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Der feuchte Traum deutscher Familienpolitik

Work in Progress

Disclaimer: Manchmal denke ich, ich könnte ein Buch über Feminismus und Mutterschaft schreiben. Dann waren meine Ideen zum ersten Kapitel in etwa so:

1. (Arbeitstitel:) Ich - der Traum deutscher Familienpolitik

(worum es geht:) Warum Kinder(kriegen) keine Privatsache ist,

ein Überblick familienpolitischer Maßnahmen seit 2. WK, aber auch:

Biopolitik: Wer darf/kann/soll Kinder haben, wer bleibt unsichtbar und ungehört, wie haben Politik und Rechtsprechung darauf Einfluss, (un)freiwillige Kinderlosigkeit, junge/alte Mütter

Ich bin eine 30jährige* Weisse mit deutschem Pass. Ich bin gesund, lebe mit einem Mann in gesitteten Verhältnissen. Ich bin gut ausgebildet, ja, ich habe alle Mittel um zu studieren ausgereizt, war für ein Semester im Ausland und arbeite 2010 an der Uni. Und ich bin schwanger. Ich bin eine von den Frauen, die sich reproduzieren sollen, jedenfalls, wenn es nach der deutschen Familienpolitik geht. Einziger Haken: Ich bin unverheiratet. Das reicht maximal für anekdotisches Chaos, nicht für ernsthafte Probleme, zumindest so lange wir nicht nach Steuererleichterungen rufen:

Die Ankunft eines Babies bedarf ganz schön viel Papierkram: Vaterschaftsanerkennung und gemeinsames Sorgerecht, Mutterschutz, Kinder- und Elterngeld, Elternzeit,Lohnsteuer… und die Auswahl einer Krankenkasse. Man sollte meinen, bei all den patchworkfamilien und unehelichen kindern die in diesem land so fröhlichheiter rumfamilien, sollten die entsprechenden institutionen es meistern, unsere situation* in ihre systeme “einzupflegen”. wer’s glaubt:

- die berechnung von mutterschafts- und elterngeld. ich kam mir vor, wie in diesem asterixcomic, wo sie einen passierschein ausgestellt haben wollen und in diesem haus von schalter a zu schalter r zurück zu schalter n geschickt werden. kafkaesk halt. ich weiß nur noch, ich sollte papiere von der arbeit an die krankenkasse an die arbeit an die elterngeldstelle und zurück schicken. alles in einer zeit in der man unwesentlich besseres zu tun hätte.

- krankenkassen tun sich mit ‘modernen’ familien offensichtlich am schwersten. meine schickte mir irgendwann ein schreiben, in dem ich (erinnerungsprotokoll, also nur sinngemäß) ankreuzen sollte, ob ich das kind ‘alleine’ betreuen werde oder nicht. wegen rentenanwartsschaften oder so? aber die option ‘papa betreut auch’ kam darin nicht vor (‘oder nicht’ hieß wohl, wird direkt ‘weggegeben’). also hab ich bei der krankenkasse angerufen. immerhin hatte die genug humor zu sagen: “machen sie ein drittes feld und kreuzen sie beide (ich und der papa betreuen) an”.

dann der breikurs. da der mann elternzeit nimmt, wenn minime 6 monate rum hat, muss sich der mann auch mit dem breizeugs rumschlagen. den ‘wie-mache-ich-das-mit-dem-brei-und-so’-kurs, den eine hebamme leitet, rechnet aber nur die mamakrankenkasse ab. somit werden dann höhere beiträge für frauen gerechtfertigt, ja?

minime ist über die krankenkasse des mannes versichert. der mann heißt, sagen wir müller mit nachnamen. minime hat meinen nachnamen, sagen wir meier. der mann hat brav das krankenkassenformular ausgefüllt und eine kopie der geburtsurkunde mitgeschickt, auf beidem stand ‘minime meier’ richtig drauf. was steht auf der versichertenkarte, die wir zurückbekommen? richtig, ‘minime müller’. was lernen die sachbearbeiter_innen dort in ihrer ausbildung?

also liebe krankenkassen und andere behörden, hier nochmal zum mitschreiben: die normalfamilie ist gar nicht mehr so normal. und konkret an die krankenkassen: ihr bezahlt doch auch unter umständen eine haushaltshilfe für nachdergeburt? wie wär es denn mal mit einer verwaltungfachsangestellten für den ganzen krams??? oder ihr stellt selber endlich welche ein. erspart eltern ne menge arbeit.

