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Anlässlich des Gedenktags für die Opfer der Mafia (Opens in a new window) war ich in der Schule von Burano eingeladen, um über die Mafia zu reden. Ich habe über Rita Atria berichtet, dem Mädchen, das als Sechzehnjährige beschloss, über die Mafia in ihrem Dorf auszusagen - und über das ich mein erstes Buch (Opens in a new window)geschrieben habe. Die Schüler (die Schule von Murano war online zugeschaltet) waren sehr interessiert - sie haben tolle Fragen gestellt: Warum hat Ritas Mutter nicht zu ihrer Tochter gehalten, sondern zur Mafia? Was bedeutet es, dass wir hier in der Nähe, in Eraclea, die Mafia haben? Warum konnte die Mafia des Brenta (Opens in a new window)  jetzt auch wieder auf der Parkinsel Tronchetto (Opens in a new window) auftauchen und was bedeutet das für uns? Warum sind Sie Journalistin geworden? 

Kinder kriegen also mehr mit, als man meint.

Die Schule auf Burano hat genau wie die in Murano große Probleme: Weil man es in den letzten 30 Jahren darauf angelegt hat, Venedig ausschließlich der touristischen Monokultur auszuliefern, alle Wohnungen in Airbnbs und alle Geschäfte in Touristentrash zu verwandeln, gibt es immer weniger Kinder, die hier zur Schule gehen. Das ist wirklich traurig, denn die Schule ist so schön - fast so eine Bullerbü-Schule. Am meisten haben mich die Boote beeindruckt, die ein Buranello selbst gebaut und der Schule geschenkt hat (und erst die ausgestopften Lagunenvögel: einer der Hausmeister war ein passionierter Jäger!). Ach, es war ein toller Vormittag! #giornatadellamemoria (Opens in a new window)

Der andere Höhepunkt meiner Woche war für mich der Besuch in der römischen Oper, wo ich für die ZEIT über die Inszenierung von Turandot 

https://www.zeit.de/2022/13/ai-weiwei-oper-ukraine-krieg (Opens in a new window)

geschrieben habe - natürlich nicht aus der Sicht einer Musikkritikerin, die ich nicht bin, sondern als Reporterin: Inszeniert wurde die Oper von keinem Geringeren als Ai Weiwei (Opens in a new window), Dirigentin ist die Ukrainerin Oksana Lyniv (Opens in a new window). Ein chinesischer Dissident und eine Kämpferin für die ukrainische Freiheit: Mehr politische Brisanz ist kaum denkbar. Dass der Henkersknecht auch noch Pu-Tin-Pao heißt, ist eine der ironischen Volten dieser Oper. 

In Italien geht es, was den Krieg in der Ukraine betrifft, medienmäßig drunter und drüber, selbst in Medien, die ich bis vor kurzem sehr geschätzt habe, etwa dem Fatto Quotidiano (Opens in a new window), findet eine unfassbare Nabelschau statt. Maxim Biller erwähnte in seinem Artikel in der ZEIT (Opens in a new window) im Hinblick auf Deutschland die  "Appeasement-Legende" von der angeblichen Arroganz der Nato, "gegen die sich der provozierte Kremlchef nur noch mit dem Ukraine-Feldzug zur Wehr setzen konnte" - selbiges wird in Italien schon seit dem Kriegsausbruch verbreitet. Im Fatto Quotidiano wird nicht nur eine Flugverbotszone abgelehnt, sogar generell Waffenlieferungen an die Ukraine. 

Ich erwähnte schon, dass ich der Allparteien-Regierung unter Draghi extrem skeptisch gegenüber stehe (es ist immer schlecht, wenn es keine wirkliche Opposition im Parlament gibt), aber ich finde es, freundlich gesagt, realitätsfremd, aus reinem Widerspruchsgeist gegenüber Draghi Waffenlieferungen an die Ukraine abzulehnen. 

In Darmstadt habe ich am Darmstädter Krimitagen (Opens in a new window) teilgenommen (hier auf dem roten Sofa mit dem Autor Ralf Langroth) und aus meinem letzten Krimi "Bei aller Liebe" - und meinem Venedig-Buch gelesen. Was den Ausverkauf der Stadt betrifft, so handelt es sich ja um True Crime.

An Darmstadt habe ich nur die besten Erinnerungen (Opens in a new window). Und weil ich letzte Woche noch etwas Zeit hatte vor meiner Lesung, habe ich, obwohl ich schon seit zehn Jahren Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland (Opens in a new window) bin, zum ersten Mal die (mit dem Avenidas-Gedicht geschmückte) Geschäftsstelle in Darmstadt besucht: Ein tolles Haus, das uns Jochen Partsch, der Bürgermeister von Darmstadt, zu günstigen (von unserem Generalsekretär Heinrich Peuckmann ausgehandelten) Konditionen vermietet hat. 

Um so trauriger ist es jetzt zu sehen, wie der PEN unter dem neuen PEN-Präsidenten Deniz Yücel (Opens in a new window) nun von einem Rest-Präsidium (von 10 Mitgliedern sind nur noch fünf übrig geblieben) geführt wird, das Menschen als „Elefanten“ und „Flusspferde“ bezeichnet, sie diskriminiert („sein Alter macht es leichter, ihm den Rücktritt nahezulegen“) und ein Mobbing betreibt („ebenso, dass wir nicht vorschnell Appellen zur Verständigung – etwa aus dem Munde der Silberrücken – nachgeben“), das eine Verschlagenheit offenbart, die einer Netflix-Serie angemessen wäre – nicht aber einer Schriftstellervereinigung, die sich mit ihrer Charta dazu verpflichtet, jedwede Form von Hass zu bekämpfen. Diesem Präsidium ist es in nur fünf Monaten gelungen, einen Krieg gegen Mitglieder und Mitarbeiter des PEN zu führen.

