Die hohe Kunst des Jazzgesangs: Dee Dee Bridgewater
Virtuos, charismatisch und mit rarer gesanglicher Intensität eröffnete Dee Dee Bridgewater am 22. Juli den diesjährigen Jazz Sommer im Bayerischen Hof. Ihr Programm "We Exist!" präsentierte die Grande Dame des Vocal Jazz dabei ganz bewusst im Quartett mit hervorragenden jungen Musikerinnen.
Text: Christina M. Bauer, Fotos: Stefan Hämmerle
Sämtliche Facetten stimmlicher Jazzkunst, Charisma, Intensität und eine bemerkenswerte Energie hat Dee Dee Bridgewater am 22. Juli in den Bayerischen Hof in München mitgebracht. Die renommierte und mit unzähligen musikalischen Ehrungen vom NEA Jazz Master bis zu mehreren Grammies bedachte Grande Dame des Vocal Jazz eröffnet dort im Festsaal den diesjährigen Jazz Sommer. Mit dem Song "People make the world go round" der Soulband The Stylistics machen sie und ihr Quartett den Anfang. Bridgewater verknüpft präzise Artikulation, individuelle Phrasierung, eine kontrastreiche Dynamik und ein enormes Spektrum nuanciert abgestufter Klangfarben mit ersten anspruchsvollen Scats und stimmt damit ein auf ein veritables Konzerthighlight. Ebenfalls gleich im ersten Stück findet ein lässiges Solo von Carmen Staaf am Konzertflügel Platz, die im Critics Poll der US-Zeitschrift Downbeat bereits mehrmals als Rising Star am Klavier ausgewählt wurde. Im Wechsel mit dem Konzertflügel spielt Staaf in diesem Konzert Keyboard. Rosa Brunello ist am Kontrabass und E-Bass zu hören. Shirazette Tinnin, außerordentliche Professorin am Berklee College of Music in Boston, spielt Schlagzeug, Percussion und Cajón.
Bridgewater hat ganz bewusst ein mit Musikerinnen besetztes Quartett um sich geschart und teilt mit ihnen in mehrwöchigen Tourneen das Rampenlicht. Mehr Möglichkeiten für Frauen in der von ihr über die Jahre oft als sehr patriarchal erlebten Jazzszene und für Frauen insgesamt sind ihr ein essentielles Anliegen. Und so nannte sie das Programm "We Exist!", um diese Tatsache in den Mittelpunkt zu stellen: Es gibt Frauen im Jazz, es gibt Frauen in allen Bereichen, und das ist gut. Gleiche Rechte, Chancen und Möglichkeiten zu erreichen, wo es sie manchmal bis heute nicht gibt, dazu möchte Bridgewater etwas beisteuern. Für das Repertoire hat sie mit dem Ensemble vor allem Songs aus der Zeit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zusammengestellt. Die Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher Kultur, Herkunft oder Hautfarbe war Bridgewater schon immer ein wesentliches Anliegen und zieht sich ebenfalls wie ein roter Faden durch das Programm.
So sagt sie in ihrer Moderation über Percy Mayfields gesellschaftskritischen Song "Danger Zone", den viele vor allem gesungen von Ray Charles kennen: "Der Song ist immer noch relevant, nach 70 Jahren." In ihrer Interpretation eignet sie sich dieses Lied auf ihre ganz persönliche Art an, so, wie sie es mit jedem Song macht. Die Stimme zunächst dunkel, bluesig, erzählend, formt sie immer wieder schnelle Übergänge zu gewagten Intervallsprüngen, enormen dynamischen Kontrasten, improvisierten Scats oder dramatischen, sehr expressiv gestalteten Passagen, in denen manchmal etwas von ihrer zweiten künstlerischen Welt, der Schauspielerei, durchscheint. Es ist vor allem diese Intensität, durch die ihre Versionen von zu verschiedenen Zeiten durch rassistische Gräueltaten inspirierten Liedern wie dem oft von Billie Holiday gesungenen "Strange Fruit" oder von Nina Simones "Mississippi Goddam" beeindrucken und anrühren. Im Repertoire sind noch andere von Bridgewaters einstigen Vorbildern vertreten, etwa Abbey Lincoln mit Songs wie "The World is falling down" und "Throw it away" oder Billy Taylor mit "I wish I knew how it would feel to be free". Das einst von Donny Hathaway verfasste und oft von Roberta Flack gesungene "Trying Times" wendet sie gleichermaßen als Kritik am heutigen Zustand der Gesellschaft an.
Jede der Musikerinnen in dem feinsinnig abgestimmten Ensemble gestaltet Solopassagen. Tastenkünstlerin Staaf ist in einigen eleganten Klavier- und Keyboardsoli zu hören, Brunello in kernigen Basssoli und Tinnin in anspruchsvollen Schlagzeugsoli sowie spannenden percussionistischen Dialogen mit Vokalistin Bridgewater. Das Konzert ist ein besonderer Auftakt für den Jazz Sommer im Bayerischen Hof, der ganz dem diesjährigen Festivalmotto "Voices" entspricht und mit Standing Ovations gefeiert wird. Während es für Bridgewaters Quartett in den nächsten Tagen weitergeht nach Litauen, Spanien, Polen, Italien, Frankreich und zum Rheingau Musik Festival in Wiesbaden, werden beim Jazz Sommer noch einige andere Ensembles zu hören sein. US-Sängerin Christie Dashiell etwa bringt ihre Band und eigene Songs mit. In den vergangenen Jahren hat sie bereits mit verschiedenen Produktionen auf sich aufmerksam gemacht. Eben erst erschien die gemeinsame Einspielung "We Insist 2025!" mit Terri Lyne Carrington, auf der die beiden mit ihrem Ensemble Max Roachs berühmte Freedom Now Suite neu interpretieren. Mit Alma Naidu ist eine aufstrebende Vokalistin der deutschen Szene dabei, die sich in ihrem derzeitigen Repertoire "Redefine" auf ihre Art ebenfalls mit gesellschaftskritischen Fragen auseinandersetzt.


Fotos 1 und 2: Dee Dee Bridgewater mit "We Exist!" beim Jazz Sommer im Bayerischen Hof in München am 22. Juli 2025

Foto 3: Carmen Staaf am Konzertflügel

Foto 4: Rosa Brunello am Bass

Foto 5: Schlagzeugerin Shirazette Tinnin

Foto 6: Das Dee Dee Bridgewater Quartett
Website mit Programm: https://www.bayerischerhof.de/de/erleben-geniessen/entertainment/rauschende-feste-veranstaltungen/jazz-sommer-im-bayerischen-hof.html (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)