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Kunstwerke wie dieses hier in der Gondel

kann man in Venedig nur zur Zeit der Biennale bewundern. Genauer gesagt, in der Woche, in der die Vernissagen stattfinden. In dieser Zeit sieht man hier nicht nur Menschen, die aussehen, als hätten sie hätten sie sich gerade von einem Badelaken erhoben - also in Flipflops, Bermudashorts und T-Shirts, auf dem Kopf eine Baseballmütze mit der Aufschrift God bless Vip-Room - sondern: Männer in Stoffhosen! In Anzügen! Manche tragen sogar weiße Hemden und Krawatten! Ich sah einen Mann in rosa Jackett und mit violetter Fliege, ich sah eine Frau mit türkisfarbenen Haaren und Samtcape und eben diese Frau in der Gondel, deren Zopf der Schwerkraft trotzt, keine Ahnung, wie sie es hingekriegt hat. 

Ich warte immer ab, bis die Crowd wieder abgezogen ist, um die Biennale zu besuchen und mir meine unqualifzierte Meinung zu bilden. Immerhin kam ich vorab in den Genuss einer Privatführung in einer Ausstellung, die mit einem Ort der Handlung meines Venedig-Buchs zu tun hat: Im Ateneo Veneto, der Scuola dei Picai, wie die Bruderschaft vom Campo San Fantin auf Venezianisch genannt wird, dem einstigen »Kollegiums der Gehenkten«, die in Venedig dafür berühmt war, zum Tode Verurteilte auf ihrem letzten Weg zu begleiten, stellt der deutsche Künstler Daniel Richter (Opens in a new window) seine Werke aus. Seine Ausstellung trägt den schönen Titel "Limbo (Opens in a new window)". Natürlich hatte ich keine Ahnung davon, dass Daniel Richter ein Superstar ist ("gehört zu den teuersten Künstlern (Opens in a new window) s (Opens in a new window)einer Generation") - weshalb ich mir seine Bilder unbefangen ansehen konnte - beeindruckt hat mich die Inspiration durch Fotos von Kriegskrüppeln, die man im ersten Stock der Ausstellung sehen kann. Die (unfreiwillige) Aktualität seiner Bilder ist überwältigend. 

Der Krieg spielt in den italienischen Medien weiterhin die größte Rolle, hier die   Vignette des Karikaturisten Vauro (Opens in a new window) veröffentlicht in Il Fatto Quotidiano (Opens in a new window). Der Text lautet: "Wer ist der Angreifer und wer der Angegriffene? - Und wer erinnert sich noch daran?"

Damit ist die Position der sogenannten "Equidistanti" gut beschrieben, also eines (großen) Teils der Linken in Italien, die sich hinter einer "neutralen", wenn nicht gar "putinfreundlichen" Darstellung des Konflikts verstecken, die den Unterschied zwischen der einmarschierenden Armee und dem angegriffenen Volk verwischt - eine Haltung die sich, wie ich in meinem Post vom 6. März (Opens in a new window) feststellte, bereits gleich zu Anfang des Krieges auf dem Markusplatz abzeichnete. 

Eine derartige Verharmlosung des Konflikts war auch dem italienischen Staatspräsidenten zu viel, der im Hinblick auf den bevorstehenden "Tag der Befreiung" am 25. April sagte (Opens in a new window):  "Der gewaltsame Angriff der Russischen Föderation auf das ukrainische Volk ist in keiner Weise gerechtfertigt. Der Anspruch, ein anderes Volk zu beherrschen, in einen unabhängigen Staat einzumarschieren, führt uns zurück zu den dunkelsten Seiten des Imperialismus und Kolonialismus." Und den "Weder-mit-Putin-noch-mit-Zelensky" richtete er aus: "Es gibt diejenigen, die sich nicht für das Schicksal und die Freiheit der Ukrainer interessieren und die gemeinsamen Werte beiseite schieben, auf denen das friedliche Zusammenleben zwischen den Völkern in den letzten Jahrzehnten mühsam aufgebaut wurde".

Und diese Klarstellung soll vor allem denjenigen in Anpi (Opens in a new window), der nationalen  Vereinigung  der Partisanen, gelten, die sich als ganz besonders eifrige "Equistanti" hervorgetan haben:  "Am 25. April haben das Volk und die alliierten Streitkräfte unser Heimatland vom Joch des Nazifaschismus befreit. Ein Volk, das sich bewaffnet hat, um sein Recht auf Frieden nach dem vom faschistischen Regime geführten Krieg durchzusetzen. Den Preis dafür zahlte wie nie zuvor die Zivilbevölkerung, gegen die sich auf tragische und brutale Weise eine Vielzahl blutiger Vergeltungsmaßnahmen richtete", sagte der Staatspräsident. 

Venedig wurde in den Ostertagen überrannt, was zu erwarten war. Was aber nicht zu erwarten war, ist, dass, wie der Corriere della Sera berichtete, »mindestens 20 000 Phantomtouristen über Ostern in Venedig übernachtet haben (die Mobilfunkverbindung lügt nicht), aber wir wissen nicht, wo. In den sozialen Medien meinte jemand ironisch: "Es waren Besucher unter den Brücken und wir haben es nicht bemerkt". Andere, wie Stadtrat Marco Gasparinetti (Terra e Acqua), fordern Kontrollen. Es besteht in der Tat die Sorge vor einem Boom der Schwarzarbeit: "Entweder - sagt er - haben wirklich Tausende von Menschen auf der Straße geschlafen oder es gibt "x-tausend" touristische Vermieter, die Steuern hinterziehen und Kontrollen vemeiden und aufgespürt werden sollten.« 

Fakt ist, dass der famose Smartcontrolroom der Stadt Venedig, dieses System allumfassender Überwachung (Opens in a new window), das in Echtzeit nachverfolgen (Opens in a new window) kann, wie viele Personen sich gerade wo in der Stadt aufhalten, woher diese kommen, wie schnell sie sich bewegen, wie lange sie schon in Venedig sind, was automatisch in Grafiken und Kartendarstellungen aufbereitet wird, eben auch zutage bringt, dass in Venedig 20 000 Vermieter schwarz vermieten. 

Weil sich in diesen Tagen alles nur noch um den Ukrainekrieg dreht, geraten Kleinigkeiten wie die Pandemie oder auch die Mafia  in den Hintergrund. Die reibt sich natürlich die Hände: Notstände jeder Art, ob das Erdbeben sind oder die Flüchtlingswelle, machen die Mafia reich. Sie macht immer dann einen Schritt voran, wenn die Aufmerksamkeit ihr gegenüber nachlässt. Um so mehr habe ich mich darüber gefreut, dass ich an der Radiodiskussion über die (wie ich meine) Propagandawirkung des Films "Der Pate" teilnehmen konnte. Sie können die Sendung unter diesem Link herunterladen (Opens in a new window)

Und weil wir uns gerade einen Tag vor dem italienischen Nationalfeiertag befinden, der die Befreiung vom Faschismus feiert, möchte ich den Italienischsprachigen unter Ihnen das Buch oder besser das Memoir von Roberto Bassi über Venedig zur Zeit des Faschismus empfehlen: "Scaramucce sul lago Lagoda" (Opens in a new window), was so viel heißt wie "Scharmützel am See von Lagoda". Es reicht von seiner Kindheit in Venedig von 1931 bis zur Befreiung Roms im Juni 1944. Roberto Bassi und seine Geschwister überlebten den Holocaust, weil sie in Rom versteckt wurden. Sein Vater hatte seine Anwaltskanzlei direkt über Harry's Bar, wo eines Tages ein Schild angebracht wurde, auf dem stand: "Juden und Hunde nicht erlaubt". 

Roberto Bassi war leitender Dermatologe des venezianischen Krankenhauses - und lange Jahre Präsident der Jüdischen Gemeinde Venedigs. Über sein Buch sagte er: "Jedes Jahr nimmt die Zahl derer, die in der Zeit des Faschismus gelebt haben, ab. Heute gibt es nur noch ein paar Dutzend Veteranen der Nazilager. Wir, die wir die Vernichtungslager zum Glück nicht kannten, uns aber gut an unsere Angehörigen erinnern, die dort ihr Leben ließen, sind heute im fortgeschrittenen Alter. Die Geister meiner Onkel und Cousins, meiner Schul- und Spielkameraden, vieler Freunde der Familie und der kleinen Sara G., die alle von den Faschisten und den Nazis ermordet wurden, bevölkerten meine Jugend und prägten mein Leben. Diese Geschichte ist daher mein letztes schriftliches Zeugnis. Ich behaupte nicht, Geschichte geschrieben zu haben, ich habe mich nicht darauf vorbereitet und ich habe auch keine Zeit damit verbracht, nach Dokumenten zu suchen. Ich habe mich nur auf mein Gedächtnis verlassen: Und wir alle wissen, wie trügerisch dieses Gedächtnis ist."

Herzlichst grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski 

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