Anekdote. Ärgerlicher Papierkram. Das wars. Das schwanger werden war kein Problem, wir bekommen Elterngeld und können Elternzeit nehmen und niemand stört sich daran, dass ich ein Kind bekomme. Naja gut, meine Arbeitgeberin ist nicht begeistert, aber die Uni selber, an der ich arbeite, verspricht mir Vertragsverlängerung um den Zeitraum der Elternzeit. Die Familie freut sich, ich bin ein bisschen froh, dass wir die ersten in meinem Freundeskreis sind, die sich reproduzieren, schon damit jetzt nicht alle auf mich einreden, wie das denn so wird (haha, zu früh gefreut, aber dazu später mehr).

Warum ich das so betone? Das mit dem richtigen Zeitpunkt, dass der Staat sich mehr oder minder mit freut, das schwanger werden kein Problem war? Nun, weil das alles nicht selbstverständlich ist. Auf dem Gendercamp, an dem ich 2012 mit meinem damals 1jährigen Kind teil nahm, gab es viele schöne Momente: Er hatte dort andere  Kinder zum Spielen, die Kinderbetreuung wurde dort selbst organisiert und es war eine Menge Leben in der Bude. Aber es gab auch kritische Stimmen. Weniger, weil es zu laut war oder zu chaotisch oder weil die Kinder selbst als störend empfunden wurden. Sondern weil sie zu denken gaben:

es wurde deutlich, dass die kleinen menschen – nicht als menschen selbst – ein (in ermangelung eines besseren wortes) politikum waren. mir wurde jedenfalls nochmal sehr klar, in welcher paradoxen gesellschaft wir leben. denn einerseits ist der aufruf da, (mehr) kinder zu bekommen, aber gleichzeitig richtet sich dieser aufruf nur an bestimmte menschen – menschen wie z.b. mich. gut situierte, gesunde, deutsche heterofrau (ich könnte alles in anführungszeichen setzen, auch im folgenden, aber ihr wisst schon) in fester partnerschaft. wieso?

  •  das mit dem kinder kriegen war relativ unkompliziert. selbst wenn nicht, hätten mir reproduktionsmedizin und adoptionsverfahren offen gestanden (wären wir verheiratet noch viel mehr, aber so lange geld da ist, ist auch da einiges möglich).

  •  die politik spricht manchen menschen das recht auf elternschaft, reproduktionsmedizin, adoptionsverfahren und co. ab. wer als krank/behindert, homosexuell oder sonst nicht ‘der norm entsprechend’ definiert wird, hat kein ‘recht’ auf familie

  •  auch wer es sich schlichtweg nicht leisten kann, wird – wie bei hartz IV – bestraft. kinder sind ein luxus, den man sich leisten können muss.

  •  es besteht wenig akzeptanz, nicht-’biologische’ familienverbände zu gestalten und mit ‘biologische’ familien gleichzustellen (wobei es der gesellschaft eigentlich egal ist, wer z.b. der biologische vater ist, jedenfalls wenn man a) verheiratet ist, dann ist der mann automatisch als vater anerkannt, ob er das kind nun gezeugt hat oder nicht, oder b) ein mann die vaterschaft anerkennt. ich hätt also auch den pförtner des jugendamtes mitnehmen können. aber nicht: meine lebensgefährtin. so viel zur ‘natürlichen’ verwandtschaft)

Kinder kriegen, haben, Familie sein - das ist keine Privatsache! Und unter die oben genannten Punkte fallen nur solche Beispiele, in denen die beteiligten einen deutschen Pass haben und in die binäre Zweigeschlechtlichkeit passen.

Ehe und Kleinfamilie stehen unter dem “Schutz” des deutschen Staates (Quelle). Wer sich außerhalb einer staatlich (und je nachdem auch kirchlich) anerkannten Ehe reproduzieren kann und darf und wer nicht, das bestimmt nicht immer der Staat

Darüber hinaus sind diese Machtmechanismen und Politiken nicht nur zutieftst gegendert, sondern auch durchzogen von dem Festhalten an der heteronormativen Kleinfamilie, Homophobie, Rassismus und Klassismus. Letzteres wird am Deutlichsten, wenn man sich die Debatten um Elterngeld, Erziehungsgeld und HartzIV ansieht. Wer wird mit diesen Mitteln unterstützt, wo herrscht die Sorge, dass sich Leute unrechtmäßig Geld erschleichen, in dem sie Kinder kriegen  (Paradox, so oder so).

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Welche Stellen fandet ihr spannend, interessant, neu? Was ist für euch ein 'alter Hut'? An welchen Stellen hättet ihr gern mehr Hintergrundinfos?

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