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Mitsing-Musik, die man nicht mitsingen kann

Franz Berwald: 3. Sinfonie, “Singulière” (1845)

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Romantisches Gemälde von Ebenthal bei Klagenfurt, im Vordergrund der „Großnighof“ mit Herrenhaus und Fabrikgelände der Familie Puntschart, im Hintergrund der Magdalensberg

Kein Vordergrund, kaum Hintergrund – Markus Pernhart: Ebenthal bei Klagenfurt gegen Süden (Wikimedia Commons (Öffnet in neuem Fenster))

Jeder kennt Intervalle! Selbst selten benutzte Abstände zwischen zwei Tonhöhen kann jeder nachsingen, der einen entsprechenden Ohrwurm kennt. Wer weiß, wie der Refrain von ABBAs “The winner takes it all” geht, weiß, was eine kleine Septime ist. Das Intervall auf dem Wort winner ist es (hier nachzuhören bei 1:06 (Öffnet in neuem Fenster)).

Ein deutlich populäreres Intervall ist das von der Feuerwehr bekannte Tatü-Tata (Öffnet in neuem Fenster). Fachleute nennen es Quarte, und sie wird auf Tatü und auf Tata jeweils einmal gespielt. Es sind wirklich beide Male genau die gleichen beiden Töne.

Mit diesem Intervall beginnt auch Franz Berwald den 1. Satz seiner 3. Sinfonie – und viel mehr kommt dann auch nicht, könnte man behaupten, wenn man frech wäre. Tatsächlich passiert da noch einiges, aber eben nicht so sehr im Vorder- wie im Hintergrund.

Vom Anfang bis 0:23 wandert die Quarte durch verschiedene Instrumente und ja, sie wird von Mal zu Mal immer höher gespielt, aber eine Melodie oder ein Thema kann man das kaum nennen.

Das Faszinierende an dieser Musik ist, dass die Harmonien, die das Orchester im Hintergrund spielt, die ganze Arbeit erledigen, nicht die Solostimmen im Vordergrund. Nur durch die subtilen Veränderungen der begleitenden Harmonien und der Dynamik (also der Lautstärke) entsteht eine Dramatik, quasi aus dem Nichts. Bei 0:48 kommen die ansteigenden Quarten wieder (bis 1:13).

Und wer denkt, weniger Musik geht doch gar nicht, dem sagt der schwedische Komponist: Hold my lingonberry juice! Berwald zeigt, dass er noch aus dem kleinsten denkbaren Intervall eine ganze Welt rausholen kann. Tatsächlich ist es gar kein richtiges Intervall, sondern einfach immer der gleiche Ton; dieser Nicht-Abstand zwischen zwei Tonhöhen heißt Prime (“der Erste”).

Bei 1:50 nämlich setzen die Blechbläser zu einer Fanfare ganz ohne Intervalle an. Es ist einfach bis 2:02 eine Wiederholung des immer gleichen Tons. Von 2:02 bis 2:14 nochmal das Ganze mit einem anderen Ton.

Auch bei 5:37 und 5:48 hören wir diese Fanfare auf der immer gleichen Note, bevor bei 7:36 mit einem letzten Tatü-tata der erste Satz endet.

Obwohl da irgendwie nichts passiert, geht es ins Ohr. Der erste Satz von Berwalds 3. Sinfonie ist für mich beste Mitsing-Musik, die man nicht mitsingen kann.

Leider wurde der Großteil von Berwalds Werk (und auch die 3. Sinfonie) erst weit nach seinem Tod erstmals aufgeführt. Seinen Lebensunterhalt bestritt der Komponist derweil als Orthopäde und Manager eines Sägewerks, beides durchaus erfolgreich. Was man halt so macht, wenn man nicht gerade die Tradition der nordischen Symphonik begründet.

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