Zum Hauptinhalt springen

#Ich (Teil 2) 

2 Jahre später

Ich bin jetzt Abteilungsleiter. Sitze in meinem Einzelbüro an meinem MacBook Pro in Schwarz metallic und hacke in die Tasten, damit Sylvia, meine Sekretärin, nebenan auch hört, wie wichtig ich bin. Sehnsüchtig linse ich ständig auf mein IPhone, denn ich hoffe, dass jemand anruft, dem ich irgendwelche Anweisungen geben kann. Endlich klingelt es. Schaue begeistert aufs Display. Leider ist es nur meine Freundin Gabi, die ich damals bei Tinder kennen gelernt habe. Enttäuscht tippe ich auf die automatische Antwort „Ich kann gerade nicht sprechen“. Immer diese Ablenkungen. Versuche meine bedeutende E-Mail fertigzustellen:

„Lieber Herr Biebermeyer, vielen Dank für Ihre schnelle Rückmeldung in dieser wichtigen Angelegenheit. Ich unterstreiche hiermit noch einmal mit Nachdruck, dass alle Teams in Abteilungen und alle Teamleiter, eingeschlossen meiner Wenigkeit, in Abteilungsleiter umbenannt werden sollten.“ Klingt einfach besser, denke ich, schreiben tu ich: „Ich werde dies bereits in unserer nächsten Team- Pardon- Abteilungssitzung verkünden und auf den gänzlichen Verzicht des Wortes „Team“ drängen. Wir bräuchten dann natürlich auch neue Visitenkarten.“

Wegen Gabi bin ich jetzt irgendwie völlig aus dem Workflow gerissen. Lasse mich in meinem ergonomischen schwarzen Lederstuhl nach hinten fallen und drehe mich gen Fenster, durch das ich die Leute auf der anderen Seite des Bürogebäudes beobachten kann. Fange an mich in meinem Bürostuhl ziemlich schnell um die eigene Achse zu drehen und gerate in so eine Art Schwindel- Trance. Ein berauschender Zustand. Als ich wieder zu mir komme bemerke ich wie Herr Schweinzke vom Büro quer über den Innenhof mich beobachtet. Drehe mich abrupt um und widme mich wieder meinen Hightech- Geräten.

Erstmal Kaffee. Gehe zu meiner neuesten Errungenschaft, einer sündhaft teuren Kaffeemaschine, für die ich mein letztes Monatsgehalt geopfert habe. Die hat irgendwie so ein ganz besonderes Röstverfahren und der Kaffee schmeckt wirklich ganz, ganz toll. Bilde ich mir zumindest ein. So eine Kaffeemaschine erfüllt halt einfach auch Repräsentationsfunktion. Um andererseits aber trotz meiner herausragenden Bedeutung noch bodenständig und lässig zu wirken, trage ich, ähnlich wie die anderen jüngeren Abteilungsleiter, in Kontrast zu meinem BOSS-Anzug weiße Sneaker. Ich glaube, beobachten zu können, dass das beim Fußvolk recht gut ankommt.

Setze mich wieder hin, ziehe Sneaker und Socken aus und lege die Füße auf den Schreibtisch. Während ich an meinem Luxuskaffee nippe, checke ich meinen Instagram- Account. Dort poste ich inzwischen eher so politische Sachen wie Ausschnitte aus Interviews mit Politikern, die von der breiten Masse gemocht werden und die dann irgendwas über Demokratie sagen, was, glaub ich, dann meist auch irgendwie stimmt. Da schreib ich dann gern #inspiring drunter, um zu zeigen wie erwachsen und verantwortungsbewusst ich bin. Wenn ich nicht genau weiß, welche Meinung gerade so richtig sozialadäquat ist, poste ich einfach Selfies in meinem Einzelbüro, damit man sehen kann, was ich für ein hohes Tier geworden bin.

Auch mein LinkedIn- Profil halte ich quasi tagesaktuell. Als kleines Sahnehäubchen habe ich unten einen Text verfasst, in dem ich den neugierigen Lesern einige Details über mich als Privatperson verrate. So informiere ich dort, dass ich jeden Tag um 4.30 aufstehe, 1 Stunde meditiere, 1 Stunde joggen gehe und mich dann noch 2 Stunden in Themen wie Psychologie oder Exchange Traded Funds weiterbilde, da ich ein Mensch bin, der sich konstant weiterentwickeln muss und das auch anderen aufzwingen will. Im Grunde ist diese Bewunderung der anderen auch der größte Motivationsfaktor für meine Selbstkasteiung.

Als gewissenhafter Chef führe ich mit meinem Mitarbeitern- also Sylvia, Silke, Dennis und… hier, Dingenskirchen- Personalgespräche, um ihre persönliche und berufliche Entwicklung voranzutreiben. Ab und an muss ich sie natürlich auch mal kritisieren. Konkrete Anlässe gibt es dafür eigentlich nicht, das ist immer mehr so ein Bauchgefühl und außerdem gehört Kritik zum Leben dazu. Leider verstehen das manche einfach nicht.

Aber ich habe auch meine wilden Seiten. Die zeige ich besonders gern bei Weihnachtsfeiern. Spätestens wenn Latinomukke gespielt wird, gibt es für mich kein Halten mehr. Mit vermeintlich untrüglichem Rhythmusgefühl lasse ich dann zu Despacito meine Hüften kreisen und tanze hübsche Sekretärinnen aus den Nachbarabteilungen an.

Alles in allem ist das Leben als Führungspersönlichkeit schon anspruchsvoll. Wenn ich zusammen mit den anderen ALs zum Business- Lunch aufbreche und dann am Fahrstuhl Kollegen von früher begegne zum Beispiel. Irgendwie finde ich das dann immer etwas peinlich, weil ich nicht weiß, ob ich grüßen soll. Für diese Rolle muss man irgendwie geboren sein, finde ich. Aber das werden hier wieder nur die wenigsten verstehen.

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von vielegruessechristoph und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden