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Dasein

Gestern lag die Tochter mal wieder mit besorgtem Gesicht in ihrem Bett abends. Als ich zu ihr ging, um Gute Nacht zu sagen, fragte ich sie, was los sei und dann kullerten schon die ersten Tränen. Und dann begann sie zu erzählen. 

Freundinnenstress. So viel Streit in der Schule. Gar nicht sie direkt, sondern die anderen um sie herum. Und sie steht dazwischen. Möchte gern mal mit der einen, dann mit der anderen Zeit verbringen und hat immer Angst eine vor den Kopf zu stoßen. Die anderen streiten sich immer wieder, das hält sie nicht gut aus. 

Gern hätte ich ihr einen Rat gegeben, einen Lösungsvorschlag. Das ist es, was wir dann oft tun wollen. Richten. Lösen. Die heile Welt wieder herstellen. Aber das geht oft gar nicht. Schon gar nicht, wenn es andere betrifft und wir nicht direkt involviert sind. Ich habe ihr stattdessen gesagt, was ich gesehen habe. Dass sie zerrissen ist. Dass es ihr damit nicht gut geht. Dass sie einfach gern hätte, dass sich alle gut verstehen. Dass jeder sich aussuchen kann, mit wem er gern Zeit verbringen möchte. Sie hat immer wieder genickt und auch geweint. Ist gar nicht so leicht, das kleine Herz nicht einfach streicheln und heilen zu können. 

Aber was hätte sie auch davon? Das sind die noch kleinen Sorgen in ihrem Leben. Die wirken groß, weil sie die großen noch nicht kennt. Gut so. Es sind die kleinen Lehrmeister für alles, was da noch auf sie wartet. Und oft gibt es einfach keine (einfachen) Lösungen. Mnahces muss sich entwickeln, manches erledigt die Zeit, die eigene Entwicklung oder dann die Lebensumstände. In dem Fall die Tatsache, dass sie in ein paar Monaten die Schule wechselt, weil sie aufs Gymnasium kommt. 

"Mama, kannst du noch bei mir bleiben, bis ich eingeschlafen bin?" Ich war so müde. Ich wollte gern in mein Bett und noch ein paar Seiten lesen, um mich aus meinem Leben ins Traumland zu begeben. Aber das war alles nicht relevant. So eine Bitte könnte ich nicht ausschlagen. Ist sie nicht der größte Vertrauensbeweis? Sagt sie nicht: "Danke, dass du da bist, kannst du noch bleiben, bis ich sicher schlafe?" Für meine Kinder da zu sein, ist vielleicht das einfachste und Schönste, was ich tun kann.

So oft bin ich gestresst oder genervt. Habe keine Lust auf ein Gesellschaftsspiel oder ihnen ein tolles Essen zu kochen. Habe überhaupt nie wirklich Lust auf große Ausflüge mit ihnen und Unternehmungen (außer Kino oder Urlaub im Sommer). So oft will ich nachmittags einfach Dinge für mich tun, will abends meine Ruhe oder bin genervt, weil die Küche einer Explosion gleicht. Aber wenn sie mich wirklich brauchen, dann bin ich da für sie. Ganz und bedingungslos. Und genau darum geht es.

Wie gern hätte ich jemanden, der für mich da ist? Kannst du noch bei mir bleiben, bis ich eingeschlafen bin? Da ist niemand, der das tun könnte. Im Moment. Es ist okay, da wird wieder jemand sein. Irgendwann. Und bis dahin, bin ich mir selbst diese Person. Denn auch für mich dazusein, wenn ich es brauche, ist ein großes Geschenk, das ich mir immer öfter mache. Keine sofortigen Lösungen zu suchen, sondern darauf zu vertrauen, dass es manchmal genug ist, einfach hinzuschauen, was da überhaupt los ist und meine Gefühle zu betrachten und sein zu lassen. Dasein zu lassen. Wir haben das verlernt im Leben. Du musst nicht weinen. Stell dich nicht so an. Was ist schon wieder mit dir los? Warum bist du so schlecht drauf? 

Vielleicht einfach so. Vielleicht wissen wir es oft gar nicht und brauchen eine Weile, um es zu spüren. Und dann noch eine Weile, um damit zu sein. Wenn wir uns immer sofort ablenken von unseren Gefühlen, Sorgen, Ängsten, verlieren wir den Kontakt zu uns selbst. Und kennen uns in unserem eigenen Leben nicht mehr aus. 

Mir gelingt dieser innere Kontakt indem ich male, Klavier spiele, Musik höre (Musik ist für mich DER Schlüssel), Löcher in die Luft gucke oder eben schreibe.

Heute bin ich verwirrt. Seit Tagen schon, heute einmal mehr. Ich kenne die Gründe, ich bin einerseits tieftraurig, andererseits aufgekratzt und fröhlich. Eine energetische Spannung in mir drin. Auch dafür gibt es gerae keine Auflösung. Kein Mittel, dass mich ausgleicht. Auch das ist okay. Ich gehe mit beidem mit, nehme es an und vertraue, dass alles so wird, wie es sein soll. Ich bin einfach ich. Was sonst sollte ich tun? 

Kategorie Alltagsgedanken

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