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Risikoethik - Würdest du für einen Fremden dein Leben aufs Spiel setzen?

Lesedauer: 4 Minuten

Stell dir vor, du bist in einem Raum mit einer fremden Person eingesperrt und hältst eine Pistole in deiner rechten Hand. Es existiert lediglich eine einzige Möglichkeit, aus diesem Raum wieder herauszukommen:

Du musst entweder auf die fremde Person schießen oder auf dich selbst.

Solltest du dich dafür entscheiden, auf die fremde Person zu schießen, wird sie definitiv sterben; solltest du dich jedoch dazu entscheiden, auf dich selbst zu schießen, könntet ihr beide überleben.

Sobald du die Waffe auf dich selbst richtest, besteht eine 99,9%  Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht funktionieren wird. Die Chance, tatsächlich zu sterben, wäre also 1:1000.  Wie entscheidest du dich?  Versuchst du, euch beide zu retten oder beschützt du dein eigenes Leben?  Und was macht diese Entscheidung eigentlich so schwer?

Die Abwägungsfrage, welcher du in diesem Moment ausgesetzt bist, ist eine besonders heikle – immerhin steht dein eigenes Leben auf dem Spiel. Aus diesem Grund müssen wir uns also die Frage stellen, wieviel Risiken wir eigentlich für das Überleben anderer eingehen sollten. Kommen wir aber zunächst zu den Dingen, bei denen wir uns zweifelsohne einig sind:

  • Wenn von einem unserer Mitmenschen keinerlei Gefahr ausgeht, dass er uns oder unsere Liebsten verletzt, dann besteht keinerlei Grund, ihm etwas anzutun.

  • Wenn ein Mensch drauf und dran ist, uns oder unsere Liebsten zu töten, dann haben wir das Recht, uns selbst zu verteidigen und unser eigenes Leben zu beschützen.

Übertragen wir das jetzt einmal auf unser Beispiel:

  • Wenn du die Waffe auf dich selbst richtest und sie definitiv nicht funktionieren würde, dann würdest du vermutlich auch auf dich selbst schießen, um somit euch beide zu retten.

  • Wenn die Waffe jedoch garantiert funktionieren würde, dann würdest du wohl oder übel deinen Gegenüber töten, um das eigene Leben zu retten.

Interessant wird es jetzt, wenn man die Wahrscheinlichkeiten variiert:

Bei einer „nicht funktionier“ Wahrscheinlichkeit von 99,9% würden wohl einige – vielleicht auch du - das Risiko eingehen, um den Gegenüber zu retten. Aber wie wäre es bei 99% oder bei 95% oder bei 90%? Wie weit würdest du runtergehen, bis du dich irgendwann dafür entscheidest, auf den Gegenüber zu schießen?

Auch wenn das Beispiel fiktiv ist, begegnet uns die Risikoethik in unserem realen Leben:

  • Helfe ich jemandem, der angegriffen wird, und riskiere dabei mein eigenes Leben?

  • Lasse ich einen Mörder nach Ablauf der Strafe wieder aus dem Gefängnis frei und riskiere damit, dass er mich und andere umbringt, oder behalte ich ihn für ein Verbrechen in Sicherungsverwahrung, welches er vielleicht niemals begehen wird?

  • Schießt man ein entführtes Flugzeug ab, obwohl die winzige Möglichkeit besteht, dass dieses nicht in eine Stadt oder ein Gebäude einschlägt?

In unserer westlichen Gesellschaft sind solche Szenarien eher die Seltenheit, da unsere Gesetze mehr oder weniger dafür sorgen, dass wir nicht jeden unserer Mitmenschen automatisch als Gefahr sehen und Angst um unser Leben haben müssen. Das individuelle Risiko eines zufälligen, fremden Menschen gegenüber uns ist so niedrig, dass es keine Rechtfertigung gäbe, irgendeinen von ihnen aus dem Nichts heraus zu töten. Dennoch könnte uns in unserem Leben jederzeit eine solche Situation begegnen. Welche persönliche Risikolinie man für sich zieht, ist eine individuelle Frage; in welcher Situation das Töten ein Verbrechen und in welcher ein legitimes Mittel zum Schutz des eigenen Lebens ist, sieht jeder anders.  Also finden wir doch mal heraus, wie es bei dir ist und kommen wieder zur Frage vom Anfang zurück:

Sobald du die Waffe auf dich selbst richtest, besteht eine 99,9% Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht funktionieren wird. Die Chance, tatsächlich zu sterben, wäre also 1:1000. Wie entscheidest du dich?  Tötest du deinen Gegenüber oder gehst du das winzige Risiko des eigenen Todes ein? Die Moral liegt in diesem Fall im Auge des Betrachters.

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