Ich habe über die Rücktrittsforderungen des PEN in der FAZ geschrieben (Opens in a new window) und mich dazu unter anderem auch im WDR geäußert (Opens in a new window). Der Journalist (und PEN-Mitglied) Volker Skierka hat zu Yücel unter anderem einen klugen Kommentar im Deutschlandfunk (Opens in a new window) abgegeben. Interessant für mich als Journalistin war zu beobachten, wie sich jedoch weite Teile der Presse ohne Not und leider auch ohne jede Recherche wie ein Mann vor Yücel warfen (nachzulesen in der ZEIT (Opens in a new window), im Tagesspiegel (Opens in a new window), in der Süddeutschen Zeitung (Opens in a new window), bis hin zum Freitag (Opens in a new window) – und wahrscheinlich sind mir noch weitere wehrhafte Vorwärtsverteidiger entgangen) – ohne dabei auch nur mit einem Wort auf das einzugehen, was in den Medien lapidar als „Zoff“, „Knatsch“ oder „Zank“ abgetan wurden, Vorfälle, die unter normalen Umständen sofort sämtliche Antidiskriminierungsaktivisten auf den Plan gerufen hätten, weil sie eine erschreckende Menschenverachtung offenbarten.

In der FAZ kommentierte (Opens in a new window) Jan Wiele: „Dass aber in manchen Artikeln der letzten Tage nur seine Äußerung zur Ukraine im Mittelpunkt stand, ist verwunderlich. Denn seit Tagen ist auch bekannt, dass gegen Yücel Vorwürfe eines intriganten, empörenden Umgangs mit PEN-Mitgliedern im Raum stehen, die eine wachsende Zahl von diesen veranlassen, seine Abberufung zu fordern (Opens in a new window). Diesen Teil der Berichterstattung einfach wegzulassen und sich darauf zu kaprizieren, Yücel solle wegen provokanter Meinungsäußerung ein Maulkorb angelegt werden, scheint journalistisch unredlich, gerade wenn es um einen Enthüllungsjournalisten geht. Dass auch die beschriebenen Vorwürfe des Fehlverhaltens gegen Yücel im Raum stehen, lässt sich aber nicht mehr verschweigen, denn inzwischen berichtet auch die Deutsche Presse-Agentur, dass ein Abwahlantrag gegen das komplette PEN-Präsidium unter Yücels Leitung vorliege, der diesem Mobbing, Beleidigung und „eine tiefgreifende, systemische Störung des Anstands und der Würde unserer Schriftstellervereinigung“ vorwirft.“

Die Kulturzeit von 3sat (Opens in a new window) widmete sich dem, wie sie es nannte „Zoff im PEN“, konzentrierte sich aber ausschließlich auf Yücel in seiner neuen Rolle als Militärstratege und räumte ihm und seinen Verteidigern gegenüber den Rücktrittsforderungen immerhin der fünf ehemaligen PEN-Präsidenten (Gert Heidenreich (Opens in a new window), Christoph Hein (Opens in a new window), Johano Strasser (Opens in a new window), Josef Haslinger (Opens in a new window) und Regula Venske (Opens in a new window)) breiten Raum ein. Am Ende des Berichts wird bemerkt: „Aufgabe des PEN ist es, angesichts des Unsagbaren um Worte zu ringen, das geht nur in einer offenen Debatte, das geht nicht mit Rücktrittsforderungen.“

Genau der Meinung bin ich auch. Ja, offene Debatte, her damit! Um so bemerkenswerter ist es, dass PEN-Präsident Yücel, der sich noch im 3sat-Interview als Hüter „der Freiheit des Wortes und der Kraft des besseren Argumentes“ darstellte, dem Journalisten und PEN-Mitglied Volker Skierka (Opens in a new window) und mir am Freitag einen Maulkorberlass (Opens in a new window) durch den teuersten Medienanwalt Deutschlands zukommen ließ. Bevollmächtigt wurde Anwalt Schertz hinter dem Rücken des PEN-eigenen Justitiars auf der Basis eines fingierten Vorstandsbeschlusses – die Kosten soll der PEN, vulgo die Mitglieder, tragen.

Dass Journalisten, die sich kritisch geäußert haben, mit Anwaltsbriefen eingeschüchtert werden sollen, ist etwas, was ich sonst nur aus der Praxis von Mafiosi, Oligarchen und korrupten Politikern kannte.

Aber man lernt ja immer dazu.

Und zum Schluss das Positive: Gerade lese ich die Druckfahnen der italienischen Übersetzung meines Venedig-Buches, hier die erste Seite:

Im Mai erscheint es bei Zolfo Editore (Opens in a new window). Hey, hey, hey!

Am Flughafen in Köln sprach mich eine Frau an: Sind Sie nicht Frau Reski? Ich habe Ihr Venedig-Buch gelesen, es hat mich so bewegt! Und genau solche Momente sind es, die mich dafür belohnen, dass ich schreibe.

Herzlichst grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski 

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