  • 2022: Deutschland exportiert hier schon 56.745 Hektoliter nach Russland im Wert von 12,931 Millionen Euro. Eine Steigerung bei beiden Werten um fast 90 Prozent. Nur der Literpreis sinkt um 2 Cent auf 2,28 Euro. 

  • 2023: Das ist das Rekordjahr. Russland nimmt der deutschen Weinbranche jetzt 59.000 Hektoliter ab im Wert von 15 Millionen Euro – bei einem Literflaschenpreis von jetzt 2,54 Euro. 

Binnen zwei Jahren rückt Russland gemessen am Umsatz von Platz 15 auf Rang 8 und vergrößert die Relevanz für die deutsche Weinwirtschaft. Russland ist damit auch der Markt, der die größte Veränderung aufweist. Im Zeitraum 2021 bis 2023 belegen relativ stabil im Umsatz die Länder USA (je 63 bis 65,3 Millionen Euro), Norwegen (zwischen 33,6 und 35 Millionen Euro) sowie die Niederlande (28,2 bis 33 Millionen Euro) die Plätze 1 bis 3. Nur Russland liegt um 117 Prozent höher!  

2. Export nach Russland: Wie sieht es in anderen Branchen aus? 

Der immense Anstieg der deutschen Weinexporte nach Russland ist eine absolute Aussnahme – und erklärungsbedürftig. Denn der Handel mit Russland ist eigentlich regelrecht kollabiert, wie just der Business Insider Deutschland berichtete (Opens in a new window). Um 90 Prozent brachen im vergangenen Jahr die Importe aus Russland ein. Maßgeblich Rohstoffe, maßgeblich Erdgas. Die deutschen Exporte gingen 2023 immerhin um 39 Prozent zurück. Im Vergleich zum Vorkriegsjahr 2021 reduzierte sich der Export in Putins Reich damit um zwei Drittel. Die Weinbranche bildet hier also eher die Ausnahme mit seinen Wachstum von 2021 bis 2023. 

3. Aber sind die deutschen Winzer nicht auch von den Sanktionen gegen Russland betroffen? 

Jein. Im Februar 2022 hat die EU massive Sanktionen gegen Russland beschlossen. Sie erweiterten die Einschränkungen, die die EU schon nach der Annexion der Krim 2014 durch Russland beschlossen hatte. Welche Sanktionen wurden jetzt für bestimmte Güter verabredet (Opens in a new window)? Es gibt eine spezielle Regelung für Luxusgüter. Sie betrifft Autos, Uhren, Schmuck – und Wein. Hier sieht die EU eine Grenze von 300 Euro vor: Darüber dürfen keine Produkte an russische Kunden verkauft werden – darunter aber schon. Fragt sich jetzt, wie viele Weingüter, ja, wie viele Weinflaschen von dieser 300-Euro-Grenze überhaupt betroffen sind. Rieslinge von Egon Müller? Die berühmten Versteigerungsweine der Kategorie Beerenauslese, Trockenbeerenauslese? Im trockenen Riesling-Bereich gibt es nur das berühmte „Kirchenstück“ vom Pfälzer Weingut Bürklin-Wolf (Opens in a new window). Das dürften sie aber verschmerzen. Sie können die Nachfrage bei weitem nicht bedienen.  

Also dürften die Luxusgüter-Sanktionen schon eher Frankreich treffen: Mit den teuren Rothschild oder Petrus aus Bordeaux, die La Taches aus dem Burgund.  

4. Wie steht es um andere europäische Wein-Nationen und ihr Russland-Geschäft? 

Tatsächlich sind die deutschen Steigerungsraten während des Russland-Feldzuges schon ziemlich solitär. Doch Europas Weinbranche profitiert insgesamt von der Ausnahmesituation.  

Schon im ersten Kriegsjahr sind die europäischen Exporte nach Russland gestiegen. Das Branchenportal Wine-Searcher hatte Anfang 2023 berichtet, dass die EU im November 2022 Wein im Wert von 130,4 Millionen Euro nach Russland exportiert hat. Im November 2021, also vor dem Krieg, waren es noch 89 Millionen Euro.  

Zur Verteilung nach Ländern erklärte im November 2023 Maksim Chmora, Abteilungsleiter des russischen föderalen Zolldienstes: Der meiste Wein käme mit 30 Prozent aus Italien, gefolgt von Georgien (17 Prozent), Spanien (13), Frankreich (8) sowie Portugal. Deutschland ist nicht unter den Top 5. 

Chmora gab damals auch Zahlen für die ersten zehn Monate 2023 bekannt: Demnach seien die Weinexporte nach Russland in diesem Jahr lediglich noch um sechs Prozent gestiegen. Deutlich weniger als die Zahlen Deutschlands. 

Die Einschätzung und Überprüfung solcher Zahlen ist allerdings schwierig: Russlands Präsident Wladimir Putin hat russischen Wein- und Spirituosenunternehmen in den “grauen Markt” mit einbezogen. Dieser Parallel-Importmechanismus erlaubt es russischen Unternehmen, Waren aus dem Ausland auch ohne Zustimmung der Markeninhaber einzuführen und zu verkaufen.  

Es gibt Ausnahmen, für die es in Russland bergab ging: Frankreich. Im Krisenjahr 2023, in dem Flascher Mehltau die Ernte im Nachbarland stark malträtierte, sank der Weinexport von 12,3 Milliarden Euro auf 11,9 Milliarden Euro. Ein Minus von 3,4 Prozent. Die Exporte nach Russland sanken viel stärker um rund 52 Prozent auf sieben Millionen Euro.

