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Kumbaya, im Ernst

Adolphus Hailstork: Three Spirituals for Orchestra (2005)

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Abstraktes farbenfrohes Gemälde

Alma Woodsey Thomas (1891 – 1978): Alma's Flower Garden (Lizenz: CC BY-NC 2.0 (Öffnet in neuem Fenster))

Als Joe Biden 2021 von einem Gipfeltreffen mit Wladimir Putin zurückkommt, sagt er, es wäre kein “Kumbaya-Moment” gewesen. Das soll heißen: Wir sind uns nicht näher gekommen, we agree to disagree.

Kumbaya (oder kum ba yah) heißt in der Sprache der Gullah, einer kleinen afroamerikanischen ethnischen Community im Südosten der USA, “Komm hierher!”. Es ist eine Anrufung Gottes, eine Bitte um Hilfe. Es ist auch der Titel eines Spirituals, also eines christlichen Liedes in der afroamerikanischen Tradition. So klingt es:

https://youtu.be/tlGyu7l3KcU?feature=shared&t=62 (Öffnet in neuem Fenster)

Das Lied ist auch im deutschen Sprachraum nicht unbekannt. In Zürich erschien ein ökumenisches Gesangbuch, das nach diesem Spiritual benannt war:

Foto eines gelben ökumenischen Gessangbuchs mit dem Titel "Kumbaya"

Quelle: Booklooker (Öffnet in neuem Fenster)

Wenn Biden von einem Kumbaya-Moment spricht, ist es nur noch Spott, und tatsächlich ist das heute in den USA die gebräuchliche Verwendung (Öffnet in neuem Fenster) dieser Anrufung. Die übermäßige Nutzung als Pfadfinderlied hat das Spiritual seines Gehalts entleert. Wir nennen es kulturelle Aneignung.

Der afroamerikanische Komponist Adolphus Hailstork nahm Kumbaya 2005 noch ernst. Damals komponierte er die “Three Spirituals for Orchestra”. Kumbaya lieferte das Motiv für den mittleren der drei Sätze.

Das Englischhorn spielt das einfache Kumbaya-Thema (im Video unten bei 1:31), bevor es bei 2:46 von der Klarinette übernommen und mit Blue Notes (Öffnet in neuem Fenster) variiert wird. Zum Schluss spielen beide im Duett.

Bevor ich noch ein paar Sätze vor allem zum Englischhorn sage, höre dir die Musik erstmal an, es sind nur ein paar Minuten – schlichte, schöne Musik:

https://youtu.be/Qi7bMidk_UE?feature=shared&t=84 (Öffnet in neuem Fenster)

Hier ist das Stück im Streaming (Öffnet in neuem Fenster).

In dem Video kommt kein ganzes Orchester, sondern nur eine kleine Besetzung zum Einsatz. Aber man kann gut sehen, wie sich Englischhorn und Klarinette voneinander unterscheiden (achte mal auf die Mundstücke), vor allem aber, wie ähnlich sie einander sind. Denn das Englischhorn kommt nicht nur nicht aus England, sondern sieht auch nicht aus wie ein Horn. Beides sind Holzblasinstrumente. Das Englischhorn ist mit der Oboe verwandt, aber die endet unten mit einem Schalltrichter, das Englischhorn mit einem Knubbel, der allen Ernstes Liebesfuß genannt wird. Der sorgt zusammen mit dem geschwungenen Mundstück für die gedämpftere Klangfarbe des Englischhorns. Seit der Romantik ist das Instrument Standard im Symphonieorchester.

Hailstork gibt mit den Harmonien in der Streicherbegleitung dem Spiritual einen typisch amerikanischen Sound, wie man ihn beispielsweise auch bei seinem Landsmann Aaron Copland hören kann. Hör mal in sein Stück “Quiet City” rein, das auch mit einem Solo für Englischhorn beginnt (bei 0:14).

https://www.youtube.com/watch?v=FBAB8jHAhdw (Öffnet in neuem Fenster)

Seinen Namen hat das Englischhorn übrigens womöglich aus einer falschen Rückübersetzung. In seiner französischen Heimat heißt es cor anglais, und früher womöglich cor anglé, also “gewinkeltes Horn”.

Und Kumbaya war mal eine ernst gemeinte Bitte.

Schöne Grüße aus Berlin
Gabriel

P.S.: Die Schleichwege sind jetzt auch auf TikTok. Wenn ihr mir da freundlicherweise folgen wollt (Öffnet in neuem Fenster), denn man braucht tausend Follower, damit man Links in seine Bio einbauen darf (kein Witz). Und das müsste ich ja schon tun können, wenn ich da Musik verlinken will.

Kategorie Moderne

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