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Danke für all das Feedback auf den letzten Newsletter und die zusätzlichen Gedankenanstöße, die in den Mails und Nachrichten dazu waren. An die Fragen „Wer kann es sich leisten (und wie), eine eigene Wohnung oder ein Haus zu kaufen? Wer kann kaum die Miete bezahlen oder lebt mit vielen Kindern auf engem Raum?“ schließen sich viele weitere Themen an, die in den kommenden Monaten hier Thema sein könnten. Ich freue mich weiterhin über Austausch mit euch dazu und ihr könnt jederzeit auf diesen Newsletter und seine Themen antworten, Fragen stellen, Feedback geben. Die letzte Ausgabe findet ihr hier (Opens in a new window).

Mehrere Menschen hatten mir rund um das Thema geschildert, dass die Einblicke in ,das Leben der anderen‘ für sie in den vergangenen Monaten ein Grund gewesen sei, soziale Netzwerke – insbesondere Instagram – nicht mehr zu nutzen und die App zu löschen. Eine Leserin erzählte, dass sie vor allem gemerkt habe, dass das ständige Vergleichen ihr nicht gutgetan habe und sie sich dem nicht mehr aussetzen wollte. Der soziale Charakter, den digitale Netzwerke einmal haben sollten – das Verbindende, der Austausch – ist umgekippt in Wettbewerb. 

Wie könnten digitale Netzwerke funktionieren, die ein anderes Miteinander fördern würden und in denen es nicht mehr um Erfolge, Leistung, Konsum und Beliebtheit ginge? Ist das außerhalb sozialer Netzwerke überhaupt wesentlich anders? Wenn ja, wie funktioniert es dort? Was suchen wir eigentlich in sozialen Netzwerken und lassen sich die unterschiedlichen Beweggründe, sie zu nutzen, überhaupt vereinen? Denn häufig nutzt man die Plattformen aus unterschiedlichen Gründen: Mal sucht man Unterhaltung und Zerstreuung, mal politische Informationen, Rückblicke auf Veranstaltungen, konkrete Alltagstipps, Live-Streams. Manche nutzen die Netzwerke beruflich und privat, andere nur für einen dieser Bereiche.

Ich spüre schon lange eine Ambivalenz hinsichtlich meiner Nutzung von sozialen Netzwerken: Auf der einen Seite merke ich, dass sie häufig meine negativen Emotionen verstärken. Auf der anderen Seite kann es entlastend sein, etwas dort zu notieren, was mir durch den Kopf geht oder über eine lustige Illustration zu schmunzeln. Wir verbringen viel Zeit dort – Apps wie Instagram sind dafür designt, uns lange dort zu halten – die uns für andere Dinge fehlen kann. Gleichzeitig sind wir seit nunmehr zwei Jahren in einer Situation, in wir die Kontakte zu anderen Menschen in der physischen Welt erheblich reduziert haben und sich für viele sowohl die persönlichen als auch die beruflichen Begegnungen noch stärker ins Digitale verlagert haben. Gerade jetzt die Screen-Time zu reduzieren ist noch einmal schwerer und hängt auch von günstigen Gelegenheiten ab, über die wir nur teilweise selbst bestimmen können. 

Dieser Gedanke kam mir schon, als ich das sehr gute Buch „Nichtstun – Wie wir der Aufmerksamkeitsökonomie entkommen“ (Opens in a new window) von Jenny Odell letztes Jahr las, das ein starkes Plädoyer dafür ist, den Umgang mit digitalen Netzwerken zu reflektieren und Kontakte eher wieder in engeren Bezügen zu pflegen. Ich konnte Odell innerlich zustimmen, nur war ihr Buch bereits 2019 erschienen, als die Welt außerhalb des Netzes reicher an Möglichkeiten war.

Ich lebe seit etwa vier Jahren in einem Stadtteil außerhalb des S-Bahn-Rings in Berlin und habe in den Jahren davor eher in den zentralen Bezirken gewohnt. Nachdem wir umgezogen waren, pendelte ich  für eineinhalb Jahre jeden Morgen über eine halbe Stunde lang mit meiner Tochter zu ihrer Kita, da wir im neuen Stadtteil keinen Platz bekamen. Ich mag unsere Wohnung und auch die Umgebung. Doch als man sich zu Beginn der Pandemie vor allem draußen zum Spazierengehen traf, musste ich für diese gemeinsamen Runden viel Zeit einplanen und Wege quer durch die Stadt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Denn keine meiner Freund_innen oder möglichen Spaziergefährt_innen lebt mehr in Laufweite von mir. Spontane Treffen für einen gemeinsamen Kaffee draußen im Park waren für mich nicht möglich. Wollte ich spazierengehen und ich war es, die mich aufmachte, musste ich dafür einen halben Arbeitstag einplanen und nicht eine Mittagspause. Manchmal telefonierte ich mit einer Freundin, während wir jeweils allein spazierengingen.

Warum ich das erzähle? Weil der Rat, sich wieder ins *echte* Leben zu schmeißen oder einfach den Alltag ein wenig umzustellen aus ganz unterschiedlichen Gründen für viele Menschen nicht praktikabel sein kann. Während einige Menschen gerade  für Treffen in größeren Runden eher ein Risiko in Kauf nehmen können, sich mit Corona zu infizieren, ist das für Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen keine Option, da sie eine Ansteckung vermeiden müssen, um nicht schwer krank zu werden.

Auch der digitale Alltag lässt sich vielleicht nicht einfach umkrempeln. Ich habe in den letzten Monaten meine Twitter-Nutzung immer wieder reduziert und gemerkt, dass ich ruhiger wurde und mich besser auf mein eigenes Schreiben oder Lesen konzentrieren konnte. Aber mir fehlten schnell wieder die Menschen, von denen ich dort gern lese und mich ab und an kurz mit ihnen austausche. Ich habe natürlich auch direkt Kontakt mit Freund_innen, aber was mir am Scrollen durch Twitter oder Instagram gut tut, ist das passive Socializing. Ich muss nichts selbst sagen oder reagieren, sondern kann auch einfach nur lesen oder Fotos anschauen, so wie auf einer Party in einer Runde zu stehen und vor allem zuzuhören. Oder in einem Café zu sitzen, Gesprächsfetzen aufzuschnappen oder die vorbeigehenden Menschen anschauen. An den meisten Abenden in den vergangenen Monaten schätzte ich mich selbst als zu müde ein, um noch mit einer anderen Person telefonieren und etwas Sinnvolles sagen zu können. Oder wiederum diese Person sagte ab, weil sie selbst nicht in der Stimmung war oder ihr Kind genau an diesem Abend sehr lange zum Einschlafen brauchte. Wie viel müder man noch einmal bei einem zweiten Kind sein kann – vielleicht, weil die Care-Arbeit noch mal mehr ist oder man ein paar Jahre älter ist als beim ersten Baby – habe ich nicht mal ansatzweise geahnt.

Die Pandemie hat für mich daher tatsächlich eine seltsame Zwischenzeit angestoßen: Ich erlebe meine Medien-Nutzung als etwas, das ich verändern will, weil es mir meist mehr Energie zieht, als der Austausch mir dort gibt. Ich werde jedoch noch eine Weile warten müssen, bis das Leben vor meiner Haustür sich wieder berappelt. Mir fehlt es so sehr, regelmäßig andere Erwachsene zu sehen und einfach einen schönen Abend miteinander zu verbringen, dass ich manchmal am S-Bahn-Gleis stehe und mein Handy am liebsten ins Gleisbett werfen würde – weil es Symbol für die Isolation und den digitalen Lebensrest ist. Oder ich will es der Person, die auf ihrem Smartphone herumtippt, während wir auch miteinander sprechen könnten, aus der Hand reißen und an die Wand werfen. 

Die Wissenschaftsjournalistin Catherine Price erwähnt in ihrem Buch „The Power of Fun. How to feel alive again“ (Opens in a new window) Studien, die gezeigt hätten, dass allein das Vorhandensein eines Smartphones auf einem Tisch die wahrgenommene Qualität und Intimität eines Gespräches mindern könnte. Intuitiv spürt man das. Bei den Menschen, die mir ganz besonders wichtig sind, lasse ich mein Handy meistens in der Tasche und das ist nicht einmal eine bewusste Entscheidung. Als ich das erste Mal nach der Geburt meines ersten Kindes abends wieder eine Freundin in einer Bar traf, fiel mir erst nach mehreren Stunden auf, dass ich nicht ein einziges Mal auf mein Handy geblickt hatte und fühlte mich kurz als Rabenmutter, da ich nicht ständig checkte, ob etwas mit dem Baby ist. Aber mein Handy und mein Baby zu vergessen, war vor allem ein Zeichen dafür, wie schön und wie wichtig die gemeinsame Zeit mit dieser Freundin war.

Catherine Price hat vor ihrem aktuellen Buch ein anderes mit dem Titel „How to break up with your phone“ geschrieben. Sie lässt in „The Power of Fun“, das sich dem Thema widmet, warum und wie Menschen wieder mehr Spaß in ihr Leben integrieren können, viele Erkenntnisse daraus einfließen (man muss also den Vorgänger gar nicht lesen). Sie beschreibt in dem Tech-Kapitel des Buches („Why you feel dead inside“) sehr differenziert und wissenschaftsbasiert, wie die Nutzung von Technologie unser Leben, unsere Emotionen, unser Denk- und Erinnerungsvermögen verändert und warum es so schwierig ist, einfach weniger online zu sein. Sie appelliert also nicht an Willensstärke, sondern erklärt die psychologischen Mechanismen und bio-chemischen Reaktionen unseres Körpers auf unser Online-Verhalten, was ich in dieser Tiefe so noch nicht gelesen hatte. 

Ihr Buch liest sich daher völlig anders als viele der Essays über das Offline-Sein oder das berühmte Shaming von Eltern, die auf dem Spielplatz aufs Handy schauen und eher simple Rezepte anbieten wie: Buddel dein Handy im Garten ein und du wirst wieder glücklich. Denn Price testet die Ableitungen aus ihren Recherche-Ergebnissen in ihrem Alltag und experimentiert damit, wie eine bewusstere Nutzung von digitaler Kommunikation funktionieren könnte. Sie räumt aber ebenso ein, dass es für den Umgang mit digitalen Geräten keine perfekten Lösungen gebe. Was ich als Idee interessant fand und gern mal ausprobieren würde, ist der „Digital Sabbath“, den sie und ihr Partner regelmäßig machen und sich dafür am Wochenende für 24 Stunden von Handy und Laptop trennen.

Vor allem aber – daher heißt das Buch „The Power of Fun“ – geht es darin darum, warum wirkliche Freude zu empfinden manchmal im Leben abhandenkommt und wir Freizeit-Aktivitäten fälschlicherweise als „Spaß haben“ einordnen, diese aber in unserem Wohlbefinden als solche gar nicht ankommen. Und auch wenn sie nicht explizit über die Effekte der Pandemie schreibt, wird in den Kapiteln darüber, unter welchen Voraussetzungen wir ,true fun‘ empfinden können, sehr gut klar, dass die Pandemie-Regeln, die wir kennengelernt haben, unsere Möglichkeiten für Freude begrenzen. Ich hatte das Buch genau in der Hoffnung gekauft, in ihm vielleicht Ideen oder Erkenntnisse zu finden, warum genau die Pandemie manche Menschen so bedrückt und ob es Möglichkeiten gibt, das innerhalb der Pandemie zu verändern. Wer sich die Frage stellt „Ich mache doch schöne Sachen und alles Mögliche an Self-Care. Warum fühle ich mich trotzdem nicht besser?“, findet hier vielleicht ein paar Antworten. (Es geht im Buch nicht um behandlungsbedürftige Depressionen)

Ich hätte mich natürlich auch einfach kürzer fassen und sagen können: Lest dieses Buch, da stehen wirklich interessante Sachen drin, die man als gute Erweiterung der Allgemeinbildung betrachten kann.

Bis ihr das Buch von Catherine Price habt oder noch überlegt, ob es euch interessieren könnte, könnt ihr schon mal weiter über diesen Satz von ihr nachdenken: 

„Our lives are what we pay attention to.“

(bitte nicht missverstehen als ,schau nur noch rosa blümchen an und alles wird gut‘.)

Ich bin übrigens ganz froh, dass ich meine Aufmerksamkeit schon mal auf den ein oder anderen Tweet gerichtet habe. Denn sonst würde ich meine Freundin Eva und so viele andere Menschen, die ich ziemlich gern hab und hoffentlich bald wieder öfter umarme, gar nicht kennen.

Diese Newsletter-Ausgabe sollte ursprünglich ein Text über dieses alte Foto von den Spice-Girls werden, das mir Anfang der Woche bei Instagram (Opens in a new window) angezeigt wurde und jede Menge in mir ausgelöst hat, aber der Text kommt dann einfach ein anderes Mal.

Und nun? Handy unters Bett verbannen, jemanden damit anrufen oder den 548. Spaziergang seit Beginn der Pandemie? Klingt alles gut. Ich versuche heute mal, das Baby zu drei Stunden Mittagsschlaf zu motivieren und mitzumachen und meine Aufmerksamkeit öfter mal darauf zu richten, früher ins Bett zu gehen.

Bis demnächst
Teresa

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WIR SIND HIER- Festival vom 18. bis 20. Februar 2022 im Literaturhaus Frankfurt

19. Februar 2022, 19.30 Uhr  INTERSEKTIONALITÄT: DIE FEMINISTISCHE DIMENSION (Opens in a new window)  Mit Teresa Bücker und Emilia Roig Moderation: Hadija Haruna-Oelker

https://www.youtube.com/watch?v=x80Yuck1t2Y&feature=emb_imp_woyt (Opens in a new window)

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