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Bevor es zu spät ist, wollte sich der italienische Präsident

Mattarella noch aus dem Quirinalspalast abseilen. Jetzt befürchtet er, wie Queen Elizabeth zu enden. 

Das sind nur einige der unzähligen Memes (Opens in a new window), die in Netz seit Monaten kursierten: 

Bei jeder Rede, bei jedem öffentlichen Auftreten hat Präsident Mattarella gebetsmühlenartig wiederholt, dass seine Amtszeit abgelaufen ist: Er hat eine Wohnung in Rom gemietet, in die er ziehen wollte, er hat sogar einen umfangreich fotografisch dokumentierten Umzug von Palermo nach Rom organisiert, 

um den Parteien, die sich an ihn klammerten, klarzumachen, dass er für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung steht. Nichts zu machen, gestern wurde er wiedergewählt (mit den zweitmeisten Stimmen in der Geschichte der italienischen Präsidentenwahl). Worauf sich Mattarella ein "Wenn es nötig ist, bin ich da" abgerungen haben soll. 

Der von mir geschätzte Karikaturist Natangelo (Opens in a new window) hat auch den Metaphernwahnsinn der italienischen Medien während der Wahlgänge bebildert, in denen es von kriegerischem Vokabular nur so wimmelte: Die Niederlage einzelner Präsidentschaftskandidaten als mattanza, als "Abschlachtung" zu feiern (oder zu bedauern, je nach politischem Standpunkt), hat in italienischen Medien Tradition: 

In den Kommentaren floss Blut  in Strömen, es häuften sich Killer, Scharfschützen und Verräter, es gab Brudermorde, Eigenbeschuss und Beerdigungen; Kandidaten wurden zum Tode verurteilt, geköpft, geschändet, durch den Fleischwolf gedreht, verbrannt, Truppen implodierten, explodierten, führten Überraschungsangriffe aus und lauerten im Hinterhalt, um den Abschuss des einen oder anderen Kandidaten zu feiern. Die wohl herbste Niederlage erfuhr Senatspräsidentin und Berlusconi-Ultra Maria Elisabetta Casellati - die sich nicht nur durch ihre 124 Privatflüge in einem Jahr hervorgetan hat, sondern zu deren politischer Biografie auch gehört, Berlusconis Märchen von der minderjährigen Marokkanerin Ruby Rubacuore als "Nichte Mubaraks" (Opens in a new window) unterstützt und 2013 an dem "Marsch" der "Volk-der-Freiheit"-Abgeordneten (Opens in a new window)auf das Mailänder Gericht teilgenommen zu haben, um Berlusconis Unschuld im Prostitutions-Prozess zu beteuern. Casellatis Fiasko wurde nicht nur von ihren Gegnern gefeiert, sondern auch von ihren Parteifreunden, die offenbar schon lange unter ihrem Hochmut litten.

Das "Alles soll sich ändern, damit alles bleibt wie es ist" (Opens in a new window)-Prinzip der italienischen Politik hat sich mal wieder durchgesetzt. Als Napolitano 2013 wiedergewählt wurde, kam es vor dem Parlament zu hässlichen Szenen, das ist bei Mattarella nicht zu befürchten, weil er mit dem Strippenzieher Napolitano (Opens in a new window) glücklicherweise nichts gemein hat.  Sicher ist, dass Mattarella die zweitbeste Lösung ist - nachdem sich die Parteien nicht darauf einigen konnten, die (von Menschenrechtsorganisationen geschätzte) Diplomatin Elisabetta Belloni (Opens in a new window) zu wählen. Vermutlich wird der 80jährige Mattarella aber nicht die gesamte siebenjährige Amtszeit absolvieren. Und da drängt sich der Verdacht auf, dass Mattarella lediglich als Platzhalter für Mario Draghi dienen soll, der (zum Verdruss einiger italienischer Parteien) vor Weihnachten seine Ambitionen auf das Staatspräsidentenamt unmissverständlich klar gemacht hat. Denn: Sind es nicht letztlich die Finanzmärkte, die Italiens Politik bestimmen? 

Das jedenfalls scheinen viele deutsche Korrespondenten so zu sehen, die FAZ sorgte sich (Opens in a new window) auch schon: "Die Finanzmärkte blicken in dieser Woche daher gebannt nach Italien. Es ist unklar, in welcher Form Mario Draghi der italienischen Politik erhalten bleibt. Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank gilt als Garant der politischen Stabilität. Doch für wie lange noch?" 

Ich erinnere mich noch an das (von den Italienern einhellig abgelehnte) Verfassungsreferendum 2016, das in den deutschen Medien nicht nur gefeiert (Opens in a new window), sondern sogar gefordert wurde - wobei die deutschen Leser leider darüber im Unklaren blieben, warum und von wem diese bizarre Reform überhaupt gefordert wurde. Auf ZEIT-online (Opens in a new window) hatte ich Gelegenheit, klarzumachen, dass es hier um eine Verfassungsreform ging, die von niemand geringerem als von der Bank J.P. Morgan gefordert wurde, weil die Verfassungen von Spanien, Italien und Portugal, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Fall der Diktaturen geschrieben,  einen starken Einfluss "sozialistischen Gedankenguts" aufwiesen. Den die Bank offenbar dringend beseitigen wollte. Das nur als Hintergrundinformation zu Draghi. 

Positiv ist natürlich, dass ich jetzt meinen bevorstehenden Eid auf die italienische Verfassung unter dem Bild von Sergio Mattarella ablegen kann, einem würdigen Amtsträger. 

Meanwhile in Venice, diesem kleinen Dorf (Ganz Italien ergab sich der touristischen Monokultur. Ganz Italien? Nein: Ein von unbeugsamen Venezianern bevölkertes Inselarchipel hört nicht auf, Widerstand zu leisten) Weshalb Luftangriffe nicht ausgeschlossen sind:

https://youtu.be/TsOLQmmus2Y (Opens in a new window)

Erst dachten wir an die Ukraine und dass es jetzt los geht (Opens in a new window), aber dann waren es die Frecce Tricolori, die Kunstflugstaffel der italienischen Luftwaffe, die Venedig als Showroom missbrauchte. Dass Venedig lediglich benutzt wird, als Marke und als Mehrwert, ist eine der Zumutungen, die uns hier verzweifeln lässt. 

https://www.youtube.com/watch?v=JrvtZlQEklY (Opens in a new window)

In diesem Fall diente Venedig als Hintergrund für einen Videoclip, der bei der Olympiade in Peking gezeigt werden soll. Die Winterspiele 2026 finden ja in Cortina statt, aber weil offenbar kein Mensch weiß, wo dieses Cortina liegt, musste mal wieder Venedig herhalten. Schließlich verzichtet die Region Veneto in grandioser Selbstverleugnung sogar auf ihren eigenen Namen und nennt sich "Land of Venice", und die Strände von Cavallino und Jesolo heißen "Venice Sands". Zwei Tage lang donnerten die "Frecce tricolori" über Venedig, von morgens neun bis halb zwölf rasten sie in geringer Höhe über unsere Köpfe hinweg, weshalb nicht nur der Flugverkehr von und nach Venedig eingeschränkt war, sondern auch der Rauch in den Augen brannte. 

Aber offenbar gingen die Verantwortlichen davon aus, dass wir, angesichts der Feinstaubbelastung in Venedig ohnehin schon abgehärtet sind. Und denjenigen gegenüber, denen unglücklicherweise auch noch Rammstein (Opens in a new window) und Terracina (Opens in a new window) einfielen und die Tatsache, dass für den Himmel über Venedig ein Flugverbot gilt, stellte sich der Bürgermeister dumm und sagt: "Wunderbare Überraschung". 

Aber wer zum Teufel hat die Genehmigung gegeben? Der Präfekt? Der Bürgermeister? Und wer bezahlt diese überflüssigen Werbespots? Die Italiener? Wir versuchen gerade, das zu klären. Bis jetzt haben wir von den offiziellen Stellen noch keine Antworten erhalten.

Der Bürgermeister ward ohnehin schon lange nicht mehr in Venedig gesehen, sein Ehrgeiz zieht ihn nach Rom. Das Geld allerdings macht er in Venedig, unter anderem auch mit dem bevorstehenden Karneval: "Der Dogenball ist gerettet" verkündete die venezianische Lokalpresse (Opens in a new window). Na, Gott sei Dank, hatte mir schon Sorgen gemacht. Schließlich bringt dieser Ball der Misericordia SpA viel Geld ein, die von einem angeblichen Blind Trust kontrolliert wird, dessen Eigentümer der venezianische Bürgemeister ist. Der Kartenvorverkauf läuft seit einiger Zeit, der Eintritt kostet zwischen 2300 und 4025 Euro - ohne Kostümverleih, und es besteht Kostümzwang. Auf einigen Websites (Opens in a new window) wird dreister- und irreführenderweise damit geworben, dass die Veranstaltung im Palazzo Pisani Moretta mit Blick auf den Canal Grande stattfinde, was ein glatter Betrug ist. 

Die Misericordia liegt aber in Castello und hat nichts mit dem Palazzo Pisani Moretta (Opens in a new window) am Canal Grande gemein. Allerdings möchten die Veranstalter wohl gerne von dem ungleich größeren Prestige des Palazzo Pisani Moretta profitieren, in dem ebenfalls ein Ball stattfindet (Opens in a new window), und, so lange es geht, die ahnungslosen Gäste in die Irre führen.

Also, ja, der Karneval in Venedig findet statt. Virus hin oder her. Eingeschränkt werden, wen wundert es, nur die öffentlichen Veranstaltungen, nicht die privaten.

https://www.planet-wissen.de/video-die-italienische-mafia-in-deutschland--gut-getarnt-und-unterschaetzt-100.html (Opens in a new window)

Und zum Schluss noch eine Empfehlung: Die Sendereihe "Planet Wissen", an der ich erst im Herbst an der Sendung über Venedig (Opens in a new window) teilgenommen habe, hat jetzt eine Sendung über die Mafia in Deutschland (Opens in a new window) gesendet, an der ich zusammen mit Sandro Mattioli von Mafia Nein Danke (Opens in a new window)teilgenommen habe. Ich würde mir wünschen, dass solche informative Sendungen über die Mafia in Deutschland nicht irgendwo im Vormittags- und Vorabendprogramm von Nischensendern versteckt würden, sondern zur besten Sendezeit bei den großen Sendern liefen. Die Mafia kann Deutschland nur deshalb so intensiv nutzen, weil die nötigen Informationen fehlen - und die Deutschen den Politikern nicht die richtigen Fragen stellen können. Die Sendung stellt Einblicke bereit, die man im deutschen Fernsehen selten erhält.

Und wenn ich nicht gerade Newsletter schreibe, lese ich die italienische und die französische Übersetzung meines Venedig-Buches Korrektur. Das Schöne daran ist, dass ich da über meine eigenen Witze lachen kann. 

Herzlichst grüßt Sie Ihre Petra Reski 

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