Es gibt aber auch ähnliche Zuwachsraten für einzelne Länder wie in Deutschland: Der Österreichische Weinbauverband zum Beispiel sprach von Zuwächsen um 125 Prozent im ersten halben Jahr 2023.  

Russische Weinhandlung und Weinbar in Moskau

“Für die junge Generation ist Wein attraktiver geworden als Spirituosen”: Weinhandlung und Weinbar in Moskau FOTO: ANOUCHKA

5. Was sind die Gründe für das deutsche Wein-Export-Wunder nach Russland? 

Hier gibt es strukturelle wie Russland-spezifische Erklärungsansätze. Zunächst die Gründe, die sich aus den Exportzahlen ergeben:  

  • Die deutschen Winzer:innen erlösen prinzipiell mehr pro Flasche: Die deutsche Weinbranche hat 2023 zwar weniger Wein exportiert – aber den Umsatz generell erhöht. Laut Deutschem Weininstitut ist der Durchschnittserlös um 20 Cent auf 3,35 Euro pro Liter gestiegen. Entsprechend erhöhte sich der Exportwert um 4 Prozent auf 384 Millionen Euro.  4 Prozent erklären aber nur einen sehr kleinen Teil des Russland-Booms.

  • Die Sanktionsliste betrifft deutsche Weine per se nur bedingt – weil Deutschland eher nicht über ein Luxussegment verfügt. Betroffen sind vielmehr die teueren Bordeaux und Burgunder. Offensichtlich bezieht Russland vor allem billige Ware aus Deutschland. 2,54 Euro pro Literflasche ist der niedrigste Wert unter den Top 10 der deutschen Exportländer. 

Dann gibt es Trends in Russland selbst.  

  • Der veränderte Konsum der jüngeren Generation in Russland hat sich verändert - hin zum Wein. “Ein Anstieg des Weinkonsums in Russland hat sich schon vor rund zehn Jahren abgebahnt”, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. “Insbesondere für die junge Generation ist Wein seitdem attraktiver geworden als Spirituosen.”

  • Die gestiegene Nachfrage konnte die russische Weinbranche selbst nicht abdecken. Sagt Ernst Büscher. Für das DWI sei dies der Grund gewesen, eine Wines of Germany Vertretung in Moskau aufzubauen. “Ein Großteil der Exportzuwächse ist noch auf diese geleistete Aufbauarbeit zurückzuführen”, sagt Büscher. Die Wines of Germany Vertretung gibt es seit 2022 allerdings nicht mehr. Die deutsche Weinlobby hat sich wegen Putins Angriff aus Russland zurückgezogen und ihr Engagement dort eingestellt.

Ein Mann gießt einer Frau ein Glas Wein ein

“Geleistete Aufbauarbeit”: Eine Aufnahme von der "Riesling Week" in Moskau 2019 mit Tatjana Böhm, Leiterin der Vertretung "Wines of Germany" in der russischen Hauptstadt, Vladimir Glukhov von der Moskauer Gastrobar Cavina. 2022 hat sich das Deutsche Weininstitut aus Russland zurückgezogen FOTO: DWI

6. Welche deutschen Weine bevorzugen die russischen Konsument:innen?

“Es werden sowohl Basisweine als auch hochwertige Weine insbesondere für die Gastronomie exportiert”, sagt Ernst Büscher. Hier steht klassisch viel Riesling auf den Getränkekarten. Denn: “Im gehobenen Segment ist Riesling besonders stark gefragt, auch weil die asiatische Küche in Russland sehr populär ist, zu der Riesling ein gut passender Begleiter ist.”

7. Wer profitiert jetzt genau in der deutschen Weinbranche vom Russland-Boom? 

Kellereien, Genossenschaften, Weingüter: Das sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut über die Struktur der Exporteure. Vermutlich aber am meisten Großproduzenten. Denn: Russland gibt pro Liter exportierten Wein aus Deutschland nur 2,54 Euro aus. Bei 15 Millionen Euro Umsatz sind das 59.000 Hektoliter. Nur zum Vergleich: Mit China machen die Deutschen 19 Millionen Euro Umsatz. Sie liefern aber nur 38.000 Hektoliter Wein, da die Chinesen 5,05 Euro im Schnitt für den Liter zahlen. 

8. Ja oder Nein zu deutschem Wein für Russland: Was raten die deutschen Weinverbände? 

Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut sagt, dass die Betriebe in Anbetracht der “angespannten Situation auf dem deutschen Markt” die oftmals hohen Investitionen in die Geschäftsbeziehungen mit Russland nicht aufgeben wollten oder könnten. Wie Johannes Selbach sagt auch er: “Teilweise bestehen auch langjährige Weinlieferverträge mit russischen Importeuren.”

Was rät er jetzt? Diplomatisch formuliert er es so: “Mit der Beendigung unseres Engagements auf dem russischen Markt haben wir auch keine Empfehlungen mehr ausgesprochen, sich dort zu engagieren.”

Ja oder Nein zu Wein für Russland: Sollten die deutschen Winzer:innen ihre Exporte nach Russland angesichts des Ukrainekriegs stoppen? Was sagt ihr? Schreibt mir sehr gerne an weinletter@posteo.